Schweizer Volksabstimmung

Der Aufstieg der Rechtspopulisten

Die rechtspopulistische Schweizerische Volkspartei (SVP) setzt sich mit ihrer Initiative durch.
Die rechtspopulistische Schweizerische Volkspartei (SVP) setzt sich mit ihrer Initiative durch. © dpa/picture alliance/Marcel Bieri
Moderation: Klaus Pokatzky · 10.02.2014
Seit 20 Jahren befinden sich die europäischen Rechtspopulisten im Aufwind, sagt der Politikwissenschaftler Timo Lochocki. Ihre Schlüsselthemen seien "fast immer Zuwanderung, Integration, Asylproblematiken". Dass die Populisten so stark werden konnten, läge auch am Profilverlust der Volksparteien.
Klaus Pokatzky: Rechtspopulisten sind in der Schweiz und in Österreich, in den Niederlanden, in Dänemark und Finnland kaum noch aus dem politischen Spektrum zu verdrängen. Das hat vor einigen Wochen eine Studie der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung festgestellt. Zulauf hätten Europagegner auch in Frankreich und Großbritannien. Eine Ausnahme bildet Deutschland. Erstens fehlten hier charismatische Führungsfiguren, zweitens mangele es an Unterstützung durch die Medien, drittens erschwert die Fünf-Prozent-Hürde den Einzug rechtspopulistischer Parteien in den Bundestag. Wie lange ist das noch so?
Timo Lochocki ist Politikwissenschaftler und Dozent an der Humboldt-Universität Berlin und Fellow des German Marshall Funds. Guten Tag, Herr Lochocki!
Timo Lochocki: Guten Tag, grüße Sie!
Pokatzky: Nach der Volksabstimmung gestern in der Schweiz bekommen nun Europas Rechtspopulisten neuen Aufwind?
Lochocki: Das ist eine gute Frage. Man muss wohl konstatieren, dass die europäischen Rechtspopulisten seit 20 Jahren sich im Aufwind befinden. Ob jetzt das Referendum in der Schweiz ihnen ein besonders günstiges Diskursklima zur Verfügung stellt, ist fraglich – das glaube ich nicht, nein.
Pokatzky: Wenn wir erst mal eine Definition hinkriegen: Die Schweizer Volkspartei, die ja hinter diese Initiative gegen Masseneinwanderung stand, SVP, wird auch als nationalkonservativ, nationalkonservativ bezeichnet. Was ist denn nun der Unterschied zwischen Rechtspopulisten und Nationalkonservativen oder gibt es da keinen? Was sind überhaupt Rechtspopulisten?
Lochocki: Das ist eine sehr gute Frage, die ganze Seminare, ganze Bibliotheksräume füllen könnte.
Pokatzky: Und Ihnen jetzt eine Doktorarbeit beschert.
Lochocki: Das ist richtig, ja, die hat sie mir schon beschert, die ist zum Glück endlich fertig geworden.
Pokatzky: Glückwunsch!
Lochocki: Danke, das ist nett.
Pokatzky: Also was sind Rechtspopulisten? Sie müssen es uns sagen können.
Was Rechtspopulisten in ganz Europa verbindet
Lochocki: Es ist ganz simpel: Die Rechtspopulisten sind natürlich ein vielschichtiges Phänomen. Dennoch haben sie eine Gemeinsamkeit, die sie über alle Ländergrenzen hinweg verbindet, und das ist eine Programmatik, die eine fast schon nostalgische, gemütliche, nationalistische Denkstruktur anbietet, die der Bevölkerung in einer globalisierten Welt mit verschiedenen Einflüssen – globalisierten Warenströmen, Zuwanderung, Wertewandel – ein unglaublich simples Konzept anbietet, wie man mit diesen Problemen, Herausforderungen umgehen kann. Nämlich man sagt einfach: Wir müssen uns auf die Nation zurückbesinnen, wie immer man sie definiert. Und das können Rechtspopulisten freilich nur, wenn sie sagen: Wir sind zwar unsicher, was jetzt typisch schweizerisch ist, typisch spanisch, typisch finnisch, aber wir sagen euch, was auf keinen Fall hierher gehört.
Pokatzky: Nämlich?
Lochocki: Und das sind natürlich einmal die Einflüsse der Europäischen Union und zum Zweiten natürlich Zuwanderer. Das heißt, die Schlüsselthemen sind die Europäische Union, aber eigentlich fast immer Zuwanderung, Integration, Asylproblematiken. Darum geht es eigentlich immer.
Pokatzky: Welche Unterschiede gibt es denn dann zu ausgesprochen rechtsradikalen oder rechtsextremistischen Parteien?
