T. C. Boyle: "Good Home. Stories"

Gute und sehr gute Geschichten

Von Sigrid Löffler · 27.01.2018
T.C. Boyles neuer Erzählband "Good Home" taucht ein ins dunkle Amerika: Die Protagonisten sind Außenseiter, Glücklose, Verwahrloste. Ihren Ausgang nehmen Boyles Geschichten oft bei einer Zeitungsmeldung, am Ende ist eine kunstvoll gearbeitete Erzählung daraus geworden.
Der Erzähler T.C. Boyle, Jahrgang 1948, stammt aus New York, lebt in Kalifornien und ist einer der produktivsten amerikanischen Autoren. Sein Œuvre umfasst inzwischen sechzehn Romane und mehr als 100 Kurzgeschichten. In den 36 Jahren seit seinem Debüt-Roman "Wassermusik" (1982) veröffentlicht er abwechselnd jedes Jahr einen Band Kurzgeschichten oder einen Roman. Im Vorjahr erschien auf Deutsch sein 16. Roman "Die Terranauten". Also folgt nun wieder ein Erzählungsband: eine Sammlung von 20 Stories unter dem Titel "Good Home".
Die Original-Erzählungen sind in den letzten anderthalb Jahrzehnten entstanden und wurden zuerst in diversen US-Magazinen publiziert. Sie geben einen guten Querschnitt durch die Themen, die seit jeher T. C. Boyles Werk bestimmen: Ökologie und Umweltschutz, Leben mit der Natur, das gestörte Verhältnis von Mensch und Tier, missglückende Beziehungen von Menschen zu ihren Nächsten. Hinter der Zivilisation scheint immer und oft bedrohlich die ursprüngliche Wildnis auf.

Erstickende soziale Kontrolle in der amerikanischen Mittelschicht

In Boyles Welt sind die Menschen meist einsam und isoliert; oft lassen sie einander in Notlagen im Stich und übernehmen keine Verantwortung, ihre Kontakte zu anderen Menschen sind nicht selten von Lügen und Missverständnissen geprägt. In der preisgekrönten Story "Tod in Kitchawank" etwa schafft es der Autor, das ganze Leben einer Mittelstands-Familie und ihrer Freunde auf zwei Dutzend Seiten unterzubringen. Im Grunde geht es um die erstickende soziale Kontrolle in der wohlanständigen amerikanischen Mittelschicht und um die Tyrannei wohlmeinender und selbstgerechter Familienmütter, die sich unheilvoll in das Leben ihrer Kinder und ihrer Nachbarn einmischen – ein Motiv, das in den Erzählungen mehrfach auftaucht.
Fast immer haben auch Tiere ihre Auftritte – reale, imaginierte, halluzinierte und metaphorische. In "Good Home" etwa, der titelgebenden Story des Bandes, antwortet ein Mann auf Inserate, in denen ein tierfreundliches Zuhause für niedliche Kätzchen und Hundewelpen gesucht wird: Er benötigt sie allerdings als "Ködertiere" für seine mörderischen Pitbulls. Und in der Erzählung "Das Schweigen" zieht sich ein Mann in die Wüste zurück, in eine Sekte, die sich drei Jahre des Schweigens und der Meditation verordnet hat. Dort wimmelt es von Taranteln und Klappenschlangen, die Frau des Mannes wird gebissen und stirbt, weil keiner der zum Schweigen verpflichteten Adepten Hilfe herbeirufen darf. Doch über allem Elend schwebt, wie ein Zeichen der Hoffnung, eine Libelle in perfekter Anmut und Schönheit.

Stoffe aus der Zeitungslektüre

Boyles Figuren sind oft Außenseiter, Drifter, Glücklose, Verwahrloste und Verlorene, die nichts auf die Reihe kriegen. Sein Amerika-Bild ist von den Verlierern auf der Schattenseite geprägt. Sein Universum ist unfreundlich, erschreckend und geheimnisvoll. Es bietet den Menschen keine Heimat. Dennoch ist Boyles Erzählton weder düster noch tragisch – vielmehr leistet er sich Ausflüge ins Bizarre, ins Absurde, in die Farce und in den Horror. Meist jedoch herrscht ein Ton des nüchternen Pragmatismus, der das Leben nimmt, wie es ist, und die Menschen, wie sie eben sind. Der Tod, nicht selten gewaltsam und plötzlich, spielt eine gewichtige Rolle. Kaum überraschend, dass dieser Autor seine Stoffe zumeist aus der Zeitungslektüre bezieht.
T.C. Boyle führt in diesem Band das ganze Repertoire seiner narrativen Techniken auf engem Raum sehr kunstvoll vor. Auch wenn nicht alle Erzählungen in diesem Band gleichermaßen kunstvoll durchgearbeitet sind – angesichts der Qualität der besten Geschichten dieses Bandes nimmt man auch die schwächeren gern in Kauf.

T.C. Boyle: "Good Home", Stories
Aus dem Amerikanischen von Anette Grube und Dirk Gunsteren
Verlag Carl Hanser, München 2018
432 Seiten, 23 Euro

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