Humanitäre Lage in Syrien

"Die Situation ist katastrophal"

05:47 Minuten
Eine Person mit hochgezogener Kapuze läuft eine unbefestigte Straße im Flüchtlingscamp entlang, die von Zelten gesäumt ist.
Viele Syrer müssen den zwölften Winter in Folge im Zelt leben wie hier im Flüchtlingscamp Ataa nahe Idlib. © Anadolu Agency via Getty Images / Anadolu Agency
Jacqueline Flory im Gespräch mit Ute Welty · 31.12.2022
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Der russische Krieg gegen die Ukraine hat das Leid in Syrien in den Hintergrund gedrängt. Die Spenden nehmen stark ab. Dabei leben viele Menschen weiter in Zelten und sind auf Hilfen angewiesen, warnt Jacqueline Flory von der NGO "Zeltschule".
Infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine nimmt die Spendenbereitschaft für Not leidende Menschen in Syrien ab: Diese Erfahrung macht der Hilfeverein "Zeltschule", der in Flüchtlingscamps in Syrien und im Libanon Schulen aufbaut und Familien mit Lebensmitteln versorgt.
Es sei "völlig legitim und richtig", an die Ukraine zu spenden, betont Gründerin Jacqueline Flory. Allerdings werde vergessen, dass das nicht Putins erster Krieg sei, "sondern dass er seit 2015 Städte in Syrien bombardiert und in Grund und Boden zerstört".

Mehrere Millionen Syrer sind Flüchtlinge

Derzeit kümmert sich "Zeltschule" nach Florys Angaben um rund 45.000 Menschen. Allerdings seien "mehrere Millionen Syrer" Binnenflüchtlinge oder lebten als Flüchtlinge im Libanon. Wegen fehlender Spenden habe die Organisation ihr Hilfsangebot nicht wie gewollt ausweiten können.
Allein in der syrischen Region Idlib gebe es "zahlreiche Camps, die von niemandem Unterstützung" bekämen. "Die Menschen sind dort völlig auf sich alleine gestellt", sagt Flory. Für viele sei es bereits der zwölfte Winter, den sie im Zelt verbringen müssten: "Die Situation ist wirklich katastrophal."

UN-Hilfsgüter landen auf dem Schwarzmarkt

Hilfe zu organisieren, bleibt aber auch für Florys Verein eine Herausforderung. Ob Feuerholz, Mehl, Öl, Gemüse oder Kartoffeln: Es gebe Lebensnotwendiges nur auf dem Schwarzmarkt zu kaufen. Dort lande ein großer Teil von UN-Hilfsgütern, die eigentlich kostenfrei an die Bevölkerung verteilt werden müssten.
Diese internationalen Lieferungen kommen über den türkisch-syrischen Grenzübergang Bab al-Hawa. Es ist die einzige Route, ohne von syrischen Regierungstruppen kontrollierte Gebiete passieren zu müssen. "Zeltschule" kauft die Dinge auf dem Schwarzmarkt und versorgt damit "ihre" Geflüchteten.
Baschar al-Assad gibt Wladimir Putin die Hand.
Verbündete: Seit Putin 2015 in den Syrien-Krieg militärisch eingriff, wendete sich das Blatt zugunsten von Machthaber Assad. Im UN-Sicherheitsrat erschwerte Russland wiederholt Hilfslieferungen an Not leidende Syrer im Nordwesten des Landes.© imago / ITAR-TASS / Mikhail Klimentyev
Nun stehen selbst diese Hilfsgüter nicht zum ersten Mal auf der Kippe: Am 10. Januar läuft nach einem halben Jahr das UN-Mandat dafür aus. Der Sicherheitsrat muss erneut über eine Verlängerung des seit 2014 bestehenden Mandats entscheiden.
Russland hatte zuletzt im Sommer darauf bestanden, dass es nicht um ein ganzes, sondern wieder lediglich um ein halbes Jahr verlängert werde. Es war nichts anderes als Erpressung, wie ein Diplomat gegenüber der Nachrichtenagentur AFP im Juli sagte: "Wir konnten nicht Menschen sterben lassen." Russland habe mit seinem Veto gedroht.
Laut der Argumentation Moskaus müsste grundsätzlich die syrische Regierung unter Machthaber Baschar al-Assad die Lieferungen beaufsichtigen. Das Gebiet in Nordwest-Syrien wird aber von Rebellen und extremistischen Gruppen kontrolliert, der Putin-Freund Assad hat dort keine Macht.

Zum Krieg kommen hohe Preise

Sollte die Grenze schließen, gäbe es nicht einmal mehr Waren auf dem Schwarzmarkt in Idlib. "Es hängen Menschenleben davon ab, dass dieses Mandat weitergeht", betont Flory. Man dürfe zudem nicht die vielfältigen Auswirkungen des Ukraine-Kriegs vergessen. Auch in Syrien und im Libanon seien die Preise deutlich gestiegen. Monatelang habe es kaum Mehl gegeben.
"Die Menschen haben dieselben Probleme, die wir haben – nur zusätzlich noch den Krieg", sagt Flory. "Ich wünsche mir, dass wir lernen, uns in einer immer komplexer werdenden Welt auf mehrere Konflikte und mehrere Krisen gleichzeitig zu konzentrieren."
(bth/AFP/epd)

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