Steinbachtalsperre nach der Flut

Vom Problemfall zum möglichen Modellprojekt

08:24 Minuten
Blick vom Staudamm aus in die leere Steinbachtalsperre. Darin sieht man einen kleinen Wasserlauf und Pfützen. Im Vordergrund steht ein Geländer.
Im Juli drohte der Damm der Steinbachtalsperre zu brechen. Nun geht es darum, was mit der Anlage passieren soll. © Deutschlandradio / Felicitas Boeselager
Von Felicitas Boeselager · 15.12.2021
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Im Juli wurde ein Dammbruch an der Steinbachtalsperre bei Euskirchen knapp verhindert. Fünf Monate nach der Flutkatastrophe hat das Ringen um die Zukunft der Talsperre begonnen, denn: Sie könnte eine wichtige Rolle beim Hochwasserschutz spielen.
Als es Mitte Juli hieß, dass es sein könnte, dass einige Talsperren in Nordrhein-Westfalen dem Hochwasser nicht mehr standhalten, waren das eigentlich unvorstellbare Nachrichten für Deutschland: dass hier Dämme zu brechen drohten. Eine Talsperre, die damals die Nachrichten dominierte, war die Steinbachtalsperre bei Euskirchen.
Ein Dammbruch konnte verhindert werden. Einsatzkräfte pumpten Tag und Nacht Wasser aus der Talsperre. Ein einzelner Baggerfahrer schaufelte mit seinem Gerät den Grundablass frei, der durch den Starkregen verstopft war. Zuvor war das Wasser unkontrolliert über die Dammkrone gelaufen.

Gerüchte über einen Dammbruch

Gerüchte erzählten damals, der Damm sei gebrochen und knapp zwei Millionen Kubikmeter Wasser seien ins Tal gestürzt, hätten die bereits evakuierten Dörfer und Städtchen, Heimat Zehntausender Menschen, überschwemmt. Die Munkeleien waren falsch, diese dramatische Situation traf nie ein.
Mit Gewissheit kann niemand sagen, was so ein Dammbruch für die Siedlungen unterhalb der Steinbachtalsperre bedeutet hätte. Das soll nun ein Gutachten ermitteln.
THW und Feuerwehr pumpen den Stausee der Steinbachtalsperre in Nordrhein-Westfalen ab, weil die Staumauer zu brechen drohte.
Erleichterung bei den Helfern von THW und Feuerwehr, als der Pegelstand an der Steinbachtalspere zu sinken begann. Das Pumpen ging aber weiter.© picture alliance / Jochen Tack
Die Steinbachtalsperre liegt im Wald in der Eifel, rund 20 Fahrminuten von der Stadt Euskirchen entfernt. Bevor diese Talsperre im Juli bundesweit Schlagzeilen machte, war sie ein beliebtes Ziel für Sonntagsspaziergänger. Im Sommer konnte man im Waldfreibad "an der Steinbach", so wird sie abgekürzt, schwimmen gehen.

Die Stimmung hat sich wieder beruhigt

In den Tagen nach der Flut löste der Gedanke an die Talsperre bei den meisten Menschen in der Umgebung jedoch Angst und Sorge aus. Diese Stimmung habe sich inzwischen etwas beruhigt, sagt Euskirchens Bürgermeister, Sacha Reichelt:

Ich stelle fest, dass die Angst mehr und mehr zurückgegangen und rationalen Überlegungen gewichen ist.

Natürlich nicht bei allen. „Aber der Prozentsatz derjenigen, die sich wieder eine Steinbachtalsperre wünschen mit Naherholungseffekt und einem stark verstärkten Hochwassereffekt, der ist unglaublich groß.“
An einem kalten Dezembertag, rund fünf Monate nach den dramatischen Ereignissen im Sommer, steht Reichelt wieder an der Kante der Talsperre. Begleitet wird er von Markus Böhm, dem Geschäftsführer der Betreiberfirma e-Regio, und von Ingenieur Christian Lorentz.
Das Becken ist seit Juli leer. Es sieht ein bisschen unwirklich auch, durch Schlamm und Moos fließt ein kleiner Bach, überall sind Pfützen.

Einschnitt in der Staumauer

Ingenieur Lorentz kennt die Talsperre schon seit Jahrzehnten. Unter seiner Aufsicht wurde sie vor mehr als 30 Jahren umgebaut. Das, was hier im Juli passiert war, lag, so sagt er, außerhalb seiner Vorstellungskraft.
„Da ich die Talsperre eigentlich relativ gut kenne, war ich mir ziemlich sicher, dass es gut ausgehen würde. Aber ziemlich sicher ist nicht ganz sicher, und der Ingenieur ist vorsichtig.“ Insofern müsse man sagen, dass die eingeleiteten Maßnahmen ihre Berechtigung haben und richtig seien.
Zu diesen Maßnahmen gehört zum Beispiel das sechs Meter breite "V", das aus der Staumauer herausgeschnitten worden ist. So soll verhindert werden, dass zu viel Wasser Druck auf die Staumauer ausübt.
Der Pegelstand kann über eine neue Rinne im Damm und über den Grundablass reguliert werden. Das sei eine Übergangslösung, erklärt Lorentz. Bis die Stadt Euskirchen und die Gemeinde Swisttal als Eigentümer über die Zukunft der Steinbachtalsperre entscheiden.

