Sterbehilfe

Moraltheologe: Jedes Leben ist schutzwürdig

Debatte um Sterbehilfe: Eine Krankenschwester prüft eine Nährstoff-Ration für einen künstlich ernährten Patienten
Künstliche Ernährung - eine Krankenschwester prüft eine Nährstoff-Ration © dpa / Sami Belloumi
Eberhard Schockenhoff im Gespräch mit Anke Schaefer und Christopher Ricke · 05.06.2015
Der Europäische Gerichtshof urteilt: Ein Koma-Patient muss nicht um jeden Preis künstlich am Leben erhalten werden – auch wenn keine Verfügung vorliegt. Die Richter geben damit der Ehefrau eines vor Jahren verunglückten Franzosen Recht. Für den Moraltheologen Eberhard Schockenhoff ist diese Entscheidung problematisch.
Es gibt wohl kaum ein Thema, über das so heftig und emotional diskutiert wird, wie über die Sterbehilfe. Soll man sie generell verbieten oder gestatten? Und wenn sie erlaubt wäre, in welchem Rahmen, unter welchen Auflagen darf sie vollzogen werden?
Der aktuelle Fall des seit Jahren im Wachkoma liegenden Franzosen Vincent Lambert hat nun den Europäischen Gerichtshof beschäftigt. Die Richter geben den Ärzten, der Frau und den Geschwistern des Patienten Recht und stimmen damit einer passiven Sterbehilfe zu. Demnach dürfen die Ärzte auch ohne ausdrückliche Patientenverfügung die künstliche Ernährung, somit die lebenserhaltenden Maßnahmen, einstellen. Die Eltern des Koma-Patienten wiederum wollten dies nicht hinnehmen.
Jedes Leben ist gleich schutzwürdig
Eberhard Schockenhoff, katholischer Moraltheologe an der Universität Freiburg, kann zwar die Beweggründe der Ärzte und der Ehefrau nachvollziehen, gab jedoch im Deutschlandradio Kultur zu bedenken:
"Es ist sehr schwierig, unterschiedliche Grade von Leben zu unterscheiden. Wenn man beginnt, nur das bewusste Leben als schutzwürdig anzusehen, hat das natürlich sofort Konsequenzen für Menschen mit Demenzerkrankungen in ihrer späten Phase, für Menschen mit geistigen Behinderungen und Beeinträchtigungen. Also, da möchte man von vornherein einer schiefen Bahn wehren. Und deshalb darf man nicht unterschiedliche Lebenszustände unterschiedlich gewichten hinsichtlich ihrer Schutzwürdigkeit."
Keine künstliche Ernährung um jeden Preis
Jedoch habe sich in den vergangenen Jahren ein Wandel in der Betrachtung todkranker Patienten vollzogen, der auch von der katholischen Theologen mitgetragen werde: "Man sagt, es gibt keine unbegrenzte Verpflichtung zur künstlichen Ernährung in jedem denkbaren Zustand. Denn die künstliche Ernährung ist nicht einfach ein Bestandteil der Grundpflege, die wir jedem Menschen bis zum Tod schulden, sondern ist eine eigene medizinische Maßnahme. Und dann muss man wie bei jeder medizinischen Maßnahme darüber nachdenken, welches Ziel sie verfolgt, ob sie indiziert ist."
Und wenn Anlass zur Vermutung bestehe, dass der Wachkoma-Patient solchen lebenserhaltenden Maßnahmen nicht zugestimmt hätte, solle es möglich sein, diese "nach einer hinreichend langen Zeit" zu beenden, wenn eine Besserung ausgeschlossen sei.
Es sei deshalb für jeden Bürger wichtig, beizeiten über eine Patientenverfügung nachzudenken. Im Übrigen sei "das Leben ein Auftrag, den der Mensch von Gott erhalten" habe. Es sei gut zu leben – auch wenn man alt, krank oder hoffnungslos sei. Doch dies werde "als falsche Hoffnung überführt", wenn die Möglichkeit des Suizids greifbar sei. Es sei Aufgabe der Umwelt und der Gesellschaft, jedem Menschen auch in seiner letzten Lebensphase das Gefühl zu geben: "Es ist gut, dass du da bist."
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