Sterbehilfe-Fall Vincent Lambert

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte entscheidet

Der französische Koma-Patient Vincent Lambert bekommt ein Bild gezeigt.
Der Fall des Koma-Patienten Vincent Lambert hat die Sterbehilfe-Debatte in Frankreich wieder entfacht. © picture alliance / dpa/
Von Ursula Welter · 05.06.2015
Eine private Familienangelegenheit ist plötzlich Teil einer Gesellschaftsdebatte in Frankreich geworden. Vincent Lambert liegt im Koma und seine Familie ist entzweit: Sollen die lebensverlängernden Maßnahmen beendet werden? Heute entscheidet der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte über den Fall.
"Wir sehen doch, wie er reagiert."
Die Mutter spricht von Momenten des Bewusstseins. Die Ehefrau stützt sich auf die zahlreichen Ärzte, die das Ende der lebensverlängernden Maßnahmen für Vincent Lambert empfohlen haben.
Seit Vincent Lambert 2008 einen Motorradunfall erlitt, liegt er im Koma. 2013 raten seine Ärzte, die lebensverlängernden Maßnahmen zu beenden, stellen den vegetativem Zustand des Patienten fest und deuten auf Schmerzreaktionen hin, die die künstliche Ernährung auslöst.
Die Ehefrau Lamberts ist einverstanden, die lebenserhaltenden Maßnahmen werden beendet, aber die Eltern, strenggläubige Katholiken, und einige Geschwister klagen, bekommen im Frühsommer 2013 Recht, die künstliche Ernährung wird wieder aufgenommen.
Ende 2013 plädiert der behandelnde Arzt erneut, die lebensverlängernden Maßnahmen einzustellen. Die Eltern klagen wiederum, bekommen wiederum Recht. Auch diesmal sagen die Richter, es könne nicht bewiesen werden, was Lamberts Ehefrau sage, dass dieser nämlich die künstliche Ernährung nicht gewollt habe.
Nun klagt die Ehefrau, weitere Geschwistern und Verwandte Lamberts schließen sich ihr an: der Conseil d'Etat, das Oberste Verwaltungsgericht Frankreichs, entscheidet im Juni 2014, der Zustand Lamberts habe sich in den zurückliegenden Jahren verschlechtert, der Patient befinde sich in einem vegetativen Zustand, Chancen auf Verbesserung gebe es nicht.
Nach geltendem Recht, das den Namen des konservativen Politikers Leonetti trägt, hätte die künstliche Ernährung damit beendet werden können.
"Dieses Urteil des Obersten Verwaltungsgerichts", sagte Jean Leonetti im vergangenen Sommer, "bestätigt das Gesetz, das zwei Dinge vorgibt: Nicht künstlich ernähren, wenn dies sinnlos und nicht mehr angemessen erscheint, wenn es nur noch dazu dient, ein Leben künstlich zu verlängern, ein Gesetz, das aber auch verlangt, auf die Person zu schauen, um die es geht."
Wäre das Ende der künstlichen Ernährung Euthanasie?
Das Gericht aus 17 hochrangigen Richtern hatte zahlreiche medizinische Gutachten eingeholt. Und auch den Willen Vincent Lamberts in die Waagschale geworfen:
"Sicher, er hat nichts schriftlich hinterlassen, aber er hat als gelernter Krankenpfleger seiner Umwelt hinreichend deutlich gemacht, dass er so nicht leben wolle."
Dennoch wurden die lebenserhaltenden Maßnahmen im vergangenen Sommer nach diesem Sommer nicht eingestellt, denn die Eltern wandten sich mit einem Eilantrag an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Und der entscheidet nun heute.
Sie habe, da sie beide Krankenpfleger gewesen seien, vor dem Unfall ernsthaft mit ihrem Mann über das Thema Lebensende sprechen können, beteuert die Ehefrau, Rachel Lambert.
Es gehe hier um eine medizinische Entscheidung, so schwer das auch sei. Im September letzten Jahres gab Rachel Lambert ein Buch heraus, mit dem Titel "Weil ich ihn liebe, will ich ihn gehen lassen".
"Es war mir wichtig, auch den Teil unserer Geschichte zu hinterlassen," sagte sie Radio France, "der von unserer Hochzeit, unserer Liebe handelt."
Es sei für sie schwer, dass ihre private Familiengeschichte plötzlich Teil einer Gesellschaftsdebatte in Frankreich geworden sei.
Aber auch die Eltern Lamberts setzten ihre Überzeugungsarbeit fort, im Internet, in Interviews und sie hoffen, dass der Europäische Menschengerichtshof das Ende der künstlichen Ernährung nicht bestätigen wird:
"...das wäre eine verdeckte Euthanasie", sagt Viviane Lambert, die Mutter, "Vincent ist nicht am Ende seines Lebens, er ist behindert......"
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