Drei Szenarien für die Zukunft

Drei verschiedene Szenarien sind denkbar.: „Szenario eins wäre: alles wiederherzustellen, wie es vorher war“, erklärt Ingenieur Lorentz. Denn bislang handelte es sich um eine Talsperre für Brauchwasser, das vor allem die Landwirte in der Umgebung zur Bewässerung ihrer Felder nutzten.
Das Problem: Hochwasserschutz war im ursprünglichen Konzept der Talsperre nicht vorgesehen. Dass sie, wie im Juli geschehen, auch als Hochwasserrückhaltebecken dienen musste, damit hatte niemand gerechnet.
Blick über die Kerbe im Damm der Steinbachtalsperre auf den Querschnitt des Damms.
Eine sechs Meter breite Lücke in der Staumauer der Steinbachtalsperre soll verhindern, dass der Wasserdruck zu hoch wird. © Deutschlandradio / Felicitas Boeselager
„Szenario zwei: Das Becken bleibt so, wie es jetzt ist, leer. Und dient komplett dem Hochwasserschutz.“ Das sei das Maximum an Hochwasserschutz, das möglich sei.
Aber, so Lorentz: „Damit verliere ich natürlich den Effekt, Brauchwasser zu liefern.“ Was angesichts der Dürresommer, welche die Eifel in den vergangenen Jahren auch schon erlebt hat, für die Landwirte problematisch werden könnte. In den vergangenen Jahren konnten sich in dem Becken hinter der Talsperre bis zu eine Million Kubikmeter Wasser stauen, das die Landwirtschaft über heiße Sommer rettete.
Szenario drei sei eine, wie es heute heiße, Hybridlösung, also ein Mischmasch, erklärt Christian Lorentz. „Wir machen einen großen Teil Hochwasserschutz, wir machen ein bisschen Brauchwasser und wir machen auch eine nette Form von Naherholung und versuchen, das alles unter einen Hut zu bringen.“

Gesucht: die Quadratur des Kreises

Szenario drei ist wahrscheinlich teuer, doch genaue Zahlen dazu gibt es noch nicht. Zwischen den drei Szenarien müssen nun die die Gemeinden Euskirchen und Swisttal entscheiden. Euskirchens Bürgermeister Reichelt hat schon eine deutliche Präferenz: „Für mich gibt es eigentlich nur Szenario drei. Die Frage ist nur, wie man das konkret ausgestaltet.“
Oder anders ausgedrückt: Gesucht wird die sprichwörtliche Quadratur des Kreises. Wie viel Wasser soll die Talsperre in Zukunft stauen, um genügend Brauchwasser, Löschwasser und Wasser für das Waldfreibad zu bieten? Gleichzeitig muss das Auffangbecken dem Hochwasserschutz dienen.
Auch über neue Sicherheitsvorkehrungen muss nachgedacht werden, fordert Ingenieur Lorentz. Bisher geben die Normen für die Talsperren in NRW nämlich vor, dass sogenannte 10.000-jährliche Ereignisse nicht zu Schäden führen dürfen. Im Juli wurde diese Höchstmarke aber geknackt.
Deshalb seien jetzt in erster Linie die Meteorologen gefordert, Angaben zu machen, sagt Lorentz. „Das wird sich in der Fachwelt dann herauskristallisieren, ob man auf ein höheres Sicherheitsniveau gehen möchte.“

Forderung nach einem landesweiten Konzept

Die ersten Entscheidungen über die Zukunft der Steinbachtalsperre sollen im kommenden Halbjahr fallen, damit der Umbau bald starten kann. Das Geld dafür haben Land und Bund bereits zugesagt, denn die Kosten können Euskirchen und Swisttal nicht aus ihren eigenen Haushalten stemmen.
Aber Bürgermeister Reichelt mahnt, es brauche nicht nur Geld. Es müsse ein landesweites Konzept erstellt werden. Dafür brauche es Überlegungen, ob die anderen Talsperren, die bislang keinen Hochwasserschutzeffekt haben, nicht auch mit in das Hochwasserschutzkonzept eingebunden werden müssen. „Das, was hier passiert ist am 14.,15. Juli, das kann überall in Deutschland und weltweit passieren.“
So kann sich Reichelt auch vorstellen, dass die Steinbachtalsperre in puncto Ertüchtigung zu einem Modellprojekt wird. Durch die dramatischen Ereignisse der vergangenen Monate würde sie sich dafür hervorragend eignen.

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