Stephan Ruß-Mohl über Corona-Berichterstattung

Ein Bombardement, das Angst gemacht haben muss

09:49 Minuten
Ein Mann mit Plastikhandschuhen trägt zwei Atemschutzmasken und verdeckt mit der einen seine Augen.
Bei allem Streit haben wir vergessen, gemeinsam nach Lösungen Ausschau zu halten, findet der Medienforscher Stephan Ruß-Mohl. © Unsplash / Amin Moshrefi
Moderation: Florian Felix Weyh · 02.01.2021
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Die Menschen seien 2020 mit Corona-Berichten regelrecht "bombardiert" worden – mit Folgen für die Politik, kritisiert der Medienforscher Stephan Ruß-Mohl. Medien müssten sich deshalb fragen, ob sie nicht auch etwas falsch gemacht haben.
Florian Felix Weyh: Etwas besser machen – roter Faden dieser Sendung – setzt manchmal oder immer die Bereitschaft zu Kritik und, ja, Streit voraus. "Schriften zur Rettung des öffentlichen Diskurses" heißt eine neue Buchreihe, herausgegeben vom emeritierten Journalismusprofessor Stephan Ruß-Mohl. Muss man den Diskurs retten, wenn ja, vor wem? Darüber will ich mit Stephan Ruß-Mohl jetzt sprechen, der auch Herausgeber und Mitautor des Einführungsbandes dieser Reihe ist. Guten Morgen, Herr Ruß-Mohl!
Stephan Ruß-Mohl: Einen schönen guten Morgen!
Weyh: "Streitlust und Streitkunst" heißt dieser Band. Fehlt es denn daran, an Streitlust hierzulande in den Medien, oder fehlt es nur an Streitkunst?
Ruß-Mohl: Ich fürchte, es fehlt vor allem an Streitkunst, wobei Streitlust, wenn man den Lustfaktor akzentuiert, dann würde ich mir auch Streit ein bisschen anders vorstellen, als er tatsächlich im öffentlichen Diskurs stattfindet.
Weyh: Also wie?
Ruß-Mohl: Na ja, da wissen wir alle, in den sozialen Netzwerken wird sehr viel mit Hassbotschaften gearbeitet. Wir haben, glaube ich, die Fähigkeit ein Stück weit verloren, gemeinsam nach Lösungen Ausschau zu halten, die für die Gesellschaft nützlich und sinnvoll wären. Stattdessen kampeln wir uns sehr oft in einer ziemlich unakzeptablen Weise.
Weyh: Wie das aussehen kann, auch zivil zu streiten, das führen Sie sogar in diesem Band vor, aber ich fang mal ganz hinten im Buch an, bei Ihrem Nachwort – das ist der Versuch eines Resümees nach 450 Seiten voller interessanter und konträrer Aufsätze. Da schreiben Sie in einer Zehnpunkteliste, was nun auf der Tagesordnung stünde, Zitat: "Achtens sollten wir skeptisch sein und eigenständig denken, neuntens sollten wir skeptisch sein und eigenständig denken, und zehntens sollten wir skeptisch sein und eigenständig denken." Das Wort Skepsis hat aber dieser Tage ja gar kein hohes Prestige, weil es so ein Synonym für Ignoranz geworden ist.
Ruß-Mohl: Da haben Sie schon recht, und genau aus diesem Grund ist diese Aufforderung, skeptisch zu bleiben und eigenständig zu denken, eben hier gleich dreimal zum guten Ende wiederholt. Ich sage Ihnen ganz ehrlich, ursprünglich stand da "querdenken", aber das Wort ist ja nun verbrannt inzwischen durch den politischen Diskurs.
Dann haben wir das so modifiziert, um die eigentliche Botschaft zu retten, dass wir einfach uns nicht im Herdentrieb durch die Gegend bewegen sollten und dann möglicherweise auch die Herde abstürzt, sondern dass wir möglicherweise auch als schwarzes Schaf gelegentlich aus der Herde ausbrechen und den Mut haben, rational und eigenständig uns zum Beispiel zwischen Covidioten und zwischen dem COVID-19-Panikorchester auf der anderen Seite zu bewegen.


