Stephen King: "Finderlohn"

Gefährliche Notizbücher

US-Bestsellerautor Stephen King bei einer Lesung in Hamburg
US-Bestsellerautor Stephen King bei einer Lesung in Hamburg © picture alliance / dpa / Maja Hitij
Von Irene Binal · 08.09.2015
In Stephen Kings neuem Roman "Finderlohn" geht es nicht um Monster, auch nicht um Untote oder Außerirdische. Dafür um einen Koffer mit brisantem Inhalt, einen lang zurückliegenden Mord und nicht zuletzt um das Schreiben an sich.
Vom Genre des Horrorromans, mit dem er berühmt geworden ist, entfernt sich Stephen King mittlerweile gern: Schon mit "Mr Mercedes" legte er einen Krimi vor, der ganz ohne übernatürliche Hilfe auskommt, und dieses Konzept verfolgt er auch in seinem neuen Buch. "Finderlohn" heißt es und King lässt darin das Personal von "Mr Mercedes" erneut aufmarschieren: den pensionierten Detective Kermit Bill Hodges, seine Helfer Jerome und Holly und in einer kleinen, aber wichtigen Rolle auch den Bösewicht Brady Hartfield.
Man muss "Mr Mercedes" nicht unbedingt kennen, um "Finderlohn" zu lesen − aber hilfreich ist es allemal. Denn die beiden Bücher sind deutlich miteinander verschränkt: Das zentrale Ereignis des ersten Romans − ein blutiger Anschlag auf eine Schlange von Arbeitssuchenden − ist so etwas wie der Angelpunkt in "Finderlohn".
In dieser Schlange befindet sich ein gewisser Tom Saubers, der bei dem Angriff schwer verletzt wird, was eine Kette von Ereignissen in Gang setzt: Tom kann kein Geld mehr verdienen, seine Familie gerät in existentielle Nöte, und als Toms Sohn Pete einen Koffer mit Geldscheinen und Notizbüchern findet, sieht er die Gelegenheit gekommen, seinen Eltern heimlich finanziell zu helfen.
Im Gegensatz zu Tom weiß der Leser freilich, was es mit dem Koffer auf sich hat: Geld und Notizbücher gehörten dem Schriftsteller John Rothstein, der in den 60er-Jahren mit drei Romanen berühmt wurde, danach aber nichts mehr veröffentlichte, was seinen glühenden Verehrer Morris Bellamy so erzürnte, dass er Rothstein 1978 ermordete. Bevor Bellamy für ein ganz anderes Verbrechen ins Gefängnis wanderte, versteckte er den Koffer − und als er aus der Haft entlassen wird, und entdecken muss, dass sein Schatz verschwunden ist, macht er sich umgehend auf die Suche nach dem Dieb.
"Ein guter Autor ist ein Sekretär, nicht Gott"
In dieser spannenden Handlung, die King mit dramaturgischer Meisterschaft vorantreibt, ist noch eine zweite Ebene verwoben: jene des Schreibens. John Rothstein ist mehr als nur eine auf den ersten Seiten des Buches ermordete Randfigur, seine Notizbücher mit zwei nie publizierten Romanen sind die eigentliche Basis der Handlung. Hinter ihnen, nicht hinter dem Geld, ist Bellamy her, während Pete die Büchlein um jeden Preis verteidigen will.
Und so kann Stephen King in seinem Krimi auch über das Schreiben an sich nachdenken, über das Verhältnis von Autor und Werk, die Kraft, die eine Geschichte entfalten kann, und die eigentliche Rolle des Schriftstellers. "Ein guter Autor", heißt es an einer Stelle, "erkennt, dass er ein Sekretär ist, nicht Gott."
Vielleicht ist genau diese Haltung ein Schlüssel zum Geheimnis von Kings jahrzehntelangem Erfolg. Ein guter Autor ist er jedenfalls, der die Technik des Erzählens beherrscht, der Spannung aufzubauen versteht und der seine Liebe zum Schreiben, zur Literatur, geschickt in die Krimihandlung einflicht. Und der mit einem Cliffhanger in "Finderlohn" auch das Versprechen abgibt, dass man von den Figuren des Romans wohl noch einiges hören wird.

Stephen King: Finderlohn
Roman. Aus dem Amerikanischen von Bernhard Kleinschmidt
Heyne Verlag, München 2015
544 Seiten, 22,99 Euro

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