Die Musik der Hamburger Schule

"Es ging darum, Kommunikation zu erweitern"

06:33 Minuten
Bernadette La Hengst spielt Gitarre und singt beim Konzert bei der Unteilbar-Demo in Berlin2018.
Bernadette La Hengst, 2018 live in Berlin. © imago images/POP-EYE
Von Mike Herbstreuth · 30.07.2019
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Früher galt deutscher Pop als uncool. Heute dominieren die deutschsprachigen Künstler in den Charts. Historische Vorarbeit haben die Bands der Hamburger Schule geleistet: Bernd Begemann, Die Sterne und Tocotronic. Was hat sich seitdem geändert?
"Die haben uns belächelt. Ausgelacht weiß ich nicht, aber belächelt", sagt Bernadette La Hengst. Sie hat in den 80er-Jahren beim ostwestfälischen Label "Fast Weltweit" Musik gemacht, gemeinsam mit Musikern und Bands wie Bernd Begemann, Die Sterne oder Die Bienenjänger – der Vorgängerband von Blumfeld. "Wir haben in Berlin gespielt auf den Berlin Independent Days, drei Tage hintereinander, und die Leute haben über uns geschrieben: 'Das ist Schlager aus Ostwestfalen und die haben keine Ahnung'. Es gab zeitgleich Einstürzende Neubauten in Berlin, das diametrale Gegenteil von dem, was wir gemacht haben. Und es gab Fun-Punk, dieses ewige Sich-auf-Ironie-zurückziehen, die Geschichten sind eigentlich unwichtig, Hauptsache sie haben Witz."

Authentisch das Leben wiedergeben

Mit deutschen Texten habe man versucht, beeinflusst von britischer New Wave und Punk, Geschichten über das Leben in Ostwestfalen zu erzählen, sagt La Hengst, "über die Träume, da rauszukommen". Die Songs hätten versucht zu reflektieren, was man vorgefunden habe, und nicht versucht, sich wegzuträumen in eine andere Welt oder die Vorbilder in Amerika zu kopieren: "Das war ein ganz starker Gedanke, den wir auch miteinander entwickelt haben. Wir waren halt ehrlich, auf eine Art authentisch und wir wollten wirklich unser Leben wiedergeben."
Frank Spilker war Mitte der 80er Mitbegründer des Labels "Fast Weltweit". In den 90er-Jahren zog er nach Hamburg und war dort mit seiner Band Die Sterne Teil der Hamburger Schule, zu der auch Tocotronic, Blumfeld oder Bernadette La Hengsts Band Die Braut Haut Ins Auge gehörten. "Das unangenehme Gefühl, das ich immer hatte: Es kann nicht das einzige sein, man kann nicht nur in diesem Ton mit Leuten reden dürfen", sagt Spilker.
"Das, was wir versucht haben, war, uns dieser britischen Kultur anzunähern auch in der Form der Auseinandersetzung, also wie da in der Popmusik quasi gesellschaftlich relevante Themen benannt wurden. Das waren lauter moderne Kommunikationsformen, die es in Deutschland nicht gab. Das war dann wirklich die Hamburger Schule, die so etwas etabliert hat." Ihm sei es nicht darum gegangen, möglichst toll Gitarre zu spielen oder von einer internationalen Karriere zu träumen, sondern die Leute, die einem direkt gegenüberstanden, zu erreichen und mit denen eine Party zu machen.

Verflachung in der Popmusik

"Wir haben in den 90er-Jahren unglaublich viel Austausch gehabt in einer Generation von Bands, die sich auch mit teils sehr unterschiedlichen Ansichten aneinander gerieben hat und versucht hat, etwas zu machen, das über diesen Anspruch hinausgeht, einfach bloß zu unterhalten, einfach bloß Mode zu sein, einfach bloß Geld zu verdienen oder deutsche Popmusik zu machen." Es sei immer darum gegangen, die Möglichkeiten der Kommunikation zu erweitern, sich vielleicht auch politisch zu äußern, zu streiten.
Ratlos machten ihn die Nachfolger: "Wir hatten dann, und das ist ja so mein persönliches Erleben, mit den nachfolgenden zweiten und dritten Generation Hamburger Schule, immer das Problem: Die wollen das gar nicht mehr. Da geht's ... Worum geht's eigentlich? Ich weiß es nicht. Die wollen eigentlich Oasis sein oder die wollen erfolgreich sein, die wollen geliebt werden, die wollen mit ihren Kumpels feiern. Aber worum geht's?" Aber diese Art der Verflachung gebe es nicht nur in diesem Bereich der deutschsprachigen Popmusik, das sei auch mit Grunge-Rock und jeder popkulturellen Bewegung passiert.
Bernadette La Hengst teilt diesen Eindruck: "Es wurde fast so kommerziell wie bei der Neuen Deutschen Welle. Vielleicht haben die Plattenfirmen ein bisschen was dazugelernt. Also Bands wie Juli oder auch Wir sind Helden konnten natürlich nur profitieren von der Vorarbeit, die sehr viele unterschiedliche Bands geleistet haben. Dass es in den Köpfen der Leute auf einmal normaler erschien, auf Deutsch Popsongs zu schreiben."
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