Telenotarzt unterstützt Sanitäter

Schnelle Rettung per Video

Rettungssanitäter behandeln in Greifswald eine junge Frau in einen für den Telenotarztdienst ausgebauten Rettungswagen.
Beim Projekt "Land-Rettung" können die Sanitäter sofort Kontakt zu einem Notarzt aufnehmen. © Stefan Sauer /dpa
Von Silke Hasselmann · 03.09.2018
Seit einigen Monaten gibt es in Vorpommern-Greifswald den Telenotarzt: Er kann Rettungssanitäter per Videoschaltung unterstützen, schnell Diagnosen stellen und Anweisungen geben. Das kann Zeit sparen und Leben retten.
Rettungswache Heringsdorf auf der Insel Usedom. Gerade erst ist der diensthabende Notfallarzt Tomasz Ucinski von einem zweistündigen Einsatz zurückgekehrt, bei dem er und der begleitende Rettungsassistent auch das 50 Kilometer entfernte Krankenhaus in Anklam anfahren mussten. Nun wendet sich ein nahegelegenes Pflegeheim über die 112 an die Leitstelle. Und die an die Heringsdorfer Rettungswache.
"Moment, ja. Wir müssen los nach Heringdorf. " – Ein alter Herr mit akuten Kreislaufproblemen. Tomasz Ucinski entscheidet: Für diesen Einsatz reicht der Notarzt-SUV. Der große Rettungswagen bleibt vor dem roten Garagentor stehen. Gut so. Denn auch wenn der Notarzt für eine Weile nicht hierher zurückkehren sollte, mit diesem Rettungswagen könnte der zweite Rettungsassistent in der Wache schon mal allein zu Patienten oder Unfallopfern fahren.

Pilotprojekt "Land-Rettung" zeigt erste Erfolge

Es handelt sich nämlich um einen von sechs Telenotarzt-Rettungswagen, mit denen der Landkreis Vorpommern-Greifswald seit vorigem Oktober das Pilotprojekt "Land-Rettung" durchführt. Mitorganisiert hat es Lutz Fischer, Oberarzt an der Universitätsmedizin Greifswald und seit 23 Jahren als ärztlicher Leiter zuständig für den Rettungsdienst im Landkreis.
"Ich bin selber geschulter Telenotarzt und arbeite selber auch an der Stelle. Also das, woran ich von Anfang an geglaubt habe, scheint auch wirklich aufzugehen. Ganz Deutschland schaut ein Stück weit nach Greifswald, weil hier im ländlichen Raum der Telenotarzt, der ja eigentlich ein geschützter Begriff aus Aachen ist, aber wir das von Aachen sozusagen eingekauft haben, ist erstmalig in so einem riesigen, demografisch besonderen Raum eingesetzt. Wir merken natürlich auch, dass die Nachbarn auf uns schauen und dass die sagen: Wenn das so gut läuft - warum kriegen wir das nicht längst? Denn wir brauchen das in bestimmten Gebieten sofort. In Nord-Rügen oder auf dem Darß beispielsweise."

