Standing Ovations in Oldenburg

Von Ulrich Fischer · 11.04.2011
Alle zwei Jahre stemmt das kleinste Staatstheater der Republik - das Oldenburgische Staatstheater - die Internationalen Tanztage. 20 Tanzkompagnien aus aller Welt sind mit ihren Stücken zu Gast.
Sidi Larbi Cherkaoui und Damien Jalet nannten ihre Choreographie "Babel (words)"; tatsächlich ergriff Ulrika Kinn Svensson, eine der profiliertesten Tänzerinnen der Compagnie aus Belgien, zu Beginn das Wort:

"The first language human’s had were gestures…"

Bevor die Menschen die Sprache erfanden, so behauptet die Darstellerin, hätten sie sich mit Gesten verständigt. Damals habe es weniger Missverständnisse gegeben. Die Tänzer sprechen pro domo – denn sie verzichten ja meistens auf Worte, und dennoch kann man sie gut verstehen.

In einer korrespondierenden Szene gegen Ende des knapp anderthalbstündigen Tanzabends rühmt Darryl E. Woods, ein Tänzer, der verblüffend Barack Obama ähnelt, das Englische. Das kann ein Franzose nicht unwidersprochen stehen lassen, und prompt stellt ein Israeli die Vorzüge seines Iwrith ins hellste Licht. Was als Streit beginnt, geht schnell in eine Keilerei über und endet in einem Massaker, das die Choreographen lustvoll in Zeitlupe ins Zentrum der Bühne rücken, um die Idiotie eines fehlgeleiteten Nationalismus anzuprangern.

Das ist bei einem Ensemble, das in Antwerpen residiert, natürlich eine boshafte Anspielung auf den nicht enden wollenden Sprachenstreit in Belgien, und mehr: viele Konflikte in der ganzen Welt lassen sich auf Nationalismus zurückführen, auf den Wahn, besser zu sein, als die anderen. Tanz hingegen verbindet international und überspringt die Sprachbarriere spielerisch. Bei dieser Compagnie haben wir es überdies nicht nur mit Tänzern zu tun, sondern auch mit Schauspielern und Sängern – sie meistern alle Fächer und glänzen vor allem als Komiker. Das Publikum war begeistert, Standing Ovations beendeten den ersten Abend. Damit war der Start geglückt.

Honne Dormann, der Direktor des Tanztheaters in Oldenburg und gleichzeitig Festivalleiter, hat eine kluge Wahl für den Auftakt getroffen, die auch ganz seinem Konzept entspricht:

"Oldenburg war ja traditionell ein Ballett-Festival, und wir haben es umbenannt von Ballett-Tage in Tanztage und haben das Programm weiter geöffnet. Und das ist heute auch die Kernabsicht, die ganze Bandbreite des zeitgenössischen Tanzes zu zeigen. Das kann gehen vom Handlungsballett bis wirklich zum Konzepttanz, von der großen Aufführung bis zur Produktion vor Ort außerhalb des Theaters."

Ein fulminanter Auftakt hat auch Schattenseiten. Er steigert die Erwartungen. Enttäuschungen sind fast unvermeidlich. Aditi Mangaldas und ihre kleine Company aus Neu Delhi blieben weit hinter den Belgiern zurück – sie zeigten zwei Choreographien, die an Kathak anknüpften, eine klassische indische Tanzart. Das Ensemble beschäftigte sich mit dem Phänomen der Zeit – tänzerisch erschien das wenig ergiebig, weil es zu abstrakt, zu weltenfern wirkte. Auch die Kompositionen von Shubha Mudgal und Aneesh Pradhan konnten den Abend nicht retten.

Die Scharte wetzten junge, kraftvolle Tänzer aus Südkorea aus, deren Choreographie den Schrei nach Freiheit engagiert und mit bravouröser Dynamik auf die Bühne brachte, Brasilianer mit einer scharfen Kritik an der Gleichgültigkeit der Zeitgenossen gegenüber ihren Mitbürgern, die in ihrer Radikalität wie in ihrem Bewegungsvokabular an Pina Bausch erinnerten, und eine österreichische Truppe. Der Titel ihrer Produktion "Running Sushi" traf punktgenau – die Szenen liefen wie kleine, appetitliche Häppchen am Zuschauer vorbei – und wer wollte, konnte zugreifen. Die kleine Compagnie nahm den kulturkritischen Begriff "Verflachung" wörtlich, lehnte sich an Mangas an, japanische Comic-Strips, mehr aber noch an Zeichentrickfilme. Einmal sagte die Protagonistin: "Ich denke, es gibt keine Tiefe", konsequent für eine zweidimensionale Figur. Dazu passte genau die akustische Kulisse, die an Computerspiele erinnerte. Dem Publikum gefiel’s – wie das ganze Tanzfestival bislang:

"Die Oldenburger Tanztage werden jedes zweite Jahr besser. / Ich bin sehr impressioniert von der Organisation und auch der Abwechslung. Man bekommt wirklich eine sehr gute Übersicht./ I notice, the audience is very open. They’re curious. For the festival in general, I like it. / Insgesamt find ich es hervorragend, dass so was in Oldenburg mal wieder auf die Beine gestellt wird. Ich kenn' das noch von den Anfängen, von der Ingrid Colett her, die hat das mal gegründet. Da waren das noch die Internationalen Ballett-Tage. Vom Stil her hat es sich sehr geändert. Manchmal wünschte ich mir, dass auch so richtiges klassisches Ballett aufgeführt würde, als Kontrastprogramm."

Die Zwischenbilanz fällt positiv aus – allerdings muss sie, mit Blick auf die Vergangenheit, relativiert werden. Dies sind die 10. Internationalen Tanztage in Oldenburg, 1993 wurden sie als Ballett-Tage von Ingrid Collett ins Leben gerufen. Collett, damals Chefin des Balletts an Oldenburgs Staatstheater, war stets verbindlich, aber wenn es um ihre Compagnie ging, wurde sie ungemütlich. Sie verteidigte ihre Sparte mit Zähnen und Klauen. 1993 waren laut Bühnenjahrbuch 16 Tänzerinnen und Tänzer fest in Oldenburg engagiert – heute sind es noch 11.

Das erfolgreiche Festival darf nicht verdecken, dass die Entwicklung trotz enormer ästhetischer Innovationen für den Bühnentanz – nicht nur in Oldenburg – rückläufig war, dass nicht nur die Bühnen insgesamt an Relevanz verloren haben, sondern die Tanzsparte besonders stark unter Einbußen leidet. Aber warum sollte das Tanzfestival als Fassade missbraucht werden? Tatsächlich bezeugt es ja, wie sehr Tanz Zuschauer anzuziehen und zu begeistern vermag. Die Politiker sollten das zur Kenntnis nehmen, nicht nur Kultur-, auch Finanzpolitiker, die um den Rotstift tanzen wie einst die Kinder Israels um das Goldene Kalb. Parteiübergreifend heißt es doch immer wieder: Leistung müsse sich lohnen. Nichts als Lippenbekenntnisse?

Bessere Gagen und eine größere Compagnie für Oldenburg sind angesichts der überwältigenden Akzeptanz das Gebot der Stunde.

Programmübersicht der 10. Internationalen Tanztage in Oldenburg
Mehr zum Thema