Start-up Staffbase

Ein Einhorn in Chemnitz

09:55 Minuten
Martin Böhringer, Geschäftsführer und einer der drei Gründer des sächsischen Software-Unternehmens Staffbase, spricht mit Juliane Kiesenbauer, Director Marketing & Communications, am Firmensitz in Chemnitz. Im Hintergrund stehen in einer weitläufigen und hellen ehemaligen Fabriketage Schreibtische.
Der Hauptsitz von Staffbase: eine ehemalige Fabriketage im Süden der Chemnitzer Innenstadt. Hier herrscht Start-up-Atmosphäre wie aus dem Bilderbuch. © picture alliance / dpa / dpa-Zentralbild / Jan Woitas
Von Alexander Moritz · 24.01.2023
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Das Start-up Staffbase wurde in Chemnitz gegründet. Mit der Entwicklung von Apps für die interne Unternehmenskommunikation ist das Unternehmen zum "Unicorn" aufgestiegen: Sein Wert wird auf mehr als eine Milliarde Euro geschätzt.
Im Unternehmen Staffbase in Chemnitz herrscht Start-up-Atmosphäre wie aus dem Bilderbuch: Alle duzen sich, die meisten Mitarbeitenden sind zwischen 20 und 40. In einem der Meetingräume hängt ein Basketballkorb, nebenan gibt es eine Indoor-Golfanlage auf Kunstrasen.
Das Büro liegt in einer ehemaligen Fabriketage im Süden der Chemnitzer Innenstadt. Wo früher Spinnmaschinen hergestellt wurden, stehen jetzt höhenverstellbare Schreibtische in Sperrholzoptik, abgetrennt mit grauen Filzpanelen. Feste Arbeitsplätze oder Einzelbüros gibt es nicht.

Erfolgsgeschichte ohne Gewinn

Auch die drei Gründer und Geschäftsführer sitzen mittendrin, wahlweise auf ergonomischen Stühle oder Sitzbällen. Von der Chemnitzer Fabriketage aus leiten sie ein internationales Softwareunternehmen – mit elf Büros, unter anderem in Vancouver, New York, London und Berlin. Der Hauptsitz ist weiterhin in Chemnitz.
Einer der drei ist Martin Böhringer. Der 37-Jährige ist in Chemnitz aufgewachsen, hat an der Hochschule promoviert und Staffbase mitgegründet. Acht Jahre später hat Staffbase nun mehr als 800 Mitarbeitende aus 45 Ländern.
Staffbase entwickelt Software, die Unternehmen die interne Kommunikation erleichtern soll: Neben Newsletter-Vorlagen vor allem maßgeschneiderte Apps für die Unternehmenskommunikation. Die sollen Mitarbeitende mit Informationen versorgen – über Schichtpläne, Weiterbildungen oder Entscheidungen der Geschäftsleitung.
Staffbase bezeichnet sich selbst als „führender Anbieter von Mitarbeiter-Apps in Europa“. Zu den Kunden gehören große Unternehmen wie die Deutsche Post, Telekom, Audi und Adidas. Durch die Coronakrise sei die Nachfrage noch gestiegen.
Viele Unternehmen hätten Probleme, die Mitarbeitenden dazu zu bewegen, wieder ins Büro zu kommen. Martin Böhringer: „Unternehmen müssen es einfach schaffen, dass die Mitarbeitenden an das Unternehmen gebunden werden. Sonst werden sie es nicht schaffen, den Wandel, der jetzt auf sie zurollt, irgendwie zu meistern."
In der Start-up-Szene gilt Staffbase als Erfolgsgeschichte, und seit 2022 auch als Unicorn, als „Einhorn“ – also als Unternehmen, dessen Wert mit mehr als einer Milliarde Euro veranschlagt wird.
Dabei hat das Start-up bisher noch nie Gewinn erwirtschaftet. Im letzten Geschäftsbericht von 2020 ist ein Minus von 16 Millionen Euro ausgewiesen – für Start-ups in der Wachstumsphase nicht ungewöhnlich. Das Unternehmen setzt auf Wachstum, kauft Konkurrenten auf – in Berlin, Kanada, Finnland.
„Wir glauben, dass wir einen Category Champion, also ein Unternehmen aufbauen können, das wie SAP oder Salesforce für einen bestimmten Bereich in der Software-Industrie steht“, erklärt Martin Böhringer. Zu Details der aktuellen Geschäftszahlen gibt das Unternehmen keine Auskunft. Nur so viel: Der Umsatz habe sich 2020 mehr als verdreifacht.

Stadtverwaltung nutzt Staffbase-App

Eines der mehr als 2000 Unternehmen, die eine Unternehmens-App von Staffbase nutzen, sitzt nur wenige Minuten entfernt in der Innenstadt. Die App heißt „SVC2go“, also „Stadtverwaltung Chemnitz to go“. Die nutzt die Stadtverwaltung seit rund drei Jahren.
„Wir haben über 4000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und nicht alle haben einen Computerarbeitsplatz“, erklärt Verwaltungsbürgermeister Ralph Burghart. Er verweist beispielsweise auf Kita-Erzieherinnen und -Erzieher, Gärtner oder Hausmeister. „Da ist die Frage damals gewesen, wie erreichen wir die und binden die in die Unternehmenskommunikation mit ein?“
Über die App bekommen Mitarbeitende aktuelle Informationen zu Energiespartipps oder über den Stand der Vorbereitungen zur Kulturhauptstadt, sehen Stellenausschreibungen und Dienstanweisungen oder können Krankschreibungen einreichen. Die App soll bei der Stadt schrittweise das Intranet ersetzen. Es sind auch Umfragen unter den Mitarbeitenden möglich.

