Stimmungsbarometer

"Europa ist doch ein alter Traum"

Europaparlament in Straßburg
Europaparlament in Straßburg © picture alliance / dpa / Foto: Anthony Picore
Von Michael Watzke, Nadine Lindner und Ludger Fittkau · 20.02.2014
Am 25. Mai ist Europawahl und die Stimmung in den einzelnen Bundesländern könnte nicht unterschiedlicher sein. In Bayern betonen viele eher das Bayerische, in Sachsen ist gleichzeitig Kommunalwahl und in der deutsch-französischen Grenzregion fürchten viele die Arbeitslosigkeit.
Das Verhältnis zwischen Bayern und Europa hat wohl niemand je so treffend beschrieben wie der Kabarettist Gerhard Polt:
"Das Europa ist doch ein alter Traum, stimmt’s? Da haben doch schon die Griechen von geträumt, von diesem Europa! Was Neues ist das nicht. Aber ich frag’ mich halt: muss ich jeden Traum verwirklichen? Muss i des?“
Auf diesen Polt’schen Nenner könnte man vor der Europa-Wahl die Haltung der CSU bringen. Die bayerischen Christsozialen gehen offiziell mit einem, tatsächlich aber mit zwei Spitzenkandidaten in den Wahlkampf. Der offizielle ist Markus Ferber. Ein schwäbischer Europäer, der seit 20 Jahren als Chef der CSU-Europagruppe im europäischen Parlament sitzt.
"Wir Bayern wissen natürlich - weil wir im Herzen Europas liegen - dass wir mit unseren Nachbarn in guter Nachbarschaft leben wollen. Wir haben Grenzen zur Schweiz, zu Österreich, zur tschechischen Republik. Aber auch zu Sachsen, Thüringen, Baden-Württemberg. Wir wollen gut mit unseren Nachbarn auskommen. Aber wir wollen auch viele Dinge selbst entscheiden.“
Das Prinzip der Subsidiarität steht aus Markus Ferbers Sicht im Zentrum des Europa-Verständnisses der CSU. Das unterscheide die bayerischen Konservativen von französischen oder italienischen Nationalisten wie dem Front National oder der Lega Nord:
"Die Abgeordneten aus diesem Spektrum zeichnen sich ja nicht dadurch aus, dass sie in den Ausschüssen fleißig mitarbeiten. Sondern sie zeichnen sich nur dadurch aus, dass sie im Plenum Krawall machen. Wer nur Krawall macht, kann nicht konstruktiv mitarbeiten. Wer nur Krawall macht, hat keine guten Argumente, die Berücksichtigung finden könnten. Deshalb werden wir auch in der nächsten Legislatur-Periode daran arbeiten, dass es keine Abstimmung gibt, die von diesen Stimmen abhängig ist."
Krawall-Stimmen aus Deutschland
Dabei könnten die Krawall-Stimmen in Brüssel nach der Europa-Wahl auch aus Deutschland kommen – von der AfD. Die hat aufgrund der 3-Prozent-Hürde gute Chancen auf den Einzug ins Europa-Parlament. Im Freistaat ist die AfD der härteste Konkurrent der CSU. Deshalb betont Spitzenkandidat Markus Ferber:
"… dass wir uns gerade in Bayern sehr kritisch auseinandergesetzt haben mit dem, was da so in Brüssel passiert. Um den Menschen auch das Gefühl zu geben: wir nehmen nicht alles nur in Demut an, was in Brüssel beschlossen wird. Sondern wir versuchen das auch, in unsere Richtung zu lenken. Und das wird auch honoriert. Deshalb gibt’s hier auch weniger Wachstums-Potenzial im rechten Bereich.“
Gerhard Polt: "I sog immer, wenn man jetzt dieses Europa überhaupt wollen würde, gell, brauche ich doch Europäer dafür. Für Europa brauche ich doch keine Provinzler, gell? Mit Provinzlern kann man kein Europa bauen. Da brauche ich Leute, die einen Stil haben. International Flair, gell?“
Aus Sicht der CSU hatte niemand so viel international Flair wie Franz Josef Strauß. Der legendäre CSU-Chef gab einst das Motto vor: "Bayern unsere Heimat, Deutschland unser Vaterland, Europa unsere Zukunft.“ Nun soll der Ziehsohn von Franz Josef Strauß um Europa-Stimmen werben: Peter Gauweiler. Ein Mann, der in Bierzeltreden den Satz "Wer betrügt, der fliegt“ ausspricht, ohne mit dem Schnurrbart zu zucken. Auch wenn er im Interview betont:
Der Kandidat für das Amt des Vize-Parteivorsitzenden, Peter Gauweiler (CSU), spricht am 23.11.2013 in München (Bayern) beim Parteitag der CSU.