Lochocki: Das ist sehr wichtig zu betonen: Rechtsextreme Parteien definieren sich darüber, dass sie die demokratische Ordnung abschaffen wollen. Das ist bei Rechtspopulisten ausdrücklich anders. Sie wollen demokratische Ordnung geradezu verteidigen und beschreiben vormals sehr gerne, auch gerne muslimische Einwanderer als vermeintliche Bedrohung für die demokratische Grundordnung. Das ist der entscheidende Unterschied: Demokratiebejahung ja – nein.
Pokatzky: Wo sind sie denn dann gefährlich? Also wenn sie die Demokratie bejahen, wenn sie einen gemütlichen Nationalstaat haben wollen, das klingt für mich jetzt erst mal nicht ganz so schrecklich gefährlich.
Lochocki: Gut, die Frage, ob man eine politische Partei als gefährlich betrachtet, hängt freilich von den politischen Präferenzen dessen, der fragt, und der, der zuhört, ab. Generell kann man sagen, dass Rechtspopulisten natürlich einen Einfluss nehmen auf a) die Gesetzgebung im Land und b) den Diskurs der Gesellschaft, wie die Gesellschaft über Probleme redet. Und das große Problem, das man eben sehen muss bei Rechtspopulisten, ist ganz klar das, dass Rechtspopulisten die Bevölkerung, die Wähler glauben machen wollen, dass eine Rückbesinnung auf nationalstaatliche Ordnung, wie wir sie vielleicht in den 50er-, 60er-Jahren hatten, dass das die Lösung für zentrale Probleme wäre und dass Zuwanderer oder die Europäische Union das zentrale Übel darstellen.
De facto wissen ja alle Leute, die sich mit dem Thema beschäftigen meistens, dass dies nicht der Fall ist, sondern Zuwanderung, Multikulturalismus, die Europäische Union ein Schlüssel ist, um zeitgenössischen Problemen zu begegnen, und nicht deren Ursache.
Was Rechtspopulisten gefährlich macht
Pokatzky: Aber Herr Lochocki, ich frage jetzt anders, damit es ganz unmissverständlich ist: Ich bin für Zuwanderung, ich bin für Integration, aber wenn wir, wie Sie schon geschrieben haben, so bei ungefähr 20 Prozent konstantem Wählerpotenzial für Rechtspopulisten in Europa sind, also von Menschen, die gerne ihre gemütliche Nation hätten – aber 20 Prozent, entschuldigen Sie bitte mal –, warum müssen wir vor denen Angst haben?
Lochocki: Das ist ganz simpel: Diese 20 Prozent wählen diese Parteien natürlich, aber wenn diese Parteien mal bei 20 Prozent stehen, werden alle anderen Parteien, vor allem die Volksparteien, Sozial- und Christdemokraten, deren Programmatik mit aufgreifen, weil sie diese Wähler wiederhaben wollen. Das heißt: Wir können ganz klar sehen, dass natürlich diese Rechtspopulisten niemals mehr als 30 Prozent der Stimmen bekommen und fast nie einen Regierungschef stellen können, de facto führt das aber dazu, dass die anderen Parteien eine so große Angst vor diesen Parteien haben, dass sie deren Programmatik zuweilen eins zu eins übernehmen.
Pokatzky: Das heißt, das Problem sind nicht die Rechtspopulisten, sondern sind andere Parteien, die ihnen dann hinterherlaufen?
Lochocki: Das könnte man so überspitzt formulieren. Anders könnte man einfach sagen: Parteien sind eben Vote-Maximizer, auf Englisch, Parteien, die wollen die meisten Stimmen haben und suchen eben eine politische Mehrheit. Und eine politische Mehrheit gegen eine rechtspopulistische Partei zu finden, wenn sie mal etabliert ist, ist beinahe unmöglich. Sie hatten ja vorhin angesprochen, in welchen Ländern diese Parteien nicht vertreten sind, das ist de facto nur Deutschland, Spanien und Irland in ganz Europa. In allen anderen Staaten stehen diese Parteien bei circa 20 Prozent und sind eigentlich de facto aus der Regierungsbildung nicht mehr wegzudenken. Das führt zu einem radikalen, extremen, messbaren Rechtsruck in allen Policy-Bereichen, die Sie messen können.
Pokatzky: Im Deutschlandradio Kultur der Politikwissenschaftler Timo Lochocki, Rechtspopulisten in Europa nach der gestrigen Volksabstimmung in der Schweiz sind unser Thema. Herr Lochocki, wie lange wird das denn in Deutschland so bleiben, dass wir keine rechtspopulistische Partei haben, die eben dann auch möglicherweise nicht nur die Drei-Prozent-Hürde bei der Europawahl, sondern auch die Fünf-Prozent-Hürde für den Deutschen Bundestag überspringt?
