Systemtheorie

Wie können Plattformen begriffen werden?

14:15 Minuten
Illustration von drei Händen, die ein Smartphone mit leerem Display halten.
© imago / fStop Images / Malte Mueller
Dirk Baecker im Gespräch mit Teresa Sickert und Marcus Richter · 21.12.2019
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Die Macht von Plattformen ist schwer zu beschreiben, die Systemtheorie könnte dabei helfen. Ein Gespräch mit Dirk Baecker.
Plattformen wie Facebook, Twitter und TikTok werden bislang hauptsächlich durch sich selbst und nicht durch die Politik reguliert. Dazu kommt, dass eine gesetzliche Regulierung auch schwer umzusetzen scheint. Eine Feststellung, die Benjamin H. Bratton hat sie in seinem Buch "The Stack" auf den Punkt gebracht hat: Für eine nationalstaatliche Regulierung, abgesehen von den meist unterschätzten beziehungsweise nicht riskierten rechtlichen Mitteln, bieten sich hier in der Tat wenig Ansatzpunkte.
Doch ist das so? Wie mächtig Plattformen sind, lässt sich anhand der Systemtheorie beschreiben, die von größtenteils selbstregulierenden und beinahe autarken Systemen ausgehen. Das glaubt zumindest der Soziologe und Professor für Kulturtheorie und Management an der Universität Witten/Herdecke, Dirk Baecker.

Moderne Plattformen sind fast wie Bahnsteige

Zum einen seien Plattformen etwas ganz Neues, gleichzeitig aber auch etwas sehr altes. So brauche man nur daran zu denken, dass "platform" im Englischen ein Bahnsteig ist: "Auf der einen Seite haben Menschen freien Zutritt auf der anderen Seite halten Züge und die Plattform dient dazu die einen mit den anderen zu verbinden. Der neue Witz an der Geschichte ist, dass man dies auf technologischer und organisatorischer Basis zu etwas wie dem Vermittlungs- und Austauschprinzip unserer Gesellschaft gemacht hat", so Baecker. Elektronische Medien ermöglichten es, die eigenartigsten Nutzer- und Angebotsinteressen miteinander zu verknüpfen – mit dem gleichen freien Zugang, den Bahnsteige böten.
Diese Bahnsteigmetapher funktioniere auch mit dem der von Benjamin H. Bratton aufgestellten These, dass Plattformen gleichzeitig zentralisierend und dezentralisierend wirken, da man am Ende monopolistischen Unternehmen ausgeliefert sei. Und auch an einem Bahnsteig könne man eben nur in Züge und nicht Busse oder Autos einsteigen. Auf die gleiche Art könne man bei Facebook eben nur Dinge posten und teilen und nicht alles machen, was man will.
Gleichzeitig seien diese Plattformen ein selbstoptimierendes System. Baecker formuliert das so: "Die Pointe ist, dass auf einer algorithmischen Ebene ein Programm definiert wird das spezifische Nutzerinteressen kombiniert. Gleichzeitig werden diese Nutzer überwacht bzw. deren Daten erhoben und aus den erhobenen Daten werden Formen abgeleitet wie, man diesen Nutzern noch besser dienen, beziehungsweise sie noch länger auf der Seite halten kann." Dies sei ein neues Phänomen, an dem sich moderne Plattformen von der Bahn unterscheiden.

Selbstregulation ja, aber nur in einem rechtlichen Rahmen

Ein Fehler, der laut Baecker gemacht worden sei, war Plattformen mit Telefonzentralen zu verwechseln, die den Inhalt der Nutzer nicht beeinflussen. Doch inzwischen sei es bekannt, dass die verwendeten Algorithmen, die entscheiden, welcher User was zu sehen bekommt, massiven Einfluss auf die Inhalte und deren Wahrnehmung hätten. An dieser Stelle müsse man auf rechtlicher und politischer Ebene eingreifen und die Plattformen, für die Inhalte, die sie transportieren, verantwortlich machen.
Baecker vergleicht die Situation mit Wirtschaft, Parteien und Kirchen, die ähnlich wie soziale Netzwerke im Sinne der Systemtheorie zwar selbstorganisiert seien, aber sich trotzdem in rechtlichen Grenzen bewegen müssen. "Nur ein stabiler rechtlicher Rahmen, zum Beispiel in Fragen der Haftung oder in Fragen der Offenlegung von Algorithmen, ermöglicht bestimmten Plattformen, tatsächlich auch erfolgreich weiterzuarbeiten. Man muss das eine mit dem anderen kombinieren."
Dabei sei es wichtig genau hinzuschauen, welche Regulierung bei welcher Plattform die angemessene sei, doch allgemein gesprochen seien die Möglichkeiten durch rechtliche und politische Maßnahmen einzugreifen extrem unterschätzt worden. "Denken Sie nur an das Kartellrecht: Die Plattformen, bei denen wir uns jetzt fürchten irgendwelche Regeln zu erlassen und die dann zur Einschränkung der Meinungsäußerung führen, sind vielfach Monopole." Für genau solche Fälle sei im Kartellrecht die Möglichkeit Unternehmen zu zerschlagen vorgesehen.

Filterblasen sind unter- und überschätzt zugleich

Auf Filterblasen angesprochen sagt Baecker, dass das Konzept zugleich unter- und überschätzt wird. Denn einerseits sei es durch ein bisschen scrollen auf Google oder wenn man die Augen auf Facebook aufhält relativ einfach möglich Dinge zu finden, die nicht von primärem, sondern sekundärem Interesse seien. Trotzdem gebe es auch Leute, die alles dafür täten, ihre Blase nicht zu verlassen.
Aus dieser Perspektive sieht er es problematisch, wenn Akteure in Wirtschaft, Religion oder Politik in der Lage seien, ihre Zielgruppen so genau zu bestimmen, dass man sie mit der richtigen Falschinformation so manipulieren könne, eine bestimmte Partei oder Religion zu wählen. Trotzdem sollte für Baeckers in einer liberalen Gesellschaft niemand gezwungen werden, seine Blase zu verlassen:
"Ich zwinge ja auch nicht Menschen durch bestimmte Einkaufshallen zu laufen und andere Einkaufsmeilen nicht aufzusuchen. Das muss man schon jedem selbst überlassen. Ich finde auf der Ebene ist so etwas wie Aufklärung entscheidend. Es muss den Leuten klar sein, von welchen Algorithmen ihr Verhalten beobachtet wird und dementsprechend muss ihnen eine Wahl eingeräumt werden, aber doch bitte kein Zwang." Wenn wir jedoch befürchteten, dass Plattformen die Macht haben, Menschen unbewusst zu manipulieren, dann sei es wichtig die Offenlegung ihrer Algorithmen zu fordern. Dies ermögliche erst die Gestaltung genauer rechtlicher Rahmen.
Und für Baecker ist es durchaus möglich, dass wir einen Weg finden, Plattformen zu regulieren. Schließlich wüssten wir inzwischen welche Auswirkungen sie haben. "Im Moment würde ich sagen: Wir sind mit Monopolen konfrontiert, die eine ganz erstaunliche Macht der Lenkung unserer Aufmerksamkeit ausüben können. Aber wir wissen auch dass wir mit ihnen konfrontiert sind, denn sonst könnten wir dieses Gespräch gar nicht führen."
(hte)
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