Peter Gauweiler (CSU), spricht am 23.11.2013 in München beim Parteitag der CSU.© picture alliance / dpa / Foto: Tobias Hase
"Ich lebe lieber in einer Wohnung neben einem fleißigen Ungarn oder Rumänen als neben einem deutschen Skinhead, das ist ja wohl ganz klar. Aber in der Debatte geht’s doch um ganz was anderes. Da geht’s ja nicht um irgendeine Gruppe. Wir haben die Grundfreiheiten der Europäischen Union, wozu auch die freie Wahl des Arbeitsplatzes gehört. Aber wir haben nicht die Grundfreiheit, dass man wählen kann: was ist das für mich interessanteste Sozialsystem?“
Wenn Peter Gauweiler seine Vorstellung einer Europäischen Union beschreibt, klingt das dezidiert anders als bei Parteifreund Markus Ferber. Gauweiler zitiert einen französischen General, auf den sich auch Marine Le Pen vom Front National oft beruft:
"Von Charles de Gaulle ist ja der Begriff ´la patrie des patries` – Vaterland der Vaterländer. Und das war ein Prinzip der europäischen Architektur, das wir immer vor Augen hatten. Und deswegen hatten wir auch immer Einwände gegen die Vereinheitlichung des ganzen Kontinents in einen europäischen Zentralstaat. Das ist ja die ganze Debatte, die wir in den letzten Jahren in Brüssel hatten.“
Der Jurist und Anwalt Peter Gauweiler hat beim Bundesverfassungsgericht gegen die Europäische Zentralbank EZB geklagt. Genau gesagt dagegen, dass die EZB Staatsanleihen verschuldeter Euro-Staaten aufkauft. Die Bundesverfassungsrichter reichten die Klage zwar an den Europäischen Gerichtshof weiter. In ihrem Kommentar dazu allerdings gaben die Richter Gauweiler im Kern Recht. Der CSU-Bundestags-Abgeordnete sieht sich bestätigt in seiner Ablehnung der "Vereinigten Staaten von Europa“.
"Ich bin immer gegen die Formulierung: ´Europa muss mit einer Stimme sprechen`. Das sagt man so leichthin. Freiheit ist Vielstimmigkeit! Eine Stimme ist Nordkorea! Das ist ja die Kunst, dass jeder seine Meinung und seine Definition von Freiheit, von mehr oder weniger Staat, von der Betonung eher des Sozialen oder eher des Liberalen – dass er die frei äußern kann. Ohne Angst haben zu müssen, zur Einstimmigkeit gezwungen zu werden.“
Zuwanderung zu begrenzen, ist ein Fehler
Zur Einstimmigkeit zwingen lassen sich auch die Kandidaten der CSU für die Europawahl nicht. Beispiel Schweiz: die Volksentscheidung der Eidgenossen, die Zuwanderung aus Europa zu begrenzen, ist für Markus Ferber ein großer Fehler. Er glaubt…
"… dass das Schweizer Votum katastrophale Auswirkungen für die Wirtschaft hat. Eine Schweizer Wirtschaft, die sich im Wachstum befindet und alleine aus dem Schweizer Arbeitsmarkt gar nicht alle Jobs besetzen kann, ist auf Zuwanderung angewiesen. Wenn die die Zuwanderung limitieren, wandern die Unternehmen halt ab. So einfach ist die Welt.“
Peter Gauweiler dagegen äußert Verständnis für das Schweizer Votum. Die Bayern, sagt er, hätten wahrscheinlich nicht anders entschieden, wenn man sie gefragt hätte. Da stimmt ihm sogar Horst Seehofer zu. Der Parteichef ist seinem Stellvertreter sowohl inhaltlich als auch persönlich viel näher als Markus Ferber. Deshalb stellt er für die Europawahl in Bayern lieber Gauweiler ins Schaufenster.