Lochocki: De facto sehen wir ja momentan, dass die AfD, die Alternative für Deutschland, die ja vielleicht nicht unbedingt rechtspopulistisch, aber zumindest von der Programmatik her in selben Fahrwassern segelt, sich anschickt, die Fünf-Prozent-Hürde zu nehmen bei der Europawahl, respektive die Drei-Prozent-Hürde, und ob die AfD sich etablieren wird können im parteipolitischen Spektrum, wird ganz stark, fast zu 90 Prozent, 100 Prozent davon abhängen, ob die deutschen Volksparteien es schaffen, die Wähler wieder zurückzugewinnen, vormals die enttäuschten Konservativen, sie wieder zu binden an die SPD und die CDU. Sollten das unsere Parteien nicht schaffen, können wir sicher sein, dass die AfD den Einzug in den Bundestag in den nächsten Jahren schaffen wird und danach viel Raum nach oben hat.
Pokatzky: Das heißt, unsere wunderbare, schöne Konsensdemokratie, auf die ich auch sehr, sehr stolz bin, also wo wir ja in der Tat CDU, SPD kaum noch unterscheiden können – Sie selber haben auch mal von der Sozialdemokratisierung der CDU durch Angela Merkel geschrieben –, das heißt, die ist jetzt gefährlich und beschert uns Rechtspopulisten?
Lochocki: Der Grund, warum die AfD aufgekommen ist, hat wenig zu tun mit der großen Koalition, wie Sie es gerade mal darstellen möchten.
Haben Volksparteien die Rechtspopulisten gestärkt?
Pokatzky: Ja, Entschuldigung, dann muss ich jetzt mal sagen, ich finde jetzt nicht, nur große Koalition, sondern überhaupt, dass wir ein Land haben, das ja parteipolitisch weitgehend entideologisiert ist, verglichen mit anderen Ländern – das könnte ich doch jetzt auch als eine Errungenschaft begreifen, weil wir diesen Konsens haben. Und Sie finden ihn auch bedenklich?
Lochocki: Allerdings. Demokratie lebt davon, vom Konflikt, vom politischen Konflikt, vom geordneten Streiten. Und das große Problem, was wir momentan in Deutschland sehen, ist ja zweierlei: dass sich Wähler bei der AfD sammeln, die vormals für die CDU gestimmt haben, weil sie dort ihr konservatives Profil gesehen haben, oder bei der FDP zu Hause waren, weil sie ein wirtschaftsliberales Profil gesucht haben. Nun sehen wir aber, dass die großen Parteien, die im Bundestag vertreten sind, ein sozialdemokratisches Profil in ökonomischen Fragen gewahrt haben, das heißt, die zehn bis 20 Prozent der Wähler, die eher der FDP oder einer wirtschaftsliberalen Politik nahestehen, haben kein politisches Zuhause mehr. Hinzu kommt noch, dass die Konservativen – denken Sie zurück an Roland Koch oder an Strauß, wenn Sie weiter zurückgehen –, die früher bei der Union zu Hause waren, sehen natürlich in einer Angela-Merkel-CDU keine richtige Heimat mehr. Und so lange wir sozusagen keine starken sozialpolitischen Konflikte mehr haben, die die Wähler FDP ziehen könnten oder die CDU in europapolitischen und Zuwanderungsfragen kein klares konservatives Profil mehr findet, so lange wird die AfD eine wunderbare Alleinstellungsmerkmal-Programmatik haben.
Pokatzky: Bei welchem Thema siegen, bei welchem Thema verlieren denn Rechtspopulisten?
Lochocki: Das kann man wunderbar belegen: Rechtspopulisten gewinnen immer dann, wenn die sogenannte kulturelle Achse der politischen Konflikte an Bedeutung gewinnt, und das sind primär europapolitische und integrationspolitische - also Zuwanderungsfragen. Sie fallen immer dann, wenn sozialpolitische Konflikte an Bedeutung gewinnen, also Arbeitslosigkeit, Rentenversicherung etc. pp., weil diese Parteien nur gewählt werden, weil sie ein gutes "kulturelles Programm" haben. Die haben fast kein sozialpolitisches Programm, und der Wähler wählt keine Partei, die nur über Migration redet, wenn es ihm momentan eigentlich um die Jobs geht.
Pokatzky: Danke, Timo Lochocki, dessen Tätigkeit, ich will nicht sagen Job, das klingt immer so verniedlichend, aber dessen wunderbare Tätigkeit jetzt gerade an der Universität im norwegischen Bergen ist, und der dann im Sommer zurückkehrt an die Humboldt-Universität Berlin als Politikwissenschaftler und mit einer fertigen Doktorarbeit zum Thema Rechtspopulismus in Europa. Vielen Dank und tschüss!
Lochocki: Ihnen auch, vielen Dank!
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