Synagoge in Kaliningrad

Ein Wahrzeichen jüdischen Lebens

07:47 Minuten
Blick auf die neue Synagoge Kaliningrads.
Blick auf die neue Synagoge Kaliningrads. Sie wurde nach Vorbild des 1938 durch die Nationalsozialisten zerstörten Baus rekonstruiert. © picture alliance / dpa / Tass / Yevgeny Grantyn
Von Martin Sander · 13.11.2019
Audio herunterladen
Die in der Pogromnacht 1938 von den Nationalsozialisten zerstörte Synagoge von Kaliningrad prägt wieder das Stadtzentrum. Die Förderer des Wiederaufbaus haben sich zur Aufgabe gemacht, die deutsch-jüdische Geschichte der Stadt sichtbarer zu machen.
Michael Leiserowitz vom deutschen Verein "Juden in Ostpreußen" ist begeistert vom Wiederaufbau eines der bedeutenden Baudenkmäler des früheren Königsbergs. Mitten im Zentrum Kaliningrads steht wieder die "Neue liberale Synagoge", im Stil des Historismus mit mächtiger Rundkuppel, die an den Aachener Dom erinnert.
"Dieses Zentrum ist jetzt entstanden. Es steht groß und unübersehbar mitten in der Stadt, an dem Ort, wo die meisten Touristen auch hinfahren, nämlich neben dem Dom von Königsberg, der auf der Dominsel liegt. Und gleich gegenüber, wo die ganzen Busse halten, steht die große Synagoge, und viele Menschen kommen nicht umhin, sie zu fotografieren, weil sie nun mal schön ist und eine große Ausstrahlung hat."

Jahrzehnte blieb das Grundstück unbebaut

Zur Eröffnung 1896 kamen viele prominente Bürger der Stadt, Max Arendt zum Beispiel, Großvater der Philosophin Hanna Arendt. 1938, in der Reichspogromnacht, steckten die Nazis die große Synagoge in Brand, ein Jahr später, zu Beginn des Zweiten Weltkriegs, ließen sie die Ruine abräumen. 80 Jahre lang stand das Grundstück leer, wurde höchstens temporär genutzt – von einem Zirkuszelt, das man dort aufgeschlagen hatte. Vor einem Jahr änderte sich das trostlose Bild, als der erst einmal nur äußerlich vollendete Wiederaufbau der Synagoge fertiggestellt war und eingeweiht wurde.
"Die Kaliningrader Juden sind heute eine Gemeinschaft von fast 2000 Personen. Sie haben aus eigener Initiative diese Synagoge mit fast nur eigenen Mitteln aufgebaut. Und ich finde, das ist für Russland schon etwas sehr Bedeutendes. Bedeutend ist es ferner, dass sie sich in der Tradition der Königsberger jüdischen Gemeinde sehen. Sie haben es mit viel Mühe vor circa zehn Jahren durchgeboxt, dass sie auf dem Territorium der ehemaligen Königsberger Synagoge bauen dürfen, dass sie die Synagoge also wieder aufbauen und dass sie sie Königsberger Synagoge nennen. Insofern bringen sie auch ein Stück der Geschichte der Stadt zurück."

Ruth Leiserowitz, Historikerin mit ostpreußischen Vorfahren evangelischer Konfession, beschäftigt sich seit Langem mit der Geschichte und Kultur der Region. Sie wuchs als Tochter eines Pfarrers in der DDR auf. Ihr Ehepartner Michael Leiserowitz ist der Sohn eines Königsberger Juden. Der war nach der Machtergreifung Hitlers 1934 nach Palästina emigriert. Aber seine Heimatstadt konnte er nicht vergessen – und alte Gewohnheiten wollte er keinesfalls aufgeben.
Blick auf die neue Synagoge im Zentrum Kaliningrads
Von Touristen viel fotografiertes Motiv: Die neue Synagoge steht im Zentrum Kaliningrads.© picture alliance / NurPhoto / Michal Fludra
"Ich kriegte als Kind immer Geschichten von Ostpreußen erzählt. Das war sozusagen das Atlantis. Damit bin ich groß geworden, so wie alle deutschstämmigen Juden, die über ihre deutsche Heimat berichtet haben und die deutsche Kultur in gewissem Sinne auch vermissen, die deutsche Bildung und all diese Sachen. Erst später, in Tonbandaufnahmen von meinem Vater, wurde mir klar, dass er immer einen ostpreußischen Akzent hatte, den er sich in Israel bewahrt hatte, aus seiner Zeit, als er Jugendlicher in Deutschland war."