Fernuntersuchung per Kamera und Mikrofon

Lutz Fischer weiß, wovon er spricht, übernimmt er doch regelmäßig Dienste in der Telenotarzt-Zentrale. Die ist in der Uniklinik Greifswald angesiedelt und rund um die Uhr besetzt. Die Rettungswagen mit der Aufschrift "Telenotarzt" wiederum sind mit einer hochauflösenden Videokamera und anderer modernster Kommunikationstechnik ausgerüstet. Sobald die Unfallsanitäter – wie in diesem Fall – am Ort des Geschehens eingetroffen sind, legen Kopfhörer samt Mikrofon an und sprechen mit dem Telenotarzt, während sie sich um den Patienten kümmern. Parallel übermittelt sie in Echtzeit und sicher verschlüsselt Daten über Blutdruck, Sauerstoffsättigung, Herztöne.
Ein Telenotarzt dirigiert in Greifswald (Mecklenburg-Vorpommern) von seinem Büro-Arbeitsplatz den Rettungsdienst an der entfernten Unfallstelle.
Von der Zentrale gibt der Telenotarzt per Videoschaltung Anweisungen.© Stefan Sauer/ dpa
"Kreislaufwerte sind jetzt übermittelt worden. Die hast du. Der Blutdruck-Kreislauf ist stabil. Sie klagt über starke Schmerzen auf der Skala sieben bis acht."
Der Assistent kann den Patienten im Rettungswagen auch für eine erste Fernuntersuchung vor eine Kamera setzen, die der Telenotarzt in der Greifswalder Zentrale steuern kann. Er hat alle Bilder und Daten auf dem Bildschirm vor sich und trifft erste Entscheidungen etwa über die Vergabe schmerzstillender Medikamente.
"10 Milligramm Morphin. Und ein Gramm Novalgin in 50 Milliliter NHCl noch. Und wenn ihr soweit seid, sagt ihr mit bitte noch einmal Bescheid!"
Eine Kamera in einen für den Telenotarztdienst ausgebauten Rettungswagen.
Neue Ausstattung: die Kamera im Rettungswagen, über die der Telenotarzt Diagnosen stellen kann.© Stefan Sauer/ dpa
Das System funktioniert über Satellit und damit auch in Gegenden mit Mobilfunklöchern und schwachem Internetzugang, was in dem riesigen Landkreis Vorpommern-Greifswald durchaus vorkommt. In den über 650 Einsätzen seit Projektbeginn vorigen Oktober habe man jedenfalls gute Erfahrungen gesammelt, sagt Rettungsdienstchef Lutz Fischer.
"Wir haben an vielen Stellen dort, wo normalerweise ein Notarzt eingesetzt werden würde – das sind aber niedrigschwellige Notarzteinsätze, das muss man immer dazu sagen – dort kann der Telenotarzt ausgezeichnet einspringen. Aber ein Problem dabei ist: Wir haben im gesamten Landkreis fast 30 Rettungswagen. Und jetzt stellen Sie sich vor: Es sind nur sechs davon ausgerüstet. Der Telenotarzt kann also wirklich nur mit diesen sechs so kommunizieren, dass es rechtlich abgesichert ist. Da stößt das Projekt sicherlich an Grenzen, wo wir sagen würden, es wäre schöner, es würde ein geschlossener Raum sein, wo sehr viele Rettungswagen ausgerüstet sind."

Hohe Investitionen sind nötig

5,4 Millionen Euro hat der Bund aus dem Innovationsfonds für das Projekt "Land-Rettung" bereitgestellt, das noch gut zwei Jahre läuft. Lutz Fischer weiß: Ein Telenotarzt-System einzuführen ist teuer. Man braucht speziell ausgerüstete Rettungswagen und zusätzliche Mediziner, denn die Arbeit in der Zentrale könne man nicht neben dem normalen Stations- oder Notarztdienst erledigen.
"Die müssen extra da sein. Also ich kann nicht sagen: Der fährt oder spricht. Sondern es muss jemand da sein, der sich in der Zentrale befindet, der dort 24 Stunden vorgehalten wird. Das ist sicherlich ein großer Kostenfaktor, und es ist auch kein geringer Kostenfaktor, die Fahrzeuge auszustatten. Also 50.000 Euro pro Fahrzeug muss man schon rechnen. Und: Wenn ich das Ganze anschiebe, muss ich am Anfang auch ausbilden. Also nicht nur die Telenotärzte, sondern ich muss auch die Rettungsassistenten und Notfallsanitäter befähigen, mit dem Telenotarzt zu kommunizieren. Die Art und Weise, wie man das Ganze aufbaut. Das System der Qualitätssicherung, das da auch mit dran hängt. Aber wenn das einmal läuft, ist das natürlich eine tolle Sache."
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