Einzigartiger ostdeutscher Aufsteiger

Auch in Gefahrensituationen habe sich die App für die Behörde schon bewährt, so Burghart. Etwa bei Bombendrohungen oder Feueralarm. Da erfahren beispielsweise auch Mitarbeitende, die gerade außerhalb in der Mittagspause sind, dass das Haus geräumt wird.
Inzwischen haben nahezu alle Mitarbeitenden die App heruntergeladen – freiwillig. Die App soll auch eine neue Arbeitskultur fördern: Weg von muffiger Behördentristesse hin zu moderner Verwaltung.
Es gebe wohl noch andere Stadtverwaltungen, die die App hätten, sagt Verwaltungsbürgermeister Ralph Burghart. „Aber ich würde mal für uns behaupten, dass wir sicherlich mit an der Spitze der Bewegung stehen.“
Der Wirkbau in Chemnitz, Hauptsitz des Start-ups Staffbase. Der symbolträchtige Ort der deutschen Industriegeschichte erinnert mit dem 60 Meter hohen Uhrturm der ehemaligen Spinnereimaschinenfabrik an die Zeit, als Chemnitz Zentrum der industriellen Revolution war.
Seinen Hauptsitz hat Staffbase an einem symbolträchtigen Ort der deutschen Industriegeschichte: dem Wirkbau in Chemnitz. Er erinnert an die Zeit, als die Stadt Zentrum der industriellen Revolution war. © Deutschlandradio / Alexander Moritz
Auch Staffbase steht gewissermaßen an der Spitze. Das Unternehmen pflegt das Image als einzigartiger ostdeutscher Aufsteiger. Das Büro liegt an einem symbolträchtigen Ort der deutschen Industriegeschichte: dem Wirkbau. Direkt neben dem Eingang steht markant der 60 Meter hohe Uhrturm der ehemaligen Spinnereimaschinenfabrik und erinnert an die Zeit, als Chemnitz Zentrum der industriellen Revolution war. „In Chemnitz wird das Geld erarbeitet, in Leipzig vermehrt und in Dresden ausgegeben“, hieß es früher selbstbewusst. Heute ist Chemnitz eher die graue Maus unter den drei größten sächsischen Städten.

Besseres Image für Chemnitz und Sachsen

Die rechtsextremen Demonstrationen 2018 haben der Stadt geschadet, findet Unternehmensgründer Martin Böhringer. Dass Chemnitz 2025 Kulturhauptstadt wird, könne ein positiveres Bild senden. Der 37-Jährige hat deswegen an der Bewerbung mitgewirkt.
Auch sein Software-Unternehmen Staffbase wirkt inzwischen als positives Aushängeschild für Stadt und Bundesland. „Mich sprechen immer wieder Leute drauf an“, sagt Alexander Jahn, der bei Staffbase Kunden in aller Welt betreut. „Sogar der Kassierer vom Penny weiß da Bescheid. Und fragt mich: ‚Na, habt ihr wieder ‘nen Preis gewonnen?‘ Das ist auf jeden Fall ein Zugpferd. Und ich denke, nicht nur in Chemnitz, sondern im gesamten Osten.“
Dass Chemnitz nicht Nabel der Welt ist, darin sieht Staffbase-Chef Böhringer sogar einen Standortvorteil. So hätten sie Zugang „zu den besten Leuten“. Das wäre etwa in New York angesichts der Konkurrenz wohl nicht so, vermutet Böhringer.

Gehälter wie in München oder Hamburg

Doch auch in Chemnitz sei es schwierig, die passenden Leute zu finden. Hier müsse man inzwischen Gehälter zahlen, "die denen in München oder Düsseldorf oder Hamburg in nichts nachstehen“, so Böhringer.
Das Unternehmen lockt mit flexiblen Arbeitszeiten, Dienst-Fahrrädern und Vier-Tage-Woche während der Sommerferien. Montags gibt es einen Yogakurs im Büro, donnerstags Ganzkörperfitness. Wer mag, kocht in der Mittagspause zusammen Pasta – in der Küche gibt es Kaffee, Obst und Süßigkeiten gratis für alle.
Bei Absolventen der Technischen Universität ist Staffbase ein beliebter Arbeitgeber. Wie etwa Tabea Specht: Nach einer Zwischenstation in Niedersachen ist die 28-Jährige zurück nach Chemnitz gekommen – für einen Job im Marketing bei Staffbase.
Die Verwunderung, dass sie nach Sachsen gehe, sei jetzt wesentlich kleiner gewesen als noch bei ihrem Studienstart, sagt Specht. Viele Kommilitonen hätten Staffbase gekannt – und gemeint, „dass das ganz cool ist“.
Mit 160 Stellen ist Chemnitz weiterhin der größte Standort des Unternehmens. Noch mehr Mitarbeitende arbeiten allerdings remote von überall auf der Welt.
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