Erinnerung an eine verlorene Heimat

Nach dem Zweiten Weltkrieg siedelte dieser Mann in die alte Bundesrepublik um und heiratete eine evangelische Deutsche. Michael Leiserowitz wuchs in Frankfurt am Main auf. Später lebte er selbst in Israel. Michael Leiserowitz ist ein westdeutscher Israeli mit ostpreußischen Vorfahren und einem besonderen Faible für diese für ihn auf besondere Weise verloren gegangene Heimat.
Durch ihren gemeinsam geführten Geschichtsverein "Juden in Ostpreußen" haben Ruth und Michael Leiserowitz die jüdische Gemeinde von Kaliningrad beim Wiederaufbau der zerstörten "Neuen liberalen Synagoge" unterstützt – von Warschau aus, wo sie am Deutschen Historischen Institut tätig ist und er für das Polin Museum der Geschichte der polnischen Juden arbeitet.
Gemeinsam haben sie in den weltweit verstreuten Archiven Material zum historischen Bau der Königsberger Synagoge gesichtet, Schriften herausgegeben, Ausstellungen organisiert. Bei der Einweihung des noch unfertigen Baus vor einem Jahr haben sie Nachfahren ehemaliger Königsberger aus Israel betreut. Von denen waren damals, im November 2018, einige zum ersten Mal überhaupt in Kaliningrad, Menschen wie Ariel Luis Perlman, Enkel eines bekannten Königsberger Kaufmanns.
"Ich fühle mich ganz gut. Das ist eine schöne Stadt. Mein Vater hat geschrieben über Königsberg. Mein Großvater war hier viele Jahre. Max Perlman. Er ist gestorben 1933."

Bei der Eröffnung der wieder aufgebauten Synagoge trafen die Nachfahren alter Königsberger Juden auf die überwiegend russischen Angehörigen der heutigen jüdischen Gemeinde von Kaliningrad. Das klingt nach einer Begegnung fremder Kulturen.
Die Synagoge im ehemaligen Königsberg, dem heutigen Kaliningrad, aufgenommen um 1918.
Die Synagoge im ehemaligen Königsberg, dem heutigen Kaliningrad, aufgenommen um 1918.© imago images / Arkivi
Tatsächlich sind verblüffende Übereinstimmungen zu verzeichnen. Denn genau wie nach 1945, als Juden aus allen Teilen der Sowjetunion nach Kaliningrad kamen, wanderten auch zu deutschen Zeiten, vor allem im 19. Jahrhundert, Juden aus dem russischen Reich ins benachbarte Ostpreußen ein. Viele von ihnen wurden binnen kurzer Zeit zu überzeugten deutschen Ostpreußen.
Jüngere jüdische Aktivisten im heutigen Kaliningrad finden gerade das spannend und arbeiten die zu Sowjetzeiten tabuisierte deutsch-jüdische Geschichte Königsbergs auf. Zu ihnen gehört Julia Oisboit: "Ich finde es wunderbar, dass es eine solche Synagoge in unserer Stadt gibt. Für mich persönlich ist das wie der Königsberger Dom. Das ist ein Symbol von Königsberg."

Die Synagoge füllt sich mit Leben

Nach der Einweihung der zunächst nur äußerlich fertiggestellten Synagoge vor einem Jahr begann man mit dem Innenausbau. Allmählich füllt sich das Haus mit Leben.
"Man hat mittlerweile auch das Gestühl angebracht. Das wurde auch durch Sponsoren, durch Firmen dann eingebaut. Jetzt bekommt immer mehr auch die große Gebetshalle das Aussehen einer Synagoge. Und was auch ganz wichtig ist für die Stadt und das Selbstverständnis der jüdischen Gemeinde, ist, dass es dort eine Art Kantine gibt, so ein Restaurant, in dem man in Selbstbedienungsform sehr preiswertes, sehr gut schmeckendes Essen anbietet. Und das wird angenommen, von den Mitgliedern der jüdischen Gemeinde, aber auch von vielen Nichtjuden, die dort vorbeikommen und dieses Essen dort schätzen. Und wir haben als Verein ‚Juden in Ostpreußen‘ die erste Broschüre zusammengestellt, die für Touristen gedacht ist: ein Rundgang durch die ehemalige jüdische Vorstadt von Königsberg."
Michael Leiserowitz sprüht vor Ideen, wie man die deutsch-jüdische Geschichte Königsbergs in Kaliningrad sichtbar machen sollte. Im Augenblick arbeiten er und seine Frau Ruth mit ihren Kaliningrader Partnern am Konzept für ein Museum – in den Räumen der wieder aufgebauten Königsberger Synagoge. Sie wollen, dass man erfährt, wie Michael Leiserowitz sagt, "warum man an diesem Ort ist, was die Menschen damals bewogen hat, nach Königsberg zu kommen und dort eine Synagoge zu bauen, über die Vernichtung dieser Gemeinde und über den Neuanfang in Kaliningrad: Dass wiederum Juden aus allen möglichen Regionen kommen, aus denen auch die Vorfahren der damaligen Königsberger Juden kamen. Wir können eigentlich sehr, sehr viele Geschichten erzählen."
Mehr zum Thema