Weyh: Da haben Sie aber ja am eigenen Leib erfahren, was im Journalismus bisher eigentlich nicht so oft der Fall war, wie schnell ein Begriff umgewertet werden kann.
Ruß-Mohl: Das hat mich gerade bei diesem Begriff auch überrascht, wobei wir halt leider auch sehen müssen, dass auch Journalisten sehr oft in der Herde unterwegs sind und voreilig Begriffe umprägen, ohne viel drüber nachzudenken, ob der ursprüngliche Begriff nicht doch seine Existenzberechtigung und seinen Sinn hatte.

"Der Journalismus ist auch in einer schwierigen Situation"

Weyh: Wie groß ist der Bogen, den Sie über 450 Seiten mit Ihren Autorinnen und Autoren aufspannen? Ist das immer nur Medienkritik, die sich damit beschäftigt, wie die etablierten Medien funktionieren sollten und wo sie versagt haben, oder geht das weiter?
Ruß-Mohl: Nein, es geht natürlich schon weiter. Im Kern geht es sehr häufig und sehr intensiv um Journalismus. Der Journalismus ist ja auch in einer ausgesprochen schwierigen Situation, weil auf der einen Seite die Ressourcen fehlen für Recherchen zum Beispiel, und auf der anderen Seite es halt im Grunde genommen die billigste Variante ist, Journalismus zu machen, indem man Meinungen hinausposaunt, und das geschieht inzwischen im Übermaß.
Das ist der eine Aspekt, aber Sie haben ja jetzt nach den Weiterungen gefragt, und die Weiterungen haben sehr viel damit zu tun, dass wir einfach von der Gesellschaft, soll heißen, unter den Mediennutzern, auch bereit sein müssen, uns mit den Widrigkeiten einer digitalisierten Öffentlichkeit auseinanderzusetzen. Das ist, glaube ich, eigentlich doch das zentrale Motiv. Mir ging es sehr stark darum, dass wir Wissenschaftler und Journalistinnen und Journalisten ins Gespräch bringen auf der einen Seite, und dass wir auf der anderen Seite aber auch den Diskurs öffnen hin zu allen gesellschaftlichen Gruppen, die auf zivile Weise am Diskurs teilnehmen wollen.


Weyh: Nun gab es einen Lichtblick dieses Jahr, das war der sogenannte Corona-Bump, dass nämlich die traditionellen Medien plötzlich durch Corona als Nachrichtenmedien viel stärker nachgefragt waren. Nun lese ich aber in einem – das Buch ist ja sehr aktuell, es ist ja sozusagen während der Krise entstanden – in einem der Beiträge von Mark Eisenegger, er ist ein Forscher aus der Schweiz, dass dieser Corona-Bump aber nur sehr kurzfristig war.
Stephan Ruß-Mohl im November 2012 während einer Rede in Wien. Ein älterer Mann im Anzug steht an einem Pult und hält einen Vortrag.
Stephan Ruß-Mohl: "Mir ging es sehr stark darum, dass wir Wissenschaftler und Journalistinnen und Journalisten ins Gespräch bringen."© picture alliance/dpa/Helmut Fohringer/APA
Ruß-Mohl: Ja, man muss einfach bei dem Corona-Bump auch sehen, dass das ziemlich gefährlich ist. Natürlich, wenn eine Pandemie ausbricht, dann ist sehr viel Interesse bei den Mediennutzern da. Das haben die Journalisten, die ja inzwischen in Echtzeit messen können, wie viel Aufmerksamkeit sie – online zumindest – erzielen, das hat die Journalisten dazu veranlasst, dass sie dann auch immer mehr und immer mehr und immer mehr Corona-Nachrichten gebracht haben.
Das geht dann eine Weile ganz gut, aber wenn man das mehr als zwei Wochen macht, dann verengt sich eben auch der Blickwinkel und es findet in der Welt nur noch Corona statt. Und das ist auch, denke ich, sehr, sehr gefährlich, denn Journalismus ist ja eigentlich dazu da, uns zu informieren, was auch sonst noch in der Welt los ist, und nicht uns nur mit Zahlen über Neuinfizierte zu bombardieren, was der Journalismus leider immer noch tut.

