Studio 9 - Der Tag mit Sylke Tempel

Armut in Zeiten von Trumps goldenen Vorhängen

Die Journalistin Sylke Tempel
Die Journalistin Sylke Tempel © Deutschlandradio / Manfred Hilling
Moderation: Korbinian Frenzel · 24.05.2017
Ein US-Präsident, der goldene Vorhänge aufhängen lässt und den Ärmsten die Hilfe beschneiden will: "Er kürzt ohne Not bei denjenigen, die es eigentlich am meisten brauchen", sagt die Politologin Sylke Tempel. Für sie verkörpert Donald Trumps Selbstdarstellung in Sachen Reichtum die "Perversion des American Dream".
"Das Schöne an mir ist, dass ich sehr reich bin!" Donald Trump steht nicht im Verdacht, sich für sein Geld zu schämen. Rund 300 Millionen Dollar soll der US-Präsident vom Vater geerbt haben, dazu kommen seine Geschäfte vor allem im Immobiliensektor und seine zahlreichen, teils mit Millionengagen bezahlten Medienauftritte. Wieviel Geld der US-Präsident tatsächlich hat, möchte er nicht offenlegen.
Vorgelegt hat er dafür einen Haushaltsentwurf für 2018 , in dem er unter anderem die Sozialleistungen kürzen will: Bei der Krankenversicherung für Arme sollen in den nächsten zehn Jahren 800 Milliarden Dollar, bei Zuschüssen für Lebensmittelgutscheine um 193 Milliarden Dollar eingespart werden.
An unserem Thementag "Und jetzt?" Leben in Zeiten des Populismus" zum "Reich werden" wollen wir von der Politikwissenschaftlerin Sylke Tempel wissen: Wie kommen Trumps Pläne gerade bei den im Wahlkampf umworbenen "Abgehängten" in den USA an?

Trumps Kürzungspläne sind "richtig übel"

Verkörpert Donald Trump den gelebten "American Dream"? Dessen Selbstdarstellung in Sachen Reichtum sei eher "Ausdruck der Perversion dieses Traums", urteilt Tempel im Deutschlandfunk Kultur. Was er jetzt an Kürzungsplänen in seinem ersten Haushaltsplan vorgelegt habe, sei "richtig übel", sagt die Politologin:
"Er kürzt ohne Not bei denjenigen, die es eigentlich am meisten brauchen."
Es sei "erschütternd", welche simple Vorstellung von Ökonomie Trump habe, kritisiert Tempel – nach dem simplen Motto: Wenn man nur Steuern und Regularien weghabe, dann würden Wachstum und Arbeitsplätze schon zurückkehren:
"Es geht um seine schräge, vereinfachte, wirklich total simplifizierte Art: Wenn man so und so viel Regulierung wegmacht, die ausländische Konkurrenz ein bisschen zügelt und ihr ordentlich etwas auf die Nase drückt, dann wird das schöne Amerika seine eigene Wertschöpfung wieder hin kriegen. Dann werden wir produktiver, dann gibt es Jobs und dann haben auch die Ärmeren etwas davon. Aber so wird es nicht funktionieren."

Große Technologiesprünge und deren Profiteure

Tempel sieht bestimmte Entwicklungen als verantwortlich für das große Auseinanderklaffen zwischen Reichen und Armen – nicht nur in Amerika. Einer der Gründe dafür seien die großen Technologiesprünge unserer Zeit:
"Wir sehen es immer dann, wenn diese unglaublichen Sprünge stattfinden und eine bestimmte, sehr kleine Gruppierung enorm davon profitiert und andere noch nicht nachkommen oder vielleicht gar nicht nachkommen werden. Und das schafft enorme Unruhe. Und zwar zu Recht. Und der muss man begegnen."

Umverteilung ist kein Allheilmittel

Der Ruf nach Umverteilung sei in einer hoch komplexen und hoch technologisierten Wirtschaft kein Allheilmittel, meint Tempel. Größere Gerechtigkeit sei jedoch ohne Zweifel erstrebenswert, nur reiche Umverteilung dafür nicht aus. Man müsse vielmehr auch versuchen, zum Beispiel jobvermehrende Wirtschaftszweige zu fördern. Auch dürfe man dürfe die Gruppe der Menschen nicht aus den Augen verlieren, die mit ihren Jobs nicht auskommen würden:
"Da gibt es mehrere Möglichkeiten. Das muss nicht nur das Steueraufkommen sein. Das kann auch der Soziale Wohnungsbau sein. Wenn das Gehalt nicht reicht für die Wohnung, muss man an dieser Stelle etwas machen."

Evangelische Kirche - "Amnesty International mit Abendmahl"?

Auf dem heute beginnenden Evangelischen Kirchentag in Berlin und Wittenberg sind rund 2.500 Veranstaltungen geplant. Hoch umstritten ist die geplante Diskussion von Landesbischof Dröge mit Anette Schultner, der Vertreterin der Christen in der AfD. Der Katholische Kirchentag hatte sich im letzten Jahr gegen Auftritte von AfD-Mitgliedern entschieden.
Sylke Tempel sieht die Entscheidung des Evangelischen Kirchentages für nur eine Veranstaltung mit der AfD positiv, gibt aber gleichzeitig zu bedenken:
"Wenn ich das jetzt mal so hart sagen darf: Die Evangelische Kirche muss vielleicht sogar ein bisschen mehr als die Katholische Kirche darauf aufpassen, dass sie nicht Amnesty International mit Abendmahl wird. Dass sie nicht so politisiert ist, dass man eine Glaubensgemeinschaft nicht mehr von einer NGO unterscheiden kann. "
Es gehe schließlich - auch bei diesen Sachen - um Glaubensfragen, meint Tempel und analysiert die Haltung der AfD zu religiösen Themen:

"Und da frage ich mich schon: Wie weit kann die AfD dazu beitragen? Mir ist sie noch in Glaubensfragen noch nicht aufgefallen – weder als besonders klug noch in die Debatte etwas einspeisend. Wenn sie nur eine Veranstaltung kriegt, bitte schön, dann hat sie halt nur eine Veranstaltung."

Sind Maschinen unbestechlich?

Beim Deutschen Anwaltstag wird heute über die zunehmende Digitalisierung der Branche diskutiert. Maschinen gelten als unbestechlich. Doch was würde es bedeuten, wenn in Zukunft Algorithmen unsere Rechtsprechung übernehmen? Das war ein weiteres Thema unserer heutigen Mittagssendung mit Sylke Tempel.

Die Politikwissenschaftlerin Sylke Tempel gilt als ausgewiesene "Transatlantikerin". Sie hat unter anderem in New York wissenschaftlich zu deutschen-amerikanischen Fragen geforscht. Seit 1994 unterrichtet Sylke Tempel an der Berliner Außenstelle der Stanford University. Die Leitung der Zeitschrift Internationale Politik hat die Journalistin seit 2008 inne. Zuvor war sie unter anderem Korrespondentin für "Die Woche" im Nahen Osten.

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