Michael McCarthy: "Faltergestöber"

Eine Liebeserklärung an die Natur

06:22 Minuten
Das Cover ist schwarz und zeigt orange und gelb farbene Illustrationen von Schmetterlingen.
Die Natur war ihm Heimat: Sehr persönlich beschreibt Michael McCarthy, in welchem Ausmaß Flora und Fauna seit seinen Kindertagen vernichtet wurden. © Deutschlandradio / Matthes & Seitz Berlin
Von Susanne Billig · 26.02.2021
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Früher saßen Grauammern auf jeder Hecke. Schwalben vollführten in jedem Hof ihre Kunstflüge. Und Wolken von Finken ließen sich auf Stoppelfeldern nieder. Das ist vorbei, beklagt Michael McCarthy und plädiert für eine neue Liebe zur Natur.
Auf Brennnesselflächen wimmelte es nur so von Kleinen Füchsen und Pfauenaugen, erinnert sich der britische Journalist und Naturschriftsteller Michael McCarthy in "Faltergestöber". Und wer an einem Sommerabend auf dem Land unterwegs war, konnte in Wolken von Nachtfaltern und anderen nachaktiven Insekten geraten. So viele, dass Wanderer die Augen schließen und die Hände vor den Mund legen mussten, um weitergehen zu können. Das ist spätestens seit den 1980er-Jahren vorbei.

Natur als Heimat

Sehr persönlich geht der Schriftsteller, Journalist und Umweltaktivist sein großes Thema an – das erschütternde Ausmaß der Naturvernichtung dieser Tage und die Schönheit und Verbundenheit, derer Menschen sich auf diese Weise berauben.
Eindringlich erzählt Michael McCarthy von der Erkrankung seiner Mutter, ihrem wiederholten Verschwinden in der Psychiatrie und davon, in welchen Schmerz ihn das als kleinen Jungen katapultierte. In der Natur umherstreifen, Vögel kennenlernen, in Wiesen und Wäldern versinken – das war seine Rettung, seine neue Heimat, der er immer die Treue gehalten hat.

Arten dünnen aus

Was die Zerstörung der natürlichen Umwelt angeht, so zeigt das Buch, sind Menschen wie Frösche, deren Wasserbassin so langsam zum Kochen gebracht wird, dass sie vor lauter Gewöhnung versäumen davon zu springen, bevor sie selbst mitkochen.
Das zeigt der Autor eindrucksvoll am Beispiel der Vögel: Erstaunlicherweise starben seit dem Zweiten Weltkrieg in Großbritannien nur zwei Arten aus, der Neuntöter und der Wendehals. Doch es gibt keinen Grund, sich zu beruhigen, denn auch andere Arten dünnen aus.

Keine Spatzen mehr in London

Akribisch zählt er auf: Von 1967 bis 2011 nahmen die Turteltauben in Großbritannien um 95 Prozent ab, die Rebhühner um 91 Prozent, die Grauschnäpper um 89 Prozent, die Grauammern um 88 Prozent und die Schafstelzen um 73 Prozent. Und in London starben die Spatzen aus – ausgerechnet jene Allerweltvögel, denen es immer gut gegangen war.
Spannend erzählt der Umweltaktivist von den vielen aufgeregten Forschungsarbeiten, die zu ergründen versuchten, was den lebhaften grauen Vögeln so zugesetzt hatte. Heute weiß man: Spatzeneltern konnten während der Brutzeit für ihren Nachwuchs nicht mehr genügend proteinreiche Insektennahrung finden. Der kleine Vogel ist nie nach London zurückgekehrt.

Liebeserklärung an die wilde Natur

In seinem Buch versucht Michael McCarthy den Balanceakt – zwischen Anklage und Appell auf der einen und zarter Liebeserklärung an die Schönheit und Anmut der wilden Natur auf der anderen Seite.
Auch wenn er in Sprache und Gedankenreichtum mit den Meisterinnen und Meistern des Faches nicht ganz mithalten kann, gelingt ihm doch eine zu Herzen gehende Prosa, wenn er von Gesprächen mit Ökologinnen und Vogelbeobachtern hin zu Reiseerfahrungen in ferne Länder wandert, sein Publikum mitnimmt zu bedrohten Korallenriffen und Küstengebieten, die aus Politikerehrgeiz unwiederbringlich planiert worden sind.

Eine zu Herzen gehende Prosa

Alles könnte anders sein, wenn Menschen nur begreifen würden, wie innig auch sie mit der Natur verwoben und ohne sie schlicht nicht existenzfähig sind, davon ist Michael McCarthy überzeugt – und man kann ihm nur viele liebesfähige Leserinnen und Leser wünschen.

Michael McCarthy: "Faltergestöber"
Übersetzung von Karen Nölle und Sabine Schulte
Matthes & Seitz, Berlin 2021
229 Seiten, 25 Euro

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