Terror in der Literatur

Für Gewalt gibt es keine einfachen Erklärungen

09:15 Minuten
Tatort der Entführung von Aldo Moro durch die Brigate Rosse in Rom 1978.
In seinem Roman "Die jungen Bestien" thematisiert Davide Longo den Terror der italienischen Brigate Rosse, die etwa 1978 den Christdemokraten Aldo Moro entführten und töteten. © Picture Alliance / ROPI / Publiroma
Tabea Grzeszyk im Gespräch mit Britta Bürger · 09.04.2020
Audio herunterladen
Terror macht sprachlos. Wie findet Literatur Worte für das Entsetzen? Und können Bücher helfen, terroristische Gewalttaten zu verstehen, ohne auf allzu einfache Erklärungen zu verfallen? Das diskutieren wir an drei Beispielen.
Gut gegen Böse, wir gegen die anderen, Terrorismus befördert Schwarz-Weiß-Denken. Auch in der Literatur ist der Terror ein wiederkehrendes Motiv. Doch Autorinnen und Autoren haben solche Vereinfachungen immer wieder durchbrochen und sich stattdessen der Komplexität des Geschehens gestellt.
An drei Beispielen aus jüngerer Zeit zeige sich besonders deutlich das Potenzial von Literatur, das lähmende Entsetzen über Bilder der Gewalt zu überwinden, so die Literaturkritikerin Tabea Grzeszyk: durch genaue Beobachtung, Besonnenheit und einen Blick für tiefere Zusammenhänge.

Keine Erlösung nach dem Terror

Davide Longos Kriminalroman "Die jungen Bestien", Åsne Seierstads Biografie über den norwegischen Massenmörder Anders Breivik und die unglückliche Liebesgeschichte "Sie allein" des belgisch-marokkanischen Schriftstellers Fikri El Azzouzi träfen sich über die Genregrenzen hinweg in einem wesentlichen Punkt, so Grzeszyk:
"Die Autorinnen und Autoren verweigern das Bedürfnis, dass die Gesellschaft nach einem Terroranschlag zusammensteht und sagt: Wir gegen die anderen! Wir sind stärker als der Hass. Wir verteidigen unsere Werte gegen die Angriffe der anderen, der Monster, der Fanatiker."
So einfach sei es hier eben nicht, sagt Grzeszyk: "In diesen Büchern gibt es nach dem Terror keine Katharsis, für niemanden". Auch deshalb, weil die Linie zwischen jenen, die Verbrechen begehen, Angst und Schrecken verbreiten, und dem Rest der Gesellschaft kaum trennscharf zu ziehen sei. Åsne Seierstads Buch über Anders Breivik trägt den Titel "Einer von uns".

Gefangen in Stereotypen

Schon daran zeige sich die Weigerung der norwegischen Journalistin, einfache Antworten zu geben, sagt Tabea Grzeszyk. "Es wäre leicht gewesen, die Biografie als Studie über das Böse anzulegen, weil Anders Breivik als selbsternannter 'Retter des Christentums' 77 Menschen ermordet hat, darunter viele Jugendliche auf der Insel Utøya."
Seierstad mache Breivik in ihrem Buch aber gerade nicht zu einem Monster: "Sie dämonisiert ihn nicht, sie versucht auch nicht, die Taten aus der Biografie zu erklären. Stattdessen trägt sie Mosaiksteine zusammen, sie hat mit Angehörigen Breiviks und den Familien der Opfer gesprochen, und nach über 500 Seiten gibt es letztlich eine banale Geschichte von einem Loser, der nach Anerkennung strebt, der es im echten Leben immer wieder nicht schafft und dann schließlich im Internet fündig wird, wie er zu Ruhm und Ehre kommen kann."
In Fikri El Azzouzis Roman "Sie allein" seien es die Blicke und Erwartungen der anderen, die Ayoub, einen jungen Belgier marokkanischer Herkunft, von Anfang an unter Terrorverdacht stellen, erklärt Tabea Grzeszyk. Zwischen ihm und einer jungen Frau, in deren Restaurant Ayoub als Küchenhilfe arbeitet, entspinne sich eine Liebesgeschichte, die jedoch von omnipräsenten Stereotypen und Zuschreibungen vergiftet sei: "Diese Scherze, 'Wann sprengst du dich in die Luft?' oder 'Wann fängst du an, mich zu schlagen?' ziehen sich durch das ganze Buch. Das tut richtig weh. Der Autor legt damit aber auch falsche Fährten."

Eingeholt von der Vergangenheit

Davide Longos Krimi schließlich, das jüngste der drei Bücher, erzählt davon, wie ein Kommissar und seine Mitstreiter von der eigenen Vergangenheit eingeholt werden. Die Spuren eines Verbrechens führen zurück in die 1970er und zum Terror der "Roten Brigaden", einem Kapitel der italienischen Geschichte, das bis heute nur wenig aufgearbeitet wurde.
Tatsächlich sei bis heute nicht geklärt, "welche Rolle Altfaschisten, rechte Geheimdienste in diesen bleiernen Jahren gespielt haben", so Tabea Grzeszyk, und "je tiefer die Kommissare in den alten Akten graben, desto unklarer werden die Fronten." Die Stärke der Literatur liege aber ja gerade darin, "komplex zu erzählen und Beziehungen und Abhängigkeiten zum Vorschein bringen, die unsere Gesellschaften mit den Terroristen verbinden."
"Literatur besitzt eben die Kraft, die Vereinfachung zu durchbrechen, sozial komplexe Zusammenhänge zu beschreiben und eben diese Grenze zwischen uns und 'den anderen' zu verwischen", so Grzeszyk. "Das ist aber auch unglaublich irritierend, weil diese Texte dann letztlich nicht von den anderen handeln, sondern sie halten uns selbst den Spiegel vor."
(fka)

Davide Longo: Die jungen Bestien
Aus dem Italienischen übersetzt von Barbara Kleiner und Friederike von Criegern
Rowohlt Verlag, Hamburg 2020
416 Seiten, 22 Euro

Fikri El Azzouzi: Sie allein
Aus dem Flämischen übersetzt von Ilja Braun
DuMont Verlag , Köln 2017
256 Seiten, 22 Euro

Åsne Seierstad: Einer von uns. Die Geschichte eines Massenmörders
Aus dem Norwegischen übersetzt von Frank Zuber und Nora Pröfrock
Verlag Kein und Aber, Zürich 2016
544 Seiten, 26 Euro

Mehr zum Thema