"Corona hat den öffentlichen Diskurs dominiert"

Weyh: Nun haben wir ein erstaunlich kurzes Gedächtnis, wenn man nämlich mal geistig Revue passieren lässt, welche Aufregerthemen die letzten Jahre dastanden, wo dieses Jahr Corona stand, dann war das die Flüchtlingskrise, dann war es die Klimakrise. Sie beschäftigen sich auch damit und dokumentieren doch da einen Meinungskorridor, der wenig Skepsis in den Medien zeigt.
Ruß-Mohl: Ja, das war sozusagen eines der Motive, weshalb wir dieses Buch gemacht haben. Wir wollten in der Rückschau einfach noch mal auch zeigen, was im öffentlichen Diskurs möglicherweise schiefläuft. Ich glaube, an der Stelle sind wir sehr aktuell, wobei man dazusagen muss, dass es natürlich bei den verschiedenen Diskursen schon Unterschiede gibt. Corona hat in einer Weise den öffentlichen Diskurs dominiert, wie das beim Klimadiskurs und beim Migrationsdiskurs nie der Fall war.
Die Zahlen von Herrn Eisenegger für die Schweiz, die wahrscheinlich für Deutschland auch in etwa so gelten: Was den Klimadiskurs anlangt, maximal zehn Prozent Anteil in den Nachrichten, was den Coronadiskurs anlangt, 60 bis 70 Prozent in den Spitzenzeiten. Wir sind wirklich in einer Weise bombardiert worden, die den Menschen Angst gemacht haben muss, diese in Panik versetzt haben muss. Und was das wiederum für Folgen hat für die Politik, das müsste man vielleicht doch auch noch mal nachrecherchieren, ob da nicht die Medien und Journalistinnen und Journalisten auch einiges falsch gemacht haben.

Wer denkt an die Jungen?

Weyh: Schauen wir mal nach vorne: Ein neues Jahr beginnt und was kann man besser machen, und im Nachwort schreiben Sie dann so ein paar Themenfelder, von denen Sie finden, dass die in den Fokus gehören: "Mehr mediale Aufmerksamkeit verdiente die strukturelle Übermacht der Alten bei Wahlen, die verhindert, dass die junge Generation zukunftsweisende Entscheidungen treffen kann." Sie sind schon emeritiert, Sie gehören ja eher zu den Alten – eine recht ungewöhnliche Position.
Ruß-Mohl: Ja, das finde ich aber eben traurig, dass das eine ungewöhnliche Position ist, da bin ich ganz aufseiten der Jungen, aufseiten der Familien mit Kindern. Die müsste man, wenn man ernsthaft drüber nachdenkt, wie zahlenmäßig wir Alte in der Überzahl sind, einfach wahrscheinlich doch mit mehr Entscheidungsmacht ausstatten, weil sie einfach im Beruf sich verschleißen müssen und weil sie im Homeoffice Übermenschliches leisten müssen, gar keine Zeit haben, sich um die Probleme, die sie aber in allererster Linie angehen, zu kümmern. Ich meine, das allergrößte Problem an der Stelle ist wahrscheinlich die Art und Weise, wie sich die Politik in diesem Jahr verschuldet hat und wie sie damit auf Jahre, wenn nicht Jahrzehnte hinaus die nachkommende Generation belastet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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