"Tobias Gruben: Die Liebe frisst das Leben"

Musikpoet mit düsterer Seele

09:03 Minuten
Schwarz-Weiß-Aufnahme des Künstlers Tobias Gruben in einer Bahn.
Star ohne Glamour: der Musiker Tobias Gruben © Imogen Gruben / field records
Dirk Schneider im Gespräch mit Andreas Müller · 21.04.2020
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Er gehörte zur Hamburger Schule, hatte eine Band mit Christoph Schlingensief und stand kurz vor einem großen Plattenvertrag. Dann starb Tobias Gruben mit nur 34 Jahren. Posthum erscheinen nun ein Film sowie ein Album zu seinem Werk.
Andreas Müller: Eine jüngere Generation entdeckt offenbar gerade das Werk von Tobias Gruben für sich. Von seiner Band Die Erde, die sich 1990 nach nicht einmal zwei Jahren wieder aufgelöst hat, gibt es nur ein einziges Album. Sie ist eine Art Vorgängerband der sogenannten Hamburger Schule. Zuvor hatte Gruben mit Christoph Schlingensief die Band Vier Kaiserlein, die später noch große Songs geschrieben hat. 1996 stand Gruben vor dem Abschluss eines Vertrags mit einem großen Plattenlabel, dann starb er für die meisten seiner Freunde und Weggefährten überraschend im Alter von 34 Jahren an einer Überdosis Heroin. Warum lohnt es, sich mit Gruben zu beschäftigen?

Dirk Schneider: Tobias Gruben war vor allem Texter und Performer und nicht Musiker. Die Musik der Band Die Erde stammte in erster Linie von Horst Petersen. Dafür war Gruben ein unglaublich charismatischer Typ: Äußerlich wirkte er nicht wie ein glamouröser Popstar. Er war groß und dünn, hatte schütteres blondes Haar und sah eher durchschnittlich aus. Aber er war einer dieser Typen, bei denen man sofort merkt, sie brennen - und sie werden vielleicht auch verbrennen.

Über Kreuz mit dem bürgerlichen Elternhaus

Tobias Gruben war das jüngste von vier Kindern des renommierten Archäologen Gottfried Gruben, aber er lag komplett über Kreuz mit den bürgerlichen Idealen seines Elternhauses. An seinem Vater hat er sich dazu noch abgearbeitet. Es ist eher eine Randnotiz, dass Gruben in den Achtzigern in München gemeinsam mit Christoph Schlingensief eine Band hatte. Er ist dann nach Hamburg gegangen, von wo damals noch die interessanteste Musik kam. Bands wie Kolossale Jugend waren dabei, eine neue, deutschsprachige Musik zu erfinden, und natürlich spielte Alfred Hilsberg mit seinem Label What's So Funny About eine Rolle, einem der wichtigen Labels für deutschsprachige Musik in den 90ern. Dort erschien auch das Album von Die Erde.
Müller: Diese Band gab es aber nicht lange. War ein Charakter wie Gruben überhaupt Band-kompatibel und konnte mit anderen Musikern zusammen arbeiten?
Schneider: Gruben war kein einfacher Typ, ein Einzelgänger, der früh Heroin nahm. Dazu soll ihn angeblich der Musiker Nick Cave gebracht haben. Und dieses Leiden an der eigenen Herkunft und an sich selbst, befeuert von der Leidenschaft der Droge, brachte dann offenbar eine musikalische Persönlichkeit hervor, die man so wirklich nur selten erlebt.