Peter Gauweiler: "Schaufenster ist besser als Besenkammer. Da stellt man ja nicht die Schlechtesten rein."
So versucht die CSU, möglichst breite Wählerschichten anzusprechen. Für die Europa-Freunde ist Ferber da. Gauweiler bedient die Skeptiker. Beide gemeinsam betonen den Stolz der Bayern, die besten Europäer zu sein. Ganz nach Gerhard Polt:
"In Europa gäb’s heute noch kein Wiener Schnitzel ohne Bayern! Weil die Bayern das bei der Schlacht um Wien erobert haben. Freilich! Oder glaubst Du, dass die Türken das Rezept freiwillig hergegeben hätten?“
In Sachsen geht es um die Kommunalwahlen
Ach so, ja, die Europawahl. Stimmt, da war ja was. Wer sich in diesen Tagen mit dem sächsischen Landesvorsitzenden Holger Zastrow verabredet, um mit ihm über die anstehenden Wahlen Ende Mai zu sprechen, gewinnt den Eindruck, dass es dort vor allem um die Kommunalwahlen in Sachsen geht und nur zufälligerweise ein zweiter Stimmzettel ausgeteilt wird.
"Wir werden keinen eigenen Europawahlkampf machen. Denn zeitgleich findet auch die Kommunalwahl statt."
Sein Motto: Er will die FDP vor allem in den Kommunen stärken. Den Boden bereiten für die Mobilisierung bei der Landtagswahl. Hinzu kommt: Er will den größtmöglichen Abstand zur Bundes-FDP wahren. Zastrow lehnt den Kurs von Parteichef Christian Lindner ab und befürchtet gleichzeitig, dass das schlechte Bundestagswahlergebnis auch auf die Landes-FDP abfärben könnte. Und die befindet sich im Überlebenskampf, weil sie jetzt beweisen muss, dass sie die letzte schwarz-gelbe Bastion auf Landesebene verteidigen kann. Wenn in Sachsen Ende August ein neuer Landtag gewählt wird, ist es der erste Urnengang seit dem Desaster bei den Bundestagswahlen. Dort so gut es geht abzuschneiden, interessiert den Landesvorsitzenden.
"Alle schauen auf Sachsen, weil wir die ersten sind, die sich beweisen müssen, die zeigen müssen, wie das geht, ohne FDP im Bundestag. Zwei Wochen nach uns wählen Thüringen und Brandenburg. Die haben mir gesagt, versau’s nicht."
Der alte und neue Vorsitzende der sächsischen FDP, Holger Zastrow, geht am 01.02.2014 auf dem FDP-Landesparteitag in Löbau (Sachsen) über die Bühne. Der 45-Jährigen wurde mit rund 90 Prozent zum dritten Mal zum Vorsitzenden seiner Partei gewählt.
Holger Zastrow, Vorsitzende der sächsischen FDP© picture alliance / dpa / Foto: Arno Burgi
Und jetzt hat ihm die Bundespartei nicht nur eine schlechte Ausgangslange beschert, sondern auch noch seinen bewährten Kandidaten auf der Europaliste komplett scheitern lassen. Der Leipziger Europaabgeordnete Holger Krahmer, der sich als Talent im Umweltausschuss des Europaparlaments einen Namen gemacht hatte, hat den Sprung auf die Liste der Partei gar nicht mehr geschafft. Die mitgliederstarken Landesverbände haben ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht. Bei der letzten Europawahl konnte die FDP in Sachsen noch 9.8 Prozent erlangen, nun liegt sie – in bundesweiten Umfragen – bei gerade mal drei Prozent.
Ja, wenn also von der Bundespartei jemand kommen wolle, um Europawahlkampf zu machen, seien sie herzlich eingeladen. Er werde es nicht tun. Die Europabegeisterung hält sich bei Zastrow erkennbar in Grenzen:
"Das Europaparlament hat ja eh nur eingeschränkte Gestaltungsmöglichkeiten.
Wenn er sich für etwas erwärmen kann, dann ein Europa der Regionen – für Sachsen also die enge Kooperation mit Polen und Tschechien."
