Susan Kreller: "Hannas Regen"
© Carlsen
Eine geraubte Kindheit
05:28 Minuten

Susan Kreller
Hannas RegenCarlsen, Hamburg 2022192 Seiten
15,00 Euro
Im neuen Roman von Susan Kreller geht es um ein stilles, abweisendes Mädchen mit rätselhaftem Verhalten und um ein furchtbares Geheimnis. Wegen der bild- und detailreichen Sprache ist "Hannas Regen" ein außergewöhnliches Jugendbuch.
Susan Kreller hat Jugendromane über Kinder geschrieben, die umziehen und sich in einer neuen Umgebung einleben müssen, über Liebeskummer und schwierige Freundschaften, über häusliche Gewalt gegen Kinder. Die in Berlin lebende Autorin lenkt den Blick auf junge Menschen, deren Entwicklung nicht geradlinig verläuft. In ihrem aktuellen Jugendroman "Hannas Regen" läuft etwas schiefer als schief.
Nicht die titelgebende Hanna ist die Erzählerin, sondern ihre Klassenkameradin Josefin. Sie berichtet, wie Hanna eines Tages auf ihrem Schulweg auftaucht, völlig durchnässt, weil sie sich nicht vor dem strömenden Regen schützt. Eigentlich wäre Josefin froh, wenn sie dieses seltsame Mädchen nie wiedersehen müsste. Doch prompt wird Hanna ihre neue Mitschülerin und bekommt auch noch den Platz neben ihr zugewiesen - weil Josefin eine ist, "auf die man sich verlassen kann". Das weiß auch die Lehrerin.
Die Wahrheit ist schrecklicher als die Fantasie
Susan Krellers Roman beginnt und endet nicht nur mit "Hannas Regen", sondern er steht auch symbolisch dafür, wie Hanna der Welt begegnet. "Sie taucht von Anfang an unter", beobachtet Josefin. Hanna reagiert nicht auf ihren Namen, will nicht auf das Foto der Schultheateraufführung, reagiert entsetzt auf einen Polizisten, der die Klasse betritt.
Josefins Mutter arbeitet in derselben Abteilung wie die Mutter von Hanna und wundert sich, weil diese nichts mit ihren Kolleginnen und Kollegen zu tun haben will. Josefins Mutter stellt die These auf, dass Hanna und ihre Familie in einem Zeugenschutzprogramm leben. Erst lacht Josefin sie deswegen aus, aber irgendwann hält sie es dann doch für möglich.
Die Wahrheit, so stellt sich am Schluss heraus, ist viel schrecklicher, und nur so viel sei verraten: Susan Kreller hat (wieder) einen bewegenden Jugendroman über ein Mädchen geschrieben, dem die Kindheit geraubt wird.
Im Zentrum von Krellers Roman steht zwar Hanna. Aber die tastende Freundschaft mit dem rätselhaften Mädchen verändert auch Josefin, die anfangs über sich sagt: "Ich bin die, die man anruft, wenn sonst keiner Zeit hat. Ich gehöre zu den seitlichen Menschen, die aus Versehen mitfotografiert werden."
Aus der Reserve gelockt
Hanna lockt Josefin aus der Reserve, ermutigt sie, sich nicht mehr vor anderen zu verstecken. Auch Josefins Familie, bei der Hanna ein paar Mal zum Abendessen eingeladen ist, wächst über der Sorge um das Mädchen noch einmal neu zusammen.
Viele Jugendbuchautorinnen und -autoren packen brisante Themen an. Susan Kreller schreibt unter ihnen die literarischsten Romane. Der Plot ist anrührend und spannend, die Freundschaft der Mädchen eigentlich unmöglich und deshalb faszinierend - doch die Sprache macht "Hannas Regen" erst zu einem außergewöhnlichen Jugendbuch.
Die Autorin beschreibt viele kleine, feine Alltagsbeobachtungen. Sie erzählt dicht gewobenen, bild- und detailreich, voller Humor und Sprachwitz. Und neben der empathischen, selbstironischen und witzigen Josefin würde man auch gern in der Klasse sitzen.