Studieren zu Coronazeiten

Semester, die Unis nachhaltig verändern

07:17 Minuten
Eine junge Studentin nimmt ein Buch aus dem Regal einer Uni Bibliothek.
Coronasemester bedeutet vor allem Leere auf dem Campus wie in den Unibibliotheken. Was von all den Veränderungen wird bleiben? © Getty / Digital Vision
Von Ludger Fittkau · 27.08.2020
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Das kommende Semester wird das zweite unter Coronabedingungen sein: viel Onlinelehre, wenig Präsenzveranstaltungen. Für Studierende wie für Uni-Mitarbeitende ist es eine große Herausforderung mit Auswirkungen für die Zukunft, heißt es schon jetzt.
"Ich stehe kurz vor dem Abschluss meiner Masterarbeit hier an der TU Darmstadt - aber ich kann die Arbeit jetzt noch nicht abschließen", sagt Vanita aus Indien, Studentin der Materialwissenschaften an der TU Darmstadt. "Ich schreibe zwar weiter daran, aber wir müssen die Covid19-Regeln beachten, Distanz halten. Auch wenn wir die Ergebnisse unserer Forschungsarbeit zeigen sollen, können wir nicht 'Face to Face' diskutieren." Inmitten der Semesterferien ist Vanita von der Coronakrise genervt. Auch, weil es irgendwie weitergehen muss, damit sie bald ihren Abschluss macht.
Zu den Laborexperimenten müssten sie in die Uni kommen. "Um die Laborergebnisse zu diskutieren, gehen wir mit den Zoom-Meetings online, mit den Professoren. Es ist recht schwierig, aber wir bemühen uns, das hinzukriegen und uns an die Situation zu gewöhnen."

Laborarbeiten unter erschwerten Bedingungen

Ali Muhamad Malik aus Pakistan hat seiner indischen Studienkollegin zugehört. Die beiden stehen auf dem Unicampus Lichtwiese der TU Darmstadt im Freien. Es ist Mittagszeit. Sie haben ihre Laborarbeit unterbrochen, doch die Mensa gleich gegenüber ist geschlossen, wie auch die meisten Institutsgebäude. "Mensa to go" ist ein kleines Angebot mit Lunchpaketen für die wenigen Menschen auf dem Campus, die hier die Laborarbeit aufrechterhalten.
Wie Ali Muhamad Malik, der sich unter anderem für die magnetische Eigenschaft von industriell nutzbaren Materialien interessiert. "Du kannst nicht rausgehen, um andere zu treffen", sagt er. Es fehle das Soziale. "Alle bleiben weitgehend in den Gebäuden, um die Kontakte zu minimieren."
Als Laborwissenschaftlerin sieht sich die junge Inderin Vanita, die im materialwissenschaftlichen Gemeinschaftslabor der TU Darmstadt an Nano-Materialien arbeitet, jedoch noch im sozialen Vorteil gegenüber allen, die nun schon monatelang keine Uniräume mehr betreten haben.
"Wir arbeiten hier, kommen regelmäßig hierher, machen unseren Job." Aber für die Studierenden, die lediglich Seminare besuchen müssen, die nicht in den Laboren arbeiten können, sei es hart. Sie glaube, dass es besonders für die neuen Studierenden, die Erst- oder Zweitsemester, sehr stressig sei, die Seminarinhalte nur zu Hause zu bekommen. "Es sind jetzt fast sechs Monate. Ich mache mir Sorgen um sie", sagt Vanita.

Kaum persönlicher Austausch

Ortswechsel – Campus Innenstadt der TU Darmstadt: Die Präsidentin der Universität, Tanja Brühl, ist auf den Vorplatz gekommen. Das Verwaltungsgebäude der Uni ist wegen der Coronavorsichtsmaßnahmen für den Publikumsverkehr geschlossen.
"Ich vermisse wie alle anderen auch die persönliche Begegnung." Es komme noch dazu, dass sie ihr Amt hier an der TU Darmstadt als Präsidentin im Oktober angetreten habe. "Das heißt, es gibt sogar einige Kolleginnen und Kollegen, die kenne ich nur als kleine Kacheln in einer Videokonferenz und weiß gar nicht, ob die klein oder groß sind, dick oder dünn und wie ihre Stimme außerhalb des Computers sich anhört", berichtet Tanja Brühl.
Porträt von Tanja Brühl, Präsidentin der TU Darmstadt.
Tanja Brühl ist erst seit wenigen Monaten Präsidentin der TU Darmstadt. Einige Kollegen kennt sie bisher nur aus Videokonferenzen.© picture alliance / Andreas Arnold
Andererseits freue es sie, dass die digitale Lehre in vielen Bereichen funktioniere. Befürchtet sie, dass die derzeitigen Erst- oder Zweitsemester wegen der fehlenden Face-to-Face-Kommunikation auf dem Campus zu einer Art "Lost Generation" werden könnten?
"Es war uns sehr wichtig, sowohl für die Mitarbeitenden als auch für die Studierenden Anlaufadressen zu geben", erklärt Tanja Brühl. Da sei die erste Schwierigkeit gewesen, von der Präsenzberatung, wie sie normalerweise stattfinde, umzustellen auf eine Beratung im digitalen Raum. Die Anfragen seien ähnlich zu denen in den Vorjahren. "Was wir schon sehen, ist, dass es aber mehr Nachfragen nach Überbrückungsfinanzierung gibt."

