Stephen Moss: “Über die Schwalbe”

Symbol der Freiheit und Frühlingsbote

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Cover des neuen Buchs von Stephen Moss: "Über die Schwalbe".
Kein großer Wurf, aber lesenswert und liebevoll gestaltet: Der Vogelexperte Stephen Moss schreibt über die Schwalbe. © Deutschlandradio / Dumont
Von Anne Kohlick · 27.04.2021
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In diesen Wochen kehren sie aus Afrika zurück nach Europa: die Schwalben. Der britische Vogelexperte Stephen Moss widmet den Langstreckenfliegern sein neues Buch und erklärt, warum sie uns schon seit vielen Jahrhunderten faszinieren.
Stellen Sie sich vor, Sie wären ein nur 18 Gramm leichter Vogel, der in den Sommermonaten vor einer Sisyphos-Aufgabe steht: 500 Insekten in der Stunde fangen, um die Schnäbel seiner hungrigen Küken zu stopfen. Genau in diese Perspektive versetzt uns Stephen Moss in seinem neuen Buch "Über die Schwalbe".
In Großbritannien ist der 60-Jährige als Autor von zwei Dutzend Sachbüchern über Vögel bekannt - und für BBC-Dokumentarfilme über die heimische Fauna. Moss hat London den Rücken gekehrt, um in Somerset auf dem Land seinen Studienobjekten näher zu sein.
Nachdem er schon dem Rotkehlchen und dem Zaunkönig je eine "Biografie" gewidmet hat - so der Untertitel der englischen Originalausgaben - ist sein neues Buch über die Schwalbe nun als erstes aus der Reihe auf Deutsch erschienen.

Persönliche Beobachtungen und ornithologische Fakten

Persönliche Beobachtungen verbinden sich darin mit ornithologischen Fakten und Wissenswertem aus der Kulturgeschichte der Schwalbe - ein Vogel, der zum Symbol der Freiheit geworden ist. Beispiele dafür findet Stephen Moss etwa in Sprichwörtern oder Tattoos: Eine Schwalbe ließen sich Seefahrer traditionell nach 5.000 zurückgelegten Seemeilen tätowieren, eine zweite nach 5.000 weiteren.
Der Vogel-Experte gliedert sein Buch schlüssig nach den Jahreszeiten. Beginnend mit der Ankunft der Schwalben im Frühling begleitet er Nestbau, Brut und Aufzucht der Küken, den 10.000 Kilometer langen Vogelzug im Herbst, um den Schwalben im Winter einen Besuch in Südafrika abzustatten. Am Lake Victoria beobachtet er, wie sich Hunderttausende der Vögel an ihrem Schlafplatz versammeln: "Der ganze Himmel schien lebendig."

Gezwungen, durch die Welt zu ziehen

Farbige Reproduktionen von historischen Postkarten und Lexikon-Illustrationen aus dem 19. Jahrhundert geben dem Buch einen altmodischen Charme. Das passt zur langen Geschichte der Faszination, die Schwalben auf Menschen ausüben.
Jahrhunderte ist sie alt, wie das Buch anhand mittelalterlicher Wappen zeigt. Darin stehen Schwalben für die jüngsten Söhne der Familie, die nichts erbten und deshalb gezwungen waren, "durch die Welt zu ziehen und sich einen Lebensunterhalt und ein Vermögen aufzubauen".
So spannend vor allem die kulturhistorischen Aspekte des Buches sind, so ermüdend liest sich die Vielzahl der Zitate aus ornithologischer Fachliteratur. Ein Verzeichnis der genannten Titel fehlt am Ende des Buches.

Nature Writing: Rachel Carson als Vorbild

Schade auch, dass Stephen Moss die im Prolog eröffnete Perspektive einer Schwalbe, der man als Protagonistin folgt, schnell verlässt. Im Stil der großen amerikanischen Autorin des Nature Writings, Rachel Carson, die 1941 in "Under the Sea Wind" unter anderem aus der Sicht eines Seevogels erzählte, hätte er zu einer mitreißenderen Erzählform finden können.
Zuletzt gelang dem Schweden Patrik Svensson ein außergewöhnliches Naturbuch, der 2020 mit seinem "Evangelium der Aale" einen Welterfolg landete. Ein solcher Wurf ist "Über die Schwalbe" nicht geworden - aber doch ein lesenswertes, liebevoll aufgemachtes Buch, das einem Bewunderung für die Langstreckenflieger abringt.

Stephen Moss: "Über die Schwalbe"
Aus dem Englischen von Marion Herbert & Annika Klapper
Dumont, Köln 2021
224 Seiten, 23 Euro

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