Zastrow pflegt auch sonst eine deutliche Sprache. "Dummfang“ könnte so ein typisches Zastrow-Wort sein. Oder auch die AfD eine "rechte Trümmer-Truppe“ zu nennen – fällt wohl in diese Kategorie des verbalen Raufens, die man vom sächsischen FDP-Vorsitzenden so gut kennt. Wer in diesen Kraftausdrücken auch Angst der FDP der neuen Partei gegenüber ausmacht, der wird von Holger Zastrow in diesen Tagen enttäuscht. Er gibt sich so betont entspannt, dass man sich fragt, ob er den Ernst der Lage überhaupt erkannt hat.
"Warten wir mal ab: Ich habe in den letzten 14 Jahren als Landesvorsitzender viele kommen und gehen sehen: Piraten, Pro DM, Schill-Partei."
Ängste in der Bevölkerung weitverbreitet
Im Mutterland der friedlichen Revolution von 1989 gehen die Meinungen über Europa bisweilen ziemlich auseinander: Das weiß auch Steffen Flath, der Fraktionsvorsitzender der CDU im sächsischen Landtag. Auf der einen Seite werde die Reisefreiheit hoch geschätzt, auf der anderen Seite seien auch Ängste in der Bevölkerung weitverbreitet. Sachsen hat im Vergleich der Bundesländer mit 570 Kilometern die längste Grenze zu Tschechien und Polen.
"Das kann mal positiv und mal negativ sein. Wenn da eine Baumaschine geklaut wird, ist es gleich Thema im ganzen Dorf. Grenzregionen sind immer stärker betroffen."
Ob Europawahl- oder Landtagswahl, die CDU kann auf sehr gute Ergebnisse im Freistaat hoffen, bei der letzten Europawahl lag sie mit 35 Prozent an der Spitze – und setzt auch gezielt darauf, der AfD thematisch das Wasser abzugraben, die Sorgen vor den Folgen der Eurorettung in der Bevölkerung ernst nehmen. Die Seine Strategie:
"Ich denke nicht, dass es in Sachsen nötig ist, AfD zu wählen, dafür gibt es die sächsische CDU."
Wie der Liberale Holger Zastrow grenzt sich auch Steffen Flath, der dem konservativen Berliner Kreis angehört, sichtlich von der Linie der Bundespartei ab, verweist auf die besondere Tradition der Sachsen-CDU. Dadurch sieht er auch eines der zentralen Themen des Europawahlkampfes für den sächsischen Spitzenkandidat Hermann Winkler gesetzt: stabile Finanzen – in Dresden und Brüssel. Mit gesunden Haushalten kenne man sich in Sachsen schließlich aus – das Land hat gerade zum Jahreswechsel eine eigene Schuldenbremse in Kraft gesetzt, die Pro-Kopf-Verschuldung ist so gering wie nirgendwo.
Die FDP zeigt sich vom Europawahlkampf genervt, die CDU wachsam. Unbeirrt optimistisch dagegen präsentiert sich die Alternative für Deutschland mit ihrer Landesvorsitzenden Frauke Petry. Auch wenn die AfD ebenfalls keinen eigenen Europawahlkampf im Bundesland führen wird. Im Mittelpunkt: natürlich die Kritik an der Euro-Rettungspolitik, aber auch traditionelle Vorstellungen in z.B. der Familienpolitik. Wobei Spitzenfrau Petry zugeben muss, dass das bis jetzt erst im Programm-Entwurf zu lesen ist – bis das Programm fertig ist, wird es noch zwei oder drei Wochen dauern. So wie vieles noch im Entstehen ist, trotz guten Wählerzuspruchs.
Wahlkampf wird zur Kraftprobe
"Wir haben ein Wahlergebnis zu verteidigen. Wir hatten in Sachsen das stärkste Wahlergebnis bei der Bundestagswahl. Da parallel zur Europawahl auch die Kommunalwahl stattfindet, ist das für uns eine immens wichtige Wahl, wenn wir an der Basis stärker verankert sein wollen."