Zusammengebastelte Rechner-Arbeitsplätze

Jobs für Studierende fallen weg. Zunehmend mehr Studentinnen und Studenten haben finanzielle Probleme. Auch bei der privaten Beschaffung der nötigen Arbeitsmittel für den Fernunterricht zeigen sich soziale Unterschiede mit gravierenden Folgen.
In der Informatik seien ausreichende Rechnerkapazitäten für das studentische Homeoffice aber unabdingbar, so Informatikprofessor Karsten Weihe: "Die hochschuldidaktische Arbeitsstelle der TU Darmstadt hat sich zum Glück etwas einfallen lassen, hat ein Konzept entwickelt und in einem Video auch erläutert, wie man auch mit alten Fernsehbildschirmen, einem alten Smartphone ohne große Leistung, mit einem bisschen mehr Ausgaben für eine Tastatur und für ein paar Kabel und eine Maus dann einen Rechnerarbeitsplatz zusammenbasteln kann."
Vom Fachbereich aus habe man dann überlegt, wie es möglich ist, dass die Leute von diesem zusammengebastelten Rechnerarbeitsplatz aus auf die Rechnerkapazität der Rechnerpools im Fachbereich Informatik zugreifen können, erklärt Weihe. Dass sie diese zu Hause nutzen können, so wie sie es unter normalen Umständen an der Uni gemacht hätten.
Eine wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Chemie einer deutschen Universität hält im April 2020 vor einem Tablet-Computer mit Kamera eine digitale Vorlesung "Physikalische Chemie I". 
Vorlesung "Physikalische Chemie I" in der digitalen Variante. Doch Studierende bemängeln, dass nicht alle Mitarbeitenden mit den nötigen Werkzeugen umgehen können.© picture alliance / dpa / Julian Stratenschulte
Die Coronasemester werden die Lehre nachhaltig verändern, da sind sich Studierende und Lehrende der TU Darmstadt weitgehend einig. Auch wenn sich manche Lehrende etwa mit dem Videokonferenz-System Zoom, das die TU Darmstadt benutzt, bisher noch nicht richtig zurechtkommen, wie ein Student sagt, der seinen Namen nicht nennen will. Da sollte von Seite der Uni noch ein bisschen nachgeholfen werden. "Vielleicht ein Zoom-Kurs", schlägt er vor.

Zurückgehende Einschreibezahlen

Aber schreiben sich in Coronazeiten überhaupt so viele Studierende ein wie in Jahren ohne Pandemie? Während die Präsidentin der TU Darmstadt angesichts der aktuellen Einschreibezahlen ganz optimistisch ist, macht sich Chemieprofessor Marcus Rose durchaus gewisse Sorgen. Denn die Einschreibezahlen gingen auch vor Corona bereits ein wenig zurück. Umso wichtiger sei es, die Erstsemester im kommenden, bereits zweiten Digitalsemester trotz Coronakrise für das Studium begeistern zu können.
Er hoffe sehr, dass es gelingt, die Erstsemester gut abgeholt zu bekommen, sagt Marcus Rose. "Natürlich ist es schwer, wenn man kein normales Studium kennengelernt hat, sich dann von Anfang an so zu motivieren, zum Beispiel zu Hause zu sitzen, zu den Vorlesungszeiten einzuschalten, sich Sachen zu erarbeiten." Da bedürfe es auch sehr viel Arbeit von Seiten der Dozierenden beziehungsweise der gesamten Assistenten, um damit umzugehen und auf die Studierenden eingehen zu können.
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