Philosoph Wolf-Dieter Enkelmann

Welche Rolle Toleranz in der Wirtschaft spielt

Überdimensionale Geldscheine in einem Einkaufswagen werden durch einen Supermarkt geschoben.
Der Konsument ist ein widersprüchliches Wesen zwischen Preisbewusstsein und dem Wunsch nach einem guten Gewissen beim Einkauf. © Armin Weigel/dpa
Von Thomas Klug · 03.11.2015
Den Wert der Toleranz im Wirtschaftsleben eines globalen Marktes zu bestimmen, sei gar nicht so einfach, gibt der Philosoph Wolf-Dieter Enkelmann zu bedenken: Immerhin habe der Verbraucher die Möglichkeit, mit seinen Entscheidungen Verantwortung zu übernehmen.
Die Welt der Image-Broschüren großer Firmen ist bunt: viele lächelnde Gesichter. Da ist niemand zu sehen, der irgendjemandem anstößig erscheinen könnte. Die Buntheit ist genau sortiert. Toleranz - Wirtschaftsfaktor oder nur fürs Schaufenster gedacht? Professor Wolf-Dieter Enkelmann vom Institut für Wirtschaftsgestaltung hat eine deutliche Antwort – Jein:
"Eine Wirtschaft, die global auf sämtlichen Märkten agiert, kann sich das gar nicht leisten, sei es rassistische oder sonstige Ausschlusskriterien an den Tag zu legen. Außerdem brauchen sie die Fachleute aus aller Welt. Also so gesehen, ist das nicht nur leeres Geschwätz oder eine leere moralische Behauptung."
Toleranz als Wert. Doch was ist die Toleranz wert, wenn sie einfach nur als Duldung verstanden wird? Überlange Arbeitstage und Umweltverschmutzung zum Beispiel lassen sich als kulturell bedingte Unterschiede oder nationale Eigenheiten tolerieren. Wenn Toleranz aber auch Verbesserung der Welt ist im Sinne der Verbesserung von Arbeitsbedingungen - taugen dann die Chefetagen der großen Firmen als Vorreiter für Toleranz?
"Wenn von der Obrigkeit vorgeschlagen wird, die ökonomische Bilanz doch durch Zwangsarbeit zu verbessern, kennt die Wirtschaft kaum eine Gnade und macht das. Oder Kinderarbeit. Oder man denke zurück an den Manchester-Kapitalismus: Ausbeutung ohne Ende. Da sieht man ein merkwürdiges Phänomen, dass es gar nicht so zweiseitig ist mit der Toleranz, sondern es gibt auch die Figur des Dritten, also die Beobachtung und die Beurteilung."
Bewusst Verantwortung übernehmen
Die Floskel von der Toleranz, die keine Einbahnstraße sei, müsste also nachgebessert werden, wenn noch eine dritte Seite dazu kommt. Vielleicht lässt sich sagen: Toleranz ist, wenn jemand zuguckt – und sich der Zuschauer seiner Verantwortung bewusst wird als "Verbraucher", aber mehr noch als Staatsbürger:
"Die Toleranz wird in beiden Richtungen ausgereizt: Auf der Seite der Forderung nach mehr Toleranz und auf der anderen Seite, was kann ich mir erlauben, ohne dass mir der Laden von irgendwoher dichtgemacht wird oder mir die Kunden davon rennen oder sonst was. Das ist auch immer noch Toleranzmodus. Was toleriert eine Gesellschaft an Ellbogenfreiheit, an Härte, an der Schicksalsmacht von Preismechanismen. Das lässt sich halt nicht in einem ehernen Gesetzbuch festschreiben. Das gehört auch mit zur Toleranz – dass man die Sache beweglich hält. Das lässt sich nicht normieren, das wäre an sich schon wieder intolerant."
Toleranz wird also täglich neu ausgelotet – und sie funktioniert nur, wenn jemand Entscheidungen trifft. Der Konsument als Verbraucher oder besser noch als Staatsbürger tritt so in Erscheinung. Er fühlt sich wohl, wenn er bei tollen Firmen kauft, die auf die Umwelt achten, alle lieb haben und vielleicht den Mindestlohn zahlen. Wer einen vollen Einkaufswagen zur Kasse schiebt, will wenigstens ein gutes Gewissen geschenkt bekommen:
"Ja, das nennt man 'moral business'. Da gibt es eine Nachfrage, das ist ganz klassisch und die wird eben befriedigt."
Der Verbraucher als widersprüchliches Wesen
Der Konsument ist ein widersprüchliches Wesen – Toleranz ist an einen Preis gebunden. Auf jeden Fall braucht Toleranz Freiheit. Nur wer die Freiheit zur Entscheidung hat, kann sich für Toleranz entscheiden. Oder dagegen. Der Philosoph und Unternehmensberater Wolf-Dieter Enkelmann sagt aber auch, dass Toleranz kein Luxusgut ist, sondern eine eigene Kraft besitzt:
"Ich bin wirklich der Meinung, dass Toleranz etwas Existenzielles ist, es ist kein Deckmäntelchen, man braucht das unbedingt. Nietzsche sagt das mal sehr schön, dass die Gerechtigkeit auf der ursprünglichsten Stufe der gute Wille ist unter ungefähr Gleichmächtigen sich miteinander abzufinden und sich durch einen Ausgleich wieder zu verständigen. Und für ihn basiert das ganze System der Objektivität, des kollektiven Handelns und sogar des Streits und des Wettbewerbs auf dieser Voraussetzung ab – sich miteinander abzufinden."
Sich abfinden. Das klingt anders als das handelsübliche Pathos zur Toleranz. Und es klingt machbar. Meistens.
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