6,8 Prozent erreichte die AfD bei den letzten Bundestagswahlen im Freistaat. Jetzt konzentriere sie sich ganz auf die Landtagswahlen im August. Das liegt auch an der Größe der Partei. Trotz guter Wahlergebnisse werden bislang nur 600 Mitglieder gezählt. Ein Wahlkampf in einem Flächenstaat wie Sachsen wird da zu Kraftprobe. Wer Frauke Petry etwas länger zuhört, für den ist klar: sie wird die Konfrontation mit der FDP und dem Vorsitzenden Zastrow suchen.
"Denn das, was die FDP in Europa jahrelang mitgetragen hat, versucht sie jetzt auf sächsischer Ebene zu negieren."
CDU, FDP, AfD, in Sachsen wird sich bei der Europawahl, jedoch spätestens bei der Landtagswahl im August zeigen, ob im konservativen Lager genug Platz für drei Parteien ist oder nicht am Ende die populistischen Euro-Kritiker der FDP den Rang ablaufen können.
Gemeinschaftsfahrten im Elsass zum Discounter-Einkauf
Samstags ist Marktag in Wissembourg oder - auf Deutsch - Weißenburg. Eine schmucke elsässische Kleinstadt direkt an der deutsch-französischen Grenze. An der Marktständen hier hört man drei Sprachen: Elsässisch, Französisch und Deutsch. Auch Margot und Günter Schüler aus dem nahen südpfälzischen Bad Bergzabern kaufen häufig hier ein:
Günter Schüler: "Regelmäßig gehen wir rüber und die Weißenburger kommen auch zu uns vor allem zum Einkaufen. Und zwar zum Einkaufen bei den Discountern."
Margot Schüler: "Drei, vier Frauen fahren mit einem Auto, teilen sich das Benzin und kaufen dann entsprechend ein."
Die Fahrgemeinschaft der Elsässerinnen zum Einkauf in Deutschland hat nicht nur ökologische, sondern auch ökonomische Gründe. Die Arbeitslosigkeit ist in Frankreich zurzeit hoch, viele Haushalte müssen sich stark einschränken.
Der Elsässer Richard Streissel verkauft auf dem Markt an der Grenze mit seiner Frau und zwei erwachsenen Kindern frische Eier und Nudeln. Von der Europawahl erwartet er nichts Gutes:
"Was kommt, dass hier in Frankreich die Rechtsradikalen sehr, sehr stark im Kommen sind. Ich denke, dass es politisch ein kleines Erdbeben geben wird hier. Ich denke, mehr aus Protest. Weil man einfach im Moment unzufrieden ist mit der europäischen Politik. Die Leute fühlen sich einfach weit entfernt von der Europäischen Gemeinschaft überhaupt."
Arbeitslosigkeit treibt Front National Wähler zu
Richard Streissel ist ein Grenzgänger. Montags bis Freitags arbeitet er bei Siemens im badischen Rastatt, samstags hilft er dann seiner arbeitslosen Frau am Marktstand. Die hohe Arbeitslosigkeit ist es, die der Front National von Marine Le Pen die Wähler zurzeit massenhaft zutreibt, glaubt er. Viele Franzosen geben der EU die Schuld an der Misere:
"Die Leute haben Angst, Frankreich hat fünf Millionen Arbeitslose. Eine große Verlagerung der Industrie hat stattgefunden und zwar in die ehemaligen Ostblock-Länder. Rumänien, Tschechien und so weiter. Und wenn man zunächst mal die Arbeit verliert und nur schöne Worte hört – Europa wird dann immer weiter entfernt, denn was braucht der Mensch zuerst? Zuerst braucht er Arbeit, dann braucht er Geld. Das ist das, was zunächst wichtig ist für den Menschen."
Europa empfinden viele Franzosen zurzeit als Bedrohung. Christiane Streissel verlor ihre Arbeit bei einem kleinen Zulieferer für pharmazeutische Produkte im elsässischen Betchdorf, weil die Firma ihre Produktion nach Tschechien verlagert hat:
"Da, wo ich gearbeitet habe, da waren immer Aufträge da und dann sind halt die Tschechen dazugekommen und dann sind sie nach Tschechien umgezogen. Da waren so hundert Leute beschäftigt und drum herum, die Wäscherei und so. Und die Leute, die da geputzt haben, die haben auch alle darunter gelitten, dass wir fortgegangen sind. Die sind dann nach Tschechien umgezogen, weil die leider billiger sind als die Elsässer."
