"Sweat"-Ausstellung in München

Der Schweiß der Revolte

05:50 Minuten
Buntes Textibild, das vom Leben der Sexarbeiterinnen in Manila erzählt.
Pacita Abads Textilbild "Girls in Ermita" erzählt vom Leben der Sexarbeiterinnen in Manila. Hier ein kleiner Ausschnitt. © Pacita Abad Art Estate / Max McClure
Von Tobias Krone · 13.06.2021
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Die Ausstellung „Schweiß“ im Haus der Kunst in München thematisiert die Widerstandskraft von Körpern. Dabei wird vor allem die postkoloniale Perspektive in den Blick genommen, aber auch der Kampf der Körper in feministischer Kunst der 70er-Jahre.
Wenn eine Statue ein Körper ist, dann ist diese Statue ein Körper des Widerstands. Eine Statue aus Holzresten und blauen Stoffbändern, Sackstoff, ebenso wie der Stamm einer Kokospalme, die Form: ein Mischwesen aus Pferd und Mensch. Der Künstler Daniel Lind-Ramos aus Puerto Rico erklärt:
"Ich erinnere mich, in meiner Kindheit war die Kokospalme sehr wichtig für uns. Die Palme gab uns Zuflucht, weil wir daraus Häuser gebaut haben. Die Palme gab uns Essen und Material für die Kunst. Zwei meiner Onkel waren Handwerker und haben Masken aus Palmholz gefertigt. In meiner Kindheit hat die Palme meine Vorstellungskraft aktiviert."

Die eigene Geschichte erzählen

Die Karibikinsel Puerto Rico verstehen einige als eine Art US-amerikanische Kolonie. Doch daran, dass 1797 eine schwarze Miliz – ehemalige Sklaven – einen Eroberungsversuch der Briten abgewehrt hat, erinnert heute wenig. Also schuf Daniel Lind-Ramos diese sehr filigrane Statue, um die eigene Community und die weiße US-Bevölkerung daran zu erinnern:
"Damit sage ich: Hallo, unsere Communitys sind auch wichtig, und unsere Geschichten sind genauso wichtig. Also lasst uns mal von diesem Standpunkt aus sprechen."
Daniel Lind-Ramos' Installation "Con-junto (The Ensemble)" besteht aus Alltagsgegenständen.
Daniel Lind-Ramos' Installation "Con-junto (The Ensemble)" besteht aus Alltagsgegenständen.© Pierre Le Hors
Vielleicht ist das schon der Kern des Postkolonialismus: Widerstand erzeugt Blut, Tränen und Schweiß. Und "Sweat" – so heißt die neue Gruppenausstellung im Münchner Haus der Kunst – zeigt uns viel von diesem Widerständigen globaler Bewegungen in ihrem Kampf gegen das weiße Patriarchat.
Aber so einfach macht es uns das brasilianisch-deutsche Kuratorinnenteam dann auch wieder nicht. Denn beim Schweiß geht es auch ums Tanzen.

In Richtung Süden tanzen

Was daran politisch sein soll? Bei Santiago Reyes ist der Schweiß eine Art chaotisches Gestaltungselement. Er bewegt sich in einem Film athletisch tänzelnd durch Münchens Straßen. Die Texte auf seinen durchgeschwitzten weißen T-Shirts präsentiert Reyes aufgehängt in einer Reihe. Der in schillernde Farben zerlaufene schwarze Edding sorgt für eine Art Batik-Effekt. Die programmatische Schärfe seiner Durchschwitzaktionen: Reyes tanzt immer in Richtung Süden, wie er erklärt:
"Sich nach Norden auszurichten, heißt immer: besser zu werden, einen Fortschritt zu erreichen. Nach Süden geht es immer in den Urlaub, um das Paradies dort auszunutzen. Ich glaube, das teilen wir in unserer Vorstellung. Ich komme aus Ecuador. Ecuador ist genau in der Mitte. Aber ich komme aus dem Norden Ecuadors. Also war es logisch, Richtung Süden zu tanzen."
Ein weiterer Ausschnitt aus Pacita Abads Textilbild "Girls in Ermita", der vom Leben der Sexarbeiterinnen in Manila erzählt.
Ein weiterer Ausschnitt aus Pacita Abads Textilbild "Girls in Ermita".© Pacita Abad Art Estate / Max McClure
Anders in der Abteilung der feministischen Kunst. Hier geht es um handfeste Emanzipation, und zwar aus dem Blickwinkel zweier Generationen.
An der einen Wand hängt eine Bilderserie der polnischen Feministin Natalia LL, Jahrgang 1937. In den Siebzigern beschäftigte sie sich mit Pornografie und ihrer Rückeroberung: Eine Frau lässt sich Milch ins Gesicht spritzen, um lustvoll ironisch die männliche Perspektive zu unterwandern.

An der Wand gegenüber: collagierte Selbstporträts der Französin Tabita Rezaire, Jahrgang 1989. Die Künstlerin und Yogalehrerin inszeniert ihren schwarzen Körper nackt und selbstbewusst, mal als eine Art spirituelle Gottheit, mal als Getto-Vamp – alles in trashiger Photoshop-Meme-Optik.

Schwarze Frauen profitierten lange Zeit nicht vom Feminismus

Bewusst lasse sie hier die Generationen aufeinandertreffen, sagt Kuratorin Anna Schneider: "Wo mit dem gegenwärtigen Update auch klar wird, dass dieser Feminismus auch wieder bestimmte Gruppen ausgegrenzt hat. Insofern ist es interessant, sich dann den schwarzen Feminismus anzuschauen, der beklagt, dass seit Beginn des Feminismus schwarze Frauen von den erkämpften Rechten eigentlich ausgeschlossen wurden."
Installationsansicht mit Werken von Zadie Xa im Haus der Kunst in München.
Installationsansicht mit Werken von Zadie Xa im Haus der Kunst in München.© Maximilien Geuter
Es geht um die Widerstandskraft von Körpern, es geht um Schweiß. Aber immer wieder kommen der Rhythmus, Tanz und Party in den Blickpunkt. Ein Dokumentarfilm des angolanischen Filmers António Ole von 1978 zeigt schlüssig, was für eine politische Symbolkraft darin steckt: Er zeigt den Karneval der schwarzen Landarbeiterinnen und Landarbeiter im damals gerade unabhängig gewordenen Angola.
Das Maskieren, der exzessive Tanz, die komplexen Rituale bilden hier einen Identitätskern, den die Eroberer nie auslöschen konnten und der nun eine neue postkoloniale Triebkraft entfaltet.

Kampf und Freude

Letztlich gehe es ihr auch darum, sagt die Kuratorin, "nicht nur den Kampfmoment zu zeigen, sondern eben auch das lebensbejahende Moment". Und das lässt sich famos in der Mittelhalle zelebrieren. Hier hat der Amerikaner Jacolby Satterwhite, Jahrgang 1986, einen riesigen Dancefloor auf rotem Plüschteppich unter Discokugeln aufgebaut. Man kann sich von Tanzrobotern auf einer Filmleinwand animieren lassen.
Zeit, den Körper in den immer noch viel zu leeren Raum zu stellen und jetzt endlich mal wieder mit einem anderen Menschen in Kontakt zu treten.

Info: Die Ausstellung "Sweat" ist bis zum 9. Januar 2022 im Haus der Kunst in München zu sehen.

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