Elektronische Sprechstunde

Entlastung für Ärzte, Pfleger und Patienten

Eine Pflegerin legt einer Bewohnerin der Seniorenresidenz Klosterbauerschaft in Kirchlengern (Nordrhein-Westfalen) im Rahmen einer elektronischen Visite ein EKG-Gerät an, dass die Daten an einen Tablet-Computer und von dort aus zum Arzt überträgt.
Die elektronische Visite: bessere Betreuung, weniger Stress für die Patienten. © picture alliance / Marius Becker
Von Dietrich Mohaupt · 03.09.2018
Auf dem Land sind Hausbesuche einfach ein Zeitproblem. Auch wegen des Ärztemangels. Zum Glück lässt sich die Visite auch per Video-Übertragung machen. Gerade bei älteren Patienten in Seniorenheimen ist das eine Erleichterung.
Dr. Hans-Jürgen Beckmann ist Facharzt für Chirurgie. Er sitzt in seinem Büro am Schreibtisch, vor ihm steht ein großer Computerbildschirm auf dem eine kleine Kamera montiert ist. Das Programm elVi hat schon mit dem Verbindungsaufbau zu einem Seniorenheim im etwa 15 Kilometer entfernten Städtchen Löhne begonnen.
"So, wir sehen jetzt, dass hier diese kleine Kamera grün wird, damit wissen wir, dass das Seniorenzentrum St. Laurentius, ein Heim mit über 160 Bewohnern…" – Ein akustisches Rufsignal unterbricht die Erläuterungen, die Verbindung steht bereits, auf dem Bildschirm ist ein Pfleger zu sehen, der bei einer Bewohnerin des Seniorenzentrums am Bett sitzt.

Zahl der Krankentransporte sinkt rapide

"Hallo – moin! So, dann legen wir mal los. Wen stellen wir vor, ganz kurz, bei wem sind wir jetzt?"
Die Antwort des Pflegers kommt aus einem kleinen Lautsprecher. Die Sprachqualität ist nicht ganz so gut, das Bild dafür perfekt. Doktor Beckmann kennt die Patientin, akute Probleme gibt es nicht, der Arzt will sich nur kurz einen Überblick verschaffen.
"Und wie ist der Zustand? Können wir einmal die Kamera einstellen?"
Der Pfleger versucht, die Kamera nach den Wünschen des Arztes auszurichten.
"Okay, etwas Abstand bitte mit der Kamera. So ist gut, und jetzt stillhalten. Jawohl, gut!"
Für Hans-Jürgen Beckmann ist diese Art der Visite schon Routine. Besonders für schwer demente Patienten, wie in diesem Fall, habe sich diese Art des Arztbesuchs seit dem Start des Projekts vor drei Jahren als sehr positiv erwiesen. Die Zahl der notwendigen Patiententransporte sei um 60 bis 70 Prozent reduziert worden.
"Früher sah das so aus: Wenn Sie zum Beispiel so Wundkontrollen hatten, dass diese Leute durchaus einmal pro Woche mit einem Krankenwagen, liegend Transport, vom Heim in die Praxis zehn oder zwölf oder 15 Kilometer weit gefahren wurden, dort kurze zwei, drei Minuten Kontrolle, dann wieder auf die Trage, Transport zurück ins Heim. Die Pflegekräfte können ein Lied davon singen, dass gerade demente Patienten – dadurch sehr aus ihrer gewohnten Situation gerissen – sehr stark reagieren, die Verwirrtheit hat zugenommen. Also, das war immer ein Mordsaufwand."

