T.C. Boyle

Psychogramm der amerikanischen Seele

Der US-Schriftsteller T.C. Boyle
Der US-Schriftsteller T.C. Boyle hat sich wieder seine Landsleute vorgeknöpft. © imago/Horst Galuschka
Von Philipp Albers  · 03.02.2015
T.C. Boyle macht sich wieder auf in die Untiefen der US-Gesellschaft. Seine Antihelden in "Hart auf hart" sind einsame Gestalten: ein Vietnamveteran, der mit bloßen Händen einen Räuber tötet und eine 40-jährige, die einer Sekte angehört. Ein beißender Kommentar zur Lage eines tief gespaltenen Landes.
Bürgerwehren, die Selbstjustiz üben, militante anti-staatliche Bewegungen, wirre Verschwörungstheoretiker, Survivalists, die sich auf einen angeblich drohenden Bürgerkrieg vorbereiten, Waffenfanatiker, Amokläufer: die gesellschaftlichen Ränder in den USA sind schon immer bunter und breiter, radikaler und gewaltbereiter gewesen als anderswo – und das nicht erst mit dem Aufkommen der erzkonservativen Tea Party.
Dieses Milieu steht im Zentrum des neuen Romans "Hart auf hart" von Kultautor T.C. Boyle, der in seinen Büchern immer wieder die Widersprüche und Abgründe der amerikanischen Gesellschaft mit ebenso überspannter Satire wie bitterer Tragik ausleuchtet.
Die Geschichte kreist um drei Figuren: der cholerische Pensionär und Vietnamveteran Sten tötet auf einer Kreuzfahrt während des Landgangs einen jugendlichen Räuber mit bloßen Händen – und wird dafür als Held gefeiert. In der kalifornischen Heimat patrouilliert er als Mitglied einer Bürgerwehr durch die Wälder, um versteckte Drogenplantagen mexikanischer Gangs aufzuspüren.
Polizisten sind für sie bloß Clowns
Die 40-jährige, geschiedene Sara lebt allein mit ihrem Hund und schlägt sich als Hufschmiedin durch. Sie ist Anhängerin der Sovereign Citizens, einer spinnerten Verschwörersekte, die die Regierung und sämtliche staatliche Institutionen für illegitim hält. Steuern zahlt sie aus Prinzip nicht, Polizisten sind für sie bloß Clowns in Halloweenkostümen, was ihr dauernd Scherereien mit dem Gesetz einbringt. Sie ist renitent und bewundert den Oklahoma-Bomber Timothy McVeigh, überschreitet selbst die Grenze zur Gewalttätigkeit aber nicht.
Anders Adam, Stens 25-jähriger Sohn, den Sara am Straßenrand aufgabelt. Adam ist schizophren, hoch paranoid und hat sich völlig von der Gesellschaft abgekoppelt. Die meiste Zeit treibt er sich bis an die Zähne bewaffnet in den Wäldern herum, hält sich für den Wiedergänger eines knallharten Trappers aus Wildwesttagen und sieht überall feindliche "Aliens".
Aus der Begegnung dieser beiden Outlaws entwickelt sich eine Liebesgeschichte, doch wirklich zueinander finden sie nicht, denn Adams Wahn führt ihn immer tiefer in die Wälder und er schießt schließlich auf jeden, der sich ihm in den Weg stellt.
Tiefen und Untiefen der amerikanischen Geschichte
Wie oft in seinen Romanen grundiert Boyle sein Thema in den Tiefen und Untiefen der amerikanischen Geschichte. Hier ist es der Trapper John Colter, in den sich Adam mehr und mehr als Vorbild hineinfantasiert. Der hat wirklich gelebt, war Teil der berühmten Lewis-and-Clark-Expedition, die um 1800 als erste Weiße die Wildnis der westlichen USA erkundeten.
Colter ist ein Einzelgänger, der sich gegen die Widrigkeiten der Natur und die Indianer durchschlägt. Mit seiner Gestalt verweist Boyle auf den gewalttätigen Frontier-Mythos und des Wilden Westens als einen immer noch zentralen Bezugspunkt des amerikanischen Selbstverständnisses.
In gewohnt rasanter Manier und einfühlsamen Porträts seiner Außenseiterexistenzen zeichnet Boyle ein Psychogramm der in übersteigertem Individualismus verhärteten amerikanischen Seele: der unbedingte Wille zu vollkommener Unabhängigkeit und der Traum von Freiheit münden schicksalhaft in die Unfreiheit von Hass und Gewalt. Und liefert damit einen beißenden Kommentar zur Lage seines tief gespaltenen Landes.

T.C. Boyle: "Hart auf hart"
Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren
Hanser Verlag, München, 2015
400 Seiten, 22,90 EUR

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