Diskurspop war nicht Grubens Ding

Müller: Als 1989 das Die-Erde-Album "Kch Kch Kch" erschienen, ging es mit deutschsprachiger Musik in Hamburg erst so richtig los, und Bands wie Blumfeld und Tocotronic traten bald auf den Plan. Wie hat sich Gruben zu dieser Szene verhalten?
Schneider: Man hat im Zusammenhang mit der so genannten Hamburger Schule gerne von Diskurspop gesprochen, weil viele dieser Bands auch gesellschaftliche und politische Zusammenhänge in ihrer Musik verhandelten. Das war nicht so sehr Grubens Ding.
Der Hamburger Musikproduzent Tobias Levin, der auch in der Band Die Erde gespielt hat, hat etwas Schönes über Gruben geschrieben: "Sein künstlerisches Leitmotiv mag erschrecken, handelte es sich dabei doch um 'Die Wahrheit'. Aber Tobias Gruben bekam wirklich einen Teil von ihr zu fassen, indem er sie offensiv mit Ansichten verwechselte, die nur ihm selbst eigen waren."
Das zeigt ganz schön, dass Gruben vor allem um sich selbst kreiste, und bei dieser Beschäftigung mit sich selbst kam einiges heraus, das von universellerer Gültigkeit war. Zum Beispiel in dem Stück "Vater", das natürlich auch über seine Beziehung zu seinem Vater hinausweist, oder in seinem Song "Heroin", der schon öfter mit den großen Songs zum Beispiel von Velvet Underground über diese Droge in eine Reihe gestellt wurde.
Müller: Nun ist ein Dokumentarfilm über den 1996 verstorbenen Hamburger Musiker enstanden, sowie ein Sampler mit seiner Musik. Was genau hat es damit auf sich?
Schneider: Dieser Film heißt "Die Liebe frisst das Leben - Tobias Gruben, seine Lieder und die Erde", stammt vom Regisseur Oliver Schwabe und sollte eigentlich diese Woche in die Kinos kommen. Es ist eine Doku im üblichen Format, in dem Zeitzeugen über den Verstorbenen berichten, flankiert von historischen Filmaufnahmen und Fotos, unterlegt mit Musik.

Persönliches Filmporträt des früh Verstorbenen

Es ist aber ein wirklich sehr anrührender Film, weil er Gruben sehr nahe kommt, vor allem auch durch seine Schwester Imogen Gruben, die viel zu Wort kommt. Sie war das älteste der vier Kinder und spricht als große Schwester sehr liebevoll und klug über ihren verstorbenen kleinen Bruder und die nicht einfachen Familienverhältnisse.
Es gab wohl eine sehr glückliche Kindheit in Griechenland, wo der Vater Ausgrabungen geleitet hat. Später zog die Familie nach München, der Vater wurde depressiv und tyrannisch, wie es hier erzählt wird. Diese Berichte der großen Schwester sind sehr berührend und aufschlussreich. Es wird auch aus Briefwechseln mit dem Vater zitiert.
Der Film hat wirklich große Momente und ist ansonsten angenehm unspektakulär gemacht. Regisseur Schwabe hatte allerdings auch eine besondere Idee, die wie ich finde nicht ganz aufgegangen ist: Er hat Musiker und Musikerinnen, die etwa 20 Jahre später geboren sind als Gruben, heute also Mitte 30, gebeten, Stücke von ihm für seinen Film nachzuspielen.

Musiker von heute spielen seine Songs

Darunter sind Hendrik Otremba von der Gruppe Messer, die Band Isolation Berlin, die Hamburger Musikerin Fee Kürten und Paul Pötsch, also durchaus einige der interessanteren Gestalten der gegenwärtigen deutschen Popmusik. Manche von ihnen scheitern aber kläglich. Einer, der mich allerdings wirklich beeindruckt hat mit seiner Version des Stücks "Meine Weiße Welt", ist der Schauspieler und Sänger Tom Schilling.
Müller: Und diese Musik aus dem Film gibt es dann also auf einem Sampler zu hören?
Schneider: Genau, die Cover-Versionen aus dem Film und ausgewählte Stücke von Gruben. Das anzuhören lohnt nicht komplett, aber kann ein schöner Einstieg in das Werk von Gruben sein. Seine Musik ist ansonsten gar nicht so leicht zu bekommen, auch auf Streamingplattformen sucht man da vergebens.

Der Kinostart von "Die Liebe frisst das Leben" wurde verschoben. Der Film kann ab Donnerstag, den 23. April auf der Videoplattform Vimeo gestreamt werden. 50 Prozent der Streaming-Erlöse gehen an die Kinos, in denen der Film ursprünglich laufen sollte.

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