Die Schönheit und Gefährdung der Schöpfung

Von Stefan Keim · 08.07.2010
Lemi Ponifasio ist Choreograph, Schamane und Stammesfürst aus Samoa und sieht seine Kunst in einem direkten gesellschaftlichen Zusammenhang. Mit seinem neuen Tanzstück bringt er pure Magie auf die Bühne.
Bei den Vögeln herrscht Unsicherheit. Einige begeben sich auf eine lange Reise, um einen mythischen, besonders weisen Vogel um Rat zu fragen. Doch als sie an seinem vermeintlichen Wohnort ankommen, sehen sie nur sich selbst, gespiegelt in einem See. Die Entscheidung über ihre Zukunft kann ihnen niemand abnehmen.

Diese Geschichte steht im Programmheft zu Lemi Ponifasios neuer Choreographie, die beim Festival Theater der Welt in Essen Welturaufführung hatte. Obwohl sie schön ist und das Bühnenbild das Motiv des Spiegelns auf dem Boden und an der Rückwand aufnimmt, sollte man nicht nach weiteren Entsprechungen suchen. Denn Lemi Ponifasio erzählt keine einzelnen Geschichten, dem Choreographen, Schamanen und Stammesfürsten vom Inselstaat Samoa geht es um größere Zusammenhänge, um die Schönheit und Gefährdung der Schöpfung.

Die Frauen flattern mit den Händen, die Männer trippeln, während die Oberkörper unbewegt bleiben. Mit wenigen, aber klar eingesetzten Mitteln verwandeln sich die Tänzer der MAU Company in Vögel. Lemi Ponifasio erzählt nicht in erster Linie von den Menschen, sondern von allen Lebewesen, Tieren, Pflanzen, Göttern.

Dieser Anspruch endet sonst oft in Kitsch und Pathos. Nicht bei Ponifasio, denn sein Tanzstück ist von Bescheidenheit geprägt. Da gibt es keine virtuosen Soli und keine Showeffekte. Dafür kraftvolle Gesänge, Gesten, die sich häufig wiederholen – und manchmal pure Magie. Wenn die Tänzer Kugeln an Schnüren herum wirbeln und wenig später die Bühne mit Kreide bedecken, wobei Staub in die Luft steigt.

Das Festival "Theater der Welt" zeigt alles, nur kein klassisches Sprechtheater. Der Tanz spielt eine große Rolle, nicht nur weil man ihn nicht übertiteln muss. Festivalmacherin Frie Leysen ist angetreten, um den Zuschauern "Perspektivwechsel" zu ermöglichen. Einige der interessantesten Ansätze fand sie im Tanztheater.

"Birds with Skymirrors" – Vögel mit Himmelsspiegeln – heißt Ponifasios Choreographie. Die Idee kam ihm, als er Vögel beobachtete, die glänzende Dinge in den Schnäbeln trugen. Später stellte er fest, dass es sich dabei um Müll handelte, um Bänder einer Videokassette. Sie sind Teil eines gewaltigen Müllstroms, der sich durch den Pazifischen Ozean schiebt. Für die meisten Tiere ist es inzwischen völlig normal, Plastik zu fressen, das sich in ihren Körpern ablagert und irgendwann über die Nahrungskette wieder beim Menschen anlangt.

Ponifasio überschwemmt das Publikum nicht mit Videobildern leidender Tiere. Ihm genügt eine einzige Schwarzweiß-Aufnahme, die erst blitzartig in die Aufführung schießt und später wiederholt profiziert wird.

Ein großer Vogel breitet seine Flügel aus und kann nicht mehr fliegen. Hinter ihm schäumt ein brackiges Meer. Zu einem Geräuschteppich, der lange Zeit wie Baustellenlärm klingt, klatschen die Tänzer mit großer Wucht auf ihre Körper, bewegen sich mit energiegeladener Eleganz, geraten in Panik, beruhigen sich, verschwinden im dunklen Bühnenhintergrund. Dunkelheit ist für Ponifasio nichts Bedrohliches, sondern der Ursprung des Seins.

Der Choreograph sieht seine Kunst in einem direkten gesellschaftlichen Zusammenhang. Nicht das geniale Werk ist wichtig, der Künstler soll Perspektiven entwickeln und seinen Stamm führen. Beim Applaus verneigt sich Ponifasio nur kurz und schüchtern mit seinen Tänzern, nach drei Vorhängen geht das Saallicht an.

Sie wollen sich nicht bejubeln lassen, sondern Anstöße geben. Das geschieht auch in den MAU-Foren, den Namen hat Ponifasio von der samoischen Unabhängigkeitsbewegung übernommen. Da diskutieren Künstler, Wissenschaftler und Zuschauer im Rahmen eines Gastmahls miteinander. Das erste MAU-Forum in Europa gibt es nächsten Dienstag in Berlin, die Festspiele haben auch Ponifasios neues Stück mit produziert.

Termine Lemi Ponifasio: 10. Juli Grillo-Theater Essen im Rahmen des Festivals Theater der Welt, vom 1. bis 3. Dezember 2011 Haus der Berliner Festspiele. Sein älteres Stück "Tempest: Without a Body" läuft am 28. und 29. August in Berlin bei Tanz im August. Das MAU Forum findet am 13. Juli in der Großen Orangerie des Schlosses Charlottenburg statt.