Bad Bergzabern ist die nächste Kleinstadt auf der deutschen Seite der Grenze. Auch hier sorgt die Europawahl vor allem für einen beunruhigten Blick ins Nachbarland. Denn einen neuen Nationalismus in Frankreich nach dem Vorbild der Schweiz kann man hier im Grenzgebiet nicht gebrauchen. Die aktuelle Abstimmung gegen Zuwanderung in der Schweiz verstehen viele Südpfälzer nicht.
"Ja gut, man macht sich Gedanken, wie die Schweizer zu den Ausländern stehen. Bei uns sind sie noch herzlich willkommen, weil wir ja Ausländer brauchen – aber die Schweiz wird sie auch brauchen."
"Es kann nur ein vereintes Europa geben. Und was die Schweiz gemacht hat, ist absolut verkehrt. Und gerade wir hier im Grenzgebiet, wir genießen hier die Freizügigkeit. Nur das Schlimme ist, die EU, die ist für uns so furchtbar weit weg."
Trotz der nahen, offenen Grenze zu Frankreich hat die EU auch in Bad Bergzabern nicht nur einen guten Ruf. Es gibt auch hier Leute, die den möglichen Vormarsch rechter, europa-kritischer Kräfte bei der Europawahl begrüßen. Einer von ihnen ist Hans-Peter Barella:
"Für mich ist die Europawahl spannend. Weil um uns rum. Ich bekenne mich dazu, ich stehe etwas mehr im rechten Lager und dann wird dass Bedeutung haben."
Hans-Peter Barella schaut gebannt auf Marine Le Pen und ihre Front National nach Frankreich, aber auch auf die AfD in Deutschland. Was diese Kräfte für die Zukunft Europas bedeuten, kann er sich allerdings noch nicht so recht ausmalen:
"Das sind ja nicht unbedingt Europagegner, ich kann es letztlich nicht ganz genau beurteilen. Auch wenn ich an Olaf Henkel denke: Die wollen Europa reformieren, die sagen ja nicht nein zu Europa. Sondern sie sagen, Europa muss eine andere Ordnung erhalten, so will ich das mal formulieren."
Explosive Lage in Frankreich
Eine neue Ordnung für Europa darf jedoch nicht auf Ressentiments gegen Einwanderer aus Süd-Osteuropa gegründet werden. Das fordert Jutta Steinruck. Sie ist SPD-Europaabgeordnete aus Ludwigshafen. Die Stadt liegt etwa 30 Autominuten von der französischen Grenze entfernt. Als Arbeitsmarktpolitikerin kennt sie die explosive Lage in Frankreich gut. Aber nicht nur das Nachbarland macht ihr mit Blick auf die Europawahl Sorgen. Auch die zunehmenden Vorbehalte in Deutschland etwa gegen Rumänen und Bulgaren beunruhigen Jutta Steinruck. Im EU-Parlament sucht sie das Gespräch mit den Abgeordneten dieser Länder:
"Wir sprechen sehr viel darüber, die Kolleginnen und Kollegen übrigens aller politischen Fraktionen aus Rumänien und Bulgarien sind entsetzt über die Diskussion, die in Deutschland geführt wird von einigen. Wir ziehen letztlich alle an einem Strang. Deutschland ist abhängig von Europa, genau wie diese Länder abhängig sind von Europa. Unser wirtschaftlicher Erfolg kann nur gemeinsam geschaffen werden."
Auf den Marktplätzen unmittelbar an der elsässisch-pfälzischen Grenze sehen die meisten das im Grunde genauso, noch. Doch der Niedergang der Industrie in Frankreich überlagert zurzeit fast alles, betont der elsässische Siemens-Mann Richard Streissel:
"Wir leben Europa. Aber leider nur im Grenzbereich. Und wenn man dann ein bisschen weiter von der Grenze wegfährt, dann ergibt das schon wieder ein ganz anderes Bild. Und wie gesagt, dass was den Leuten richtig weh tut, ist die Verlagerung der Industrie."
Dass dafür die EU mitverantwortlich gemacht wird – keine gute Nachricht für Europa von der deutsch-französischen Grenze.
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