"Die Patienten haben da keine Hemmungen"

Im Seniorenheim ist Daniel Uhrmacher einer der Pfleger, die sich speziell mit elVi eingearbeitet haben. Die Videovisite ist nichts Ungewöhnliches mehr, weder für die Pfleger noch für die Bewohner, berichtet er.
"Hier im Haus ist das Prinzip schon wirklich Alltag geworden. Wir machen viele Arztvisiten in der Woche. Ich denke mal so um die fünf. Also nach einer kurzen Erklärung muss ich wirklich sagen, es haben alle Bewohner positiv aufgenommen und außerdem reden die Bewohner ja über die Kamera und das Tablet mit dem Arzt selber, und die haben da wirklich keine Hemmungen."
In diesem Fall findet die Kommunikation allerdings nur zwischen Arzt und Pfleger statt. Daniel Uhrmacher hat die Patientin bereits vorbereitet, sie hat ein Liegegeschwür.
"Ich drehe jetzt einmal die Kamera, dann können Sie sich die Stelle anschauen." – "Ja gut." – "Die ist statisch jetzt seit Wochen?" – "Ja. Das wird zumindest nicht größer, das Ganze." – "Was ist im Moment drauf, Alginat, oder?" – "Genau, es wird austamponiert mit Alginat und mit einer Kompresse abgedeckt." – "Ja, okay."
Ein paar kurze Fragen noch, der Arzt lässt sich mit der Kamera noch ein paar andere Hautstellen zeigen, ist aber soweit zufrieden mit dem Zustand der Patientin.
"Ja, gut, die Haut sieht gut aus, da müssen wir nix Großes machen, Alginat weiter." – "Okay, dann wieder in 14 Tagen, elf Uhr." – "Und wenn was ist, dann melden Sie sich ja sowieso, wenn irgendetwas Besonderes ist, dann können wir zwischendrin mal drauf schauen." – "Okay, machen wir das so!"

Wenig Wartezeit, schnelle Diagnosen

Nach ein paar Minuten ist die Videovisite beendet. Das System habe sich bewährt, vor allem für die Heimbewohner, aber auch für das Pflegepersonal, betont die Leiterin des Seniorenheims St. Laurentius, Heike Strüber.
"Letztendlich ist es für beide Bereiche sehr gut, einmal für den Bewohner, der nicht jedes Mal zu einem Arztbesuch in die Praxis muss, und auch dem Mitarbeiter wird es dann dadurch erleichtert, weil er immer eine Sicherheit durch den Arzt im Hintergrund hat und wir in viel schnellerer Form an ein Ergebnis kommen können."
Das Ganze hat aber natürlich auch Grenzen – Stichwort schnelles Internet. Die notwendige Infrastruktur, um überall auch in ländlichen Regionen Bild und Ton in guter Qualität übertragen zu können, ist nicht immer gegeben – auch in Löhne nicht, bedauert der Pflegedienstleiter des St. Laurentius Seniorenheims, Stefan Budde.
"Ich sage mal so: Freitags am Nachmittag brauchen wir keine elVis zu machen, weil dann wissen wir haargenau: Das Bild kommt nicht rüber. Da wäre natürlich von der Infrastruktur her ein Ansinnen, dass es da ein bisschen besser wird."

Neue Regelung erleichtert elektronische Visite

Hans-Jürgen Beckmann hofft das auch – die Videovisite, das ist für ihn die Zukunft. Im Mai hat sich auch der Deutsche Ärztetag für die Erweiterung der Online-Sprechstunde ausgesprochen. Bisher war eine Fernbehandlung nur erlaubt, wenn Arzt und Patient sich bereits kannten. Die neue Regelung erlaubt nun auch einen Erstkontakt über elektronische Medien.
Er wolle nicht den klassischen Arztbesuch durch Online-Visiten vollständig ersetzen, betont Hans-Jürgen Beckmann, aber "der Weg in dieses etwa 15 Kilometer entfernte Pflegeheim, wohin wir gerade diese Video-elVi-Schaltung hatten, der ist zehn Mal so lang, wie die zwei, drei Minuten Begutachtung, die Sie gesehen haben. Und wir haben hier am Tag 120 bis 140 Patienten – mit mehreren Chirurgen zusammen – zu sehen, und die Zahlen nehmen weiter zu. Woher sollen wir denn die Zeit nehmen, den ganzen Tag solche Visiten zu fahren."
Täglich zwei bis drei Stunden mehr Zeit verschaffe ihm elVi, rechnet Hans-Jürgen Beckmann vor: Zeit, die er und seine Kollegen bei steigenden Patientenzahlen und gleichzeitig rasant wachsendem Ärztemangel in ihren Praxen vor Ort gut gebrauchen könnten.
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