Vom Mittelalter bis MeToo

Das Susanna-Motiv in der Kunstgeschichte

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Das Bild "Susanne und die Alten", Öl auf Kupfer 34 x 45 cm. Inv.nr. 103 Venedig, Galleria dell'Accademia.
Das Motiv von "Susanna und die Alten" zieht sich durch die Kunstgeschichte, wie eine Kölner Ausstellung jetzt kritisch aufarbeitet. © picture-alliance / akg-images / Cameraphoto / Cameraphoto
Von Sabine Oelze · 27.10.2022
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Eine Kölner Ausstellung begibt sich auf die Spuren des Susanna-Motivs und zeigt in beeindruckender Weise, wie darin immer wieder sexueller Missbrauch thematisiert wird. Es findet sich bei Rubens, Rembrandt und sogar in Hitchcocks Film "Psycho".
Machtmissbrauch, sexuelle Nötigung und Gewalt – die MeToo-Debatte hat einem verdrängten Thema viel Aufmerksamkeit verschafft. Aber nicht nur im Kino, auch in der Bildenden Kunst spielen diese Tabuthemen schon seit Jahrhunderten eine Rolle.
Auch in der alttestamentarischen Überlieferung der Susanna-Geschichte tauchen sexuelle Übergriffe schon früh nicht nur in der Bibel auf, sondern auch in der Kunstgeschichte. Die biblische Susanna ist eine unbescholtene Ehefrau, die im Garten von zwei Männern sexuell belästigt wird, als sie ein Bad nehmen will.

Das Susanna-Motiv in der Kunst

Als sie sich weigert, wird sie von den Männern erpresst und des Ehebruchs beschuldigt. Ein Prophet springt ihr bei und ein Prozess überführt die Lüstlinge. Dieses Motiv ist seit mehr als tausend Jahren auf Gemälden zu sehen, wie die Ausstellung „Susanna. Bilder einer Frau vom Mittelalter bis MeToo“ im Kölner Wallraf-Richartz-Museum zeigt.
Auch in Alfred Hitchcocks Film „Psycho“ spielt das Motiv eine zentrale Rolle: Der schizophrene Serienmörder in Alfred Hitchcocks „Psycho“, Norman Bates, beobachtet die weiblichen Gäste seines Motels durch ein Guckloch. Verdeckt wird es durch ein Gemälde. Der Titel: „Susanna und die Alten“, gemalt von Willem van Mieris aus dem Jahr 1731. Darauf zu sehen: eine fast nackte Frau in einem Garten, bedrängt von zwei alten Männern.
Filmplakat des FIlms "Psycho" von Alfred Hitchcock
Auch Filmregisseur Alfred Hitchcock spielte in seinem legendären Thriller "Psycho" auf das Susanna-Motiv an. © picture alliance / akg-images / akg-images
„Ein Gemälde, das sehr danach aussieht, als würde im Garten des Joachim sich eine Vergewaltigung anbahnen", erläutert Roland Krischel, Kurator der Ausstellung im Wallraf-Richartz Museum. "Die Filmwissenschaft hat schon darauf hingewiesen, dass dieses Gemälde die Handlung prägt, nämlich den berühmt berüchtigten Duschmord. Und tatsächlich stirbt Normans Opfer Marion Crane, mit dem Gestus einer Susanna, nämlich mit einem erhobenen, hilfesuchend ausgestreckten rechten Arm.“
Krischel nennt die biblische Susanna-Geschichte deshalb den ersten Krimi der Welt. „Die Künstler müssen zum einen plausibel machen, dass diese Frau attraktiv ist, so attraktiv, dass sie zu einem Verbrechen führt, sozusagen. Wobei darin natürlich schon der Keim des Problems angelegt ist. Wenn ich sie als Femme fatale zeichne, dann betreibe ich eigentlich Victim Blaming. Das ist eine der Frage, die wir in der Ausstellung stellen.“

Repertoire der alten Meister

Die Schau untersucht das Susanna-Motiv aus einer feministischen Perspektive. Es geht um Täter-Opfer-Umkehrung, um männliches Begehren, weibliche Abwehr, um Hilflosigkeit und Voyeurismus. Susanna gehört zum Repertoire der alten Meister.

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Rubens, Tintoretto, van Dyck, Rembrandt, Delacroix – sie alle malten die sexuelle Belästigung der jungen Frau. Meist auf ihrem dramaturgischen Höhepunkt: dem Angriff auf die spärlich bekleidete Susanna im Bade.

Hinweis auf Vergewaltigung

Künstlerinnen wie Artmisia Gentileschi betonen ihr Leid und ihren Kampf gegen die Lustbolde. Besonders empathisch fällt aber der Blick eines Künstlers, des Flamen Antonius van Dyk aus, wie die Co-Kuratorin der Ausstellung, Anja Sevcik, betont. Er zeige eine von der Übermacht der zwei stehenden Alten ängstlich geduckte Susanna mit wirrem Haar. Das sei immer ein Hinweis auf eine Vergewaltigung. "Mit gekreuzten Beinen, die den Arm ausstreckt, aber eben nur, um sozusagen sich zu bedecken mit dem Tuch.“ 
Andere Künstler malen die nackte Frau, um uns zu provozieren, so wie Francesco Hayez. Susanna blickt aus dem Bild heraus, und macht den Betrachter so zum Voyeur. Die barocke Künstlerin Angelika Kaufmann setzt mit ihrer Susanna auch ihre Rolle als Frau in der Kunst in Szene. Dazu Sevcik: „Fakt ist natürlich, dass all diese Künstlerinnen auf einem männlich dominierten Kunstmarkt reüssieren wollten, sich durchsetzen wollten und es die Frage ist, inwieweit dann vielleicht auch die Weiblichkeit als ein Marketinginstrument verwendet wurde, um sich eben auch abzusetzen.“

Antisemitische Bilder

Graphiken aus den 1920er-Jahren zeigen, wie das Motiv antisemitisch instrumentalisiert wird. Der Künstler Par Siegard aus Schweden verwandelte Susanna in eine Christin und verunglimpfte die Voyeure mit Hakennasen. Das jüngste Beispiel in der Ausstellung ist das Cover des Magazins „The New Yorker“ von 2017. Es erschien kurz nach dem MeToo-Skandal um Hollywood-Mogul Harvey Weinstein.
„Genau wie die Susanna von Peter Paul Rubens verschließt sich diese Aktrice vollkommen", so Krischel "Sie wehrt sich gegen den drohenden körperlichen Übergriff, indem sie die Arme vor der Brust verschränkt und die Beine übereinanderschlägt. Dieses Übereinanderschlagen der Beine ist ein Motiv, das die Künstler schon frühzeitig speziell für Susanna entwickelt haben, und zwar völlig unabhängig von irgendwelchen schriftlichen Überlieferungen der Geschichte.“
Susanna im Bade ist kein Wellnessprogramm, im Gegenteil. Diese Ausstellung thematisiert die Mechanismen der sexuellen Gewalt und zeigt, was die Kunstgeschichte daraus gemacht hat. Das ist klug und sehr sehenswert. Endlich wird die historische Dimension dieses aktuellen Themas aufgearbeitet.

Die Ausstellung "Susanna. Bilder einer Frau vom Mittelalter bis MeToo" ist noch bis zum 26. Februar 2023 im Kölner Wallraf-Richartz-Museum zu sehen.

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