Berichterstattung über Corona

"Wir führen einen angstgetriebenen Diskurs"

06:54 Minuten
Angela Merkel kommt zusammen mit Michael Müller, Olaf Scholz und Markus Söder zu einer Pressekonferenz im Bundeskanzleramt
Kanzlerin Merkel, Ministerpräsident Söder, Vizekanzler Scholz: Über deren Konferenzen werde tagelang berichtet, kritisiert Klaus Meier. © picture alliance/dpa/Bernd von Jutrczenka
Klaus Meier im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 18.12.2020
Audio herunterladen
Medien berichten zu wenig über Alternativen zum Lockdown, meint der Kommunikationswissenschafter Klaus Meier. Dominieren würden Politiker, die schnelle, durchgreifende Lösungen versprechen. Er sieht eine "absurde Rationalitätsverschiebung".
Bisher sind es drei Phasen, die der Kommunikationswissenschaftler Klaus Meier beobachtet: Im Frühjahr hätten Medien mehrheitlich den Lockdown als unumgänglich dargestellt, im Sommer dagegen hätten sie vielfältigere Positionen abgebildet. Seit dem Herbst allerdings beginne es wieder zu kippen – hin zu einem "Notstand" in der öffentlichen Diskussion, wie er sagt:
"Es hätte ja viele Lösungsmöglichkeiten gegeben, die auch in der breiten Öffentlichkeit diskutiert wurden im Sommer. Aber hochgespült werden dann immer die Politikerinnen und Politiker, die die schnellen, durchgreifenden Lösungen und Lockdown versprechen, die diese Rundumsicherheit versprechen."
Meier räumt allerdings ein, dass es "die Medien" so nicht gebe und man differenzieren müsse. Viele würden auch einen guten Job machen. "Was ich kritisiere", sagt er, "ist die Nachrichtenrealität, die sich vor allem im Fernsehen, auch in den Sondersendungen widerspiegelt". In ihnen dominiere tagelang eine "Verkündigungskonferenz" der Kanzlerin und der Ministerpräsidenten. Alternativen würden nicht gleichgestellt diskutiert, meint Meier: "Die Alternativen finden sich auf den hinteren Seiten oder in den hinteren Sendeplätzen."

Das Bild vom autoritären Staat

Über den Sonderweg Tübingens müsse man da fast schon "dankbar" sein. Dort werde die ältere Bevölkerung mit Tests, Taxigutscheinen und Zeitfenstern beim Einkaufen geschützt. Nur seien diese Maßnahmen nicht deutschlandweit gültig, obwohl sie "wahrscheinlich am sinnvollsten" gewesen wären: "Wir müssen uns fragen, ob nicht diese Nachrichtenlogik uns hineingetrieben hat wieder in dieses Bild vom autoritären, befehlenden, strafenden Staat und eben nicht vom fürsorgenden, konstruktiven Staat, den wir in Tübingen erleben."
Meier sieht auch Konsequenzen für den Diskurs: "Wir führen in der Tat einen angstgetriebenen Diskurs und keinen rationalen Diskurs." So habe im September eine Befragung über die Ängste der Deutschen ergeben, dass ein Drittel befürchtete, ernsthaft durch Corona zu erkranken, und gleichzeitig auch etwa ein Drittel, überhaupt schwer zu erkranken:
"Das war eine absurde Rationalitätsverschiebung. Wir sind überhaupt nicht mehr in der Lage, Krankheitsrisiken vernünftig einzuschätzen. Das hat natürlich mit Medienlogik und Berichterstattung zu tun, weil wir über Krankheiten natürlich durch die Medien erfahren."
(bth)
Mehr zum Thema