Flüchtlingskinder in Syrien

Eine ganze Generation Analphabeten

07:54 Minuten
Drei Kinder sind von hinten dabei zu sehen wie sie durch ein Flüchtlingscamp laufen.
Unterricht sei für Kinder in Flüchtlingscamps oft die einzige Zeit, in der sie wirklich Kinder sein könnten, sagt Jacqueline Flory. © imago images / ZUMA Wire / Mahamad Kazmooz
Jacqueline Flory im Gespräch mit Dieter Kassel · 22.07.2022
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Viele syrische Kinder leben in Flüchtlingscamps. Ohne Bildung seien sie anfällig für Extremismus, warnt Jacqueline Flory vom Verein „Zeltschule“. Anders als in der Ukraine helfe der Westen kaum, obwohl Putin auch in Syrien Städte bombardierte.
Millionen Menschen in Syrien leiden weiter unter den Folgen des Bürgerkrieges, den Machthaber Assad gegen die eigene Bevölkerung 2011 begonnen hat – seit 2015 im Bündnis mit Russlands Präsidenten Putin. Im Nordwesten des Landes leben mehr als zwei Millionen Vertriebene. In der gesamten Region sind nach Angaben der Vereinten Nationen mehr als vier Millionen Menschen auf Hilfe angewiesen, über die Hälfte sind Kinder.
Über einen einzigen türkischen Grenzübergang lässt das Assad-Regime Hilfsgüter ins Land. Auf Betreiben Russlands im UN-Sicherheitsrat ist das allerdings nur wieder für sechs Monate möglich. "Man gibt damit Russland die Macht, mitten im kalten Winter, wenn die Menschen von Feuerholzlieferungen abhängig sind, wieder den Hahn zuzudrehen und wieder Wochen voller Angst zu schüren, in denen die Menschen nicht wissen, ob sie weiterhin überleben können", sagt Jacqueline Flory.

Hilfsgüter landen auf dem Schwarzmarkt

Flory ist Gründerin des Vereins „Zeltschule e.V.“, der zehn Schulen in syrischen Flüchtlingslagern betreibt. Nach ihren Schilderungen ist der Alltag der Binnenflüchtlinge von großer Unsicherheit geprägt. Viele Hilfsgüter würden nicht frei verteilt: "Wir müssen viele Lebensmittel und Medikamente mit UN-Aufkleber auf dem Schwarzmarkt kaufen." Die Angst sei groß, dass das "dünne Rinnsal" der Hilfe über die Grenze ganz versiegen könnte.
Für die Kinder sei der Unterricht die einzige Zeit, die sie als Normalität empfinden und in der sie einfach Kinder sein könnten. Flory sieht hier eine insgesamt "dramatische" Situation: Eine ganze Generation Geflüchteter habe seit zehn Jahren oft keine Möglichkeit mehr zur Bildung.

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Dabei müsse es auch im Interesse des Westens sein, dass man "in einer Region, die so von extremistischen Strömungen durchzogen ist, nicht eine ganze Generation von Syrern als Analphabeten aufwachsen" lasse. Denn sie seien "Kanonenfutter für die extremistischen Gruppierungen".
"Wir brauchen dringend Kinder und Jugendliche, die Zugang zu neutralen Informationen haben, die diesen extremistischen Gruppen etwas entgegensetzen können", betont Flory. "Aber tatsächlich passiert von offizieller Seite da schockierend wenig."

Erschreckend mehr Aufmerksamkeit für die Ukraine

Es sei insgesamt "erschreckend" zu sehen, wie viel Aufmerksamkeit gerade die Ukraine bekomme. "All das ist vor zehn Jahren in Syrien schon passiert, auch mithilfe von Putin." Dessen Eingreifen 2015 habe dem Krieg die Wende zugunsten Assads gebracht.

Putin hat ganze Großstädte in Syrien in Schutt und Asche bombardiert, ohne dass es auf großes Interesse im Westen gestoßen ist und ohne dass es große Hilfsaktionen aus dem Westen gegeben hätte. Zu sehen jetzt, was möglich ist, was in kürzester Zeit auf die Beine gestellt werden kann und zu verstehen versuchen, warum es damals nicht passiert ist, empfinde ich schon als sehr schwierig. Und die Menschen in Syrien empfinden das natürlich als noch schwieriger.

Jacqueline Flory, "Zeltschule e.v."

(bth)
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