Tana French: "Der Sucher"

Wild Wild West in Irland

04:51 Minuten
Das Cover des Kriimis von Tana French, "Der Sucher", auf orange-weißem Grund.
Frieden schaffen mit Waffen? Von wegen - Tana French macht das Mitgefühl als Problemlöser stark. © Deutschlandradio / Scherz
Von Katrin Doerksen · 29.10.2021
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Tana French erzählt in ihrem Krimi von einem US-Polizisten, der in einem entlegenen irischen Dorf nach einem entführten Kind sucht. Diese lesenswerte Dekonstruktion der Figur des hartgesottenen Ermittlers entdeckt das Mitgefühl als Waffe.
Da ist sie wieder, die Hitze im Nacken. Jemand beobachtet Cal. Damit sollte es eigentlich längst vorbei sein: Nach seiner Scheidung ist er in ein kleines Dorf im Westen Irlands gezogen; mit nichts als dem Plan, den lieben langen Tag ein baufälliges Cottage zu restaurieren.
Doch dann taucht plötzlich dieses halb verwahrloste Kind bei ihm auf. Irgendwo muss Trey gehört haben, dass Cal in seinem früheren Leben ein Chicagoer Polizist war. Nun soll er helfen: Treys großer Bruder wird vermisst und auf den umliegenden Feldern häufen sich die Fälle brutal verstümmelter Schafe. Irgendwas stimmt nicht in Ardnakelty und trotz aller guten Vorsätze gelingt es Cal nicht sich rauszuhalten.

Ein Kopfnicken in Richtung John Ford

Ihre sechsteilige "Dublin Murder Squad"-Reihe hat die halbirische Schriftstellerin Tana French bekannt gemacht, zusammen genommen bildet sie ein literarisches Abbild des wirtschaftlichen Niedergang Irlands nach dem Boom der Nullerjahre. Mit "Der Sucher" legt sie nun schon ihren zweiten Standalone-Krimi vor.
Im englischen Originaltitel ist das Kopfnicken in Richtung John Fords großer Westernklassiker noch deutlicher: "The Searcher", das klingt fast wie "The Searchers", in dem John Wayne 1956 auf die Suche nach einer von den Comanchen verschleppten Farmerstochter ging.

Spießrutenlauf für den Ex-Polizist

"Der Sucher" ist also Wild Wild West in Irland: Nur ist hier ausgerechnet der US-Amerikaner Cal der Außenseiter, der Fremde in einer streng reglementierten Dorfgemeinschaft, in der die Männer im Pub miteinander singen und sich hinterher in der dunklen irischen Nacht mit Gewehren bedrohen. Wo die Redseligkeit der Gemischtwarenhändlerin nur noch von der Geschwätzigkeit der Krähen übertroffen wird, die im knorrigen Baum vor Cals Grundstück von nahendem Unheil künden.
Für den Ex-Polizist wird seine neue Aufgabe zunehmend zum Spießrutenlauf: Folgt er seinem Moralkodex, bringt er die Alten in Rage, die argusäugig darüber wachen, dass das Leben in Ardnakelty ewig so weitergeht wie bisher. Aber andernfalls kann er nicht mehr in den Spiegel schauen.

Dekonstruktion eines hartgesottenen Ermittlers

Die Grundbausteine von "Der Sucher" sind im Grunde typisch für Tana French: Sie erzählen die Geschichte eines Ermittlers, der, um seinen Fall zu lösen, das soziale Gefüge des Dorfes durchdringen und Klassenvorurteile überwinden muss.
Nur ist in diesem police procedural der Polizist genau genommen kein Polizist mehr. Ohne Dienstmarke ist Cal auf seine zwischenmenschlichen Kompetenzen zurückgeworfen: Beziehungsdynamiken beobachten, den Leuten raffiniert Informationen entlocken, zwischen den Zeilen lesen, seinen Instinkten trauen, und am wichtigsten: vertrauenswürdige Partner finden.
Das macht "Der Sucher" zu einem atmosphärischen slowburner einerseits. Andererseits dekonstruiert der Krimi auch ganz nebenbei den Figurentyp des hardboiled detective ebenso wie den Westernmythos vom einsamen Wolf, der sein Schweigen nur gelegentlich für einen Grunzer unterbricht und im richtigen Moment schießt.
Waffen lösen in "Der Sucher" ganz sicher keine Probleme. Die Alternative, die Tana French anbietet, heißt: Mitgefühl.

Tana French: "Der Sucher"
Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann
Fischer Scherz, Frankfurt am Main 2021
496 Seiten, 22 EUR

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