"Sprache und Wissen" im Berliner HKW

Die Welt der Wörter

Das Haus der Kulturen der Welt in Berlin
Das Haus der Kulturen der Welt in Berlin © dpa / picture alliance
Von Tobias Wenzel · 09.04.2016
Wie hängen Sprache und Wissen zusammen, wie gehen Wissenschaftler mit Sprache um und wie Schriftsteller? Der Autor Marcel Beyer hat für das Berliner Haus der Kulturen der Welt zu diesem Thema ein zweitägiges Programm erarbeitet. Mit dabei waren Terézia Mora und Nora Gomringer.
"Lassen Sie sich mit der Sprache in diesen zwei Tagen in neue Welten führen und zu neuen Weltsichten verführen."
Forderte Kulturstaatsministerin a.D. Christina Weiss die rund 200 Besucher im Restaurant des Hauses der Kulturen der Welt auf.
"Habemus papam."
Sagte der Intendant des Hauses Bernd Scherer und meinte Marcel Beyer, Kurator der Veranstaltungsreihe "Sprache und Wissen".
"Eine ziemlich aufregende Sache für alle Beteiligten."
Fand der kuratierende Autor.
"Und ich bin mir sicher, die Aufregung wird sich auf Sie übertragen: als Vergnügen. Denn nichts ist schließlich reizvoller, als Menschen beim Nachdenken zuzuhören."
Hans-Jörg Rheinberger: "Dass die Beschäftigung und die Auseinandersetzung mit Derrida von meiner Seite jedenfalls aus im Sommersemester 1969 angefangen haben muss."
Hanns Zischler: "Also hier sehe ich, steht: Mai 69."

Belanglose Entstehungsgeschichte

Spätestens an dieser Stelle der ersten Veranstaltung hatten ein Dutzend Besucher den Saal verlassen. Der Wissenschaftshistoriker Hans-Jörg Rheinberger und der Schauspieler Hanns Zischler sprachen über ihre deutsche Übersetzung, die sie damals von Jacques Derridas berühmten Buch "De la grammatologie" angefertigt hatten. Die belanglose Entstehungsgeschichte einer oft kritisierten Übersetzung.
"Also das war ganz unglaublich."
Jubelte Kurator Marcel Beyer, als wäre er nicht mehr ganz bei Sinnen. Oder meinte er den geheimen, unfreiwilligen Höhepunkt der Veranstaltung? Als Hanns Zischler eine Mineralwasserflasche umstieß, die eigene Übersetzung begoss und das Buch zu retten versuchte und das wie eine Performance wirkte, weil der Tisch abgefilmt und das alles groß an eine Leinwand projiziert wurde.
Nora Gomringer weckte das Publikum wieder auf mit ihrem wunderbar lebhaften Lautgedicht ausgehend von den Basen des menschlichen Genoms.
Das Gedicht war Teil ihres Videobeitrags. Darin geht die Bachmann-Preisträgerin einer eigenen genetischen Anomalie nach. Ihre Mutter Nortrud Gomringer hatte aufgrund einer pränatalen Diagnostik davon erfahren, dann aber trotzdem ihr Kind, Nora, bekommen. Viele Jahre später nahm die Mutter mit dem Arzt von damals Kontakt auf:
"Und dann habe ich ihm deinen Gedichtband geschickt und habe geschrieben: Vielleicht wäre das eine Auswirkung des vergrößerten Chromosoms."
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Nora Gomringers Videobeitrag© Deutschlandradio - Tobias Wenzel
Der Komponist Wolfgang Heiniger ließ sich, im Gespräch mit dem Künstler Olaf Nicolai, über "Struktur, Muster, Störmoment" bewusst mehrfach von einem Störgeräusch – oder war es seine Neue Musik? – unterbrechen.
"Musik ist keine Sprache, so wie man sich das vorstellt. Auch wenn man von Musiksprachen spricht oder von Musik als Sprache der Gefühle etc., ist das insofern missverständlich, als dass es ja nicht möglich ist, mit Musik jetzt ein Bier zu bestellen zum Beispiel."
"Wow, ihr beiden! Das war ja ganz unglaublich. Also ... unglaublich."
Unglaublich trivial. Wollte man Marcel Beyer ins Wort fallen. Am Samstag dann waren drei Viertel der Besucher zu Hause geblieben und verpassten die bestechende Performance des Schauspielers und Sängers Graham F. Valentine.
1974 hatte der französische Autor Georges Perec auf Englisch eine Nonsens-Abhandlung im wissenschaftlichen Gewand veröffentlicht. Darüber, wie sich die Gesangsleistung von 107 Sopranistinnen veränderte, während ein Automat sie mit Tomaten bewarf. Graham F. Valentine hauchte dieser Wissenschaftsparodie Leben ein, indem er Perecs schriftliche Abhandlung als vermeintlicher Wissenschaftler grandios ernst vortrug, aber auch die Tomate besang.

Ein Kuss - ein bilabialer Klicklaut

Nach dem missglückten Auftakt erwies sich die Veranstaltungsreihe "Sprache und Wissen" sehr bald als ein unterhaltsames und erhellendes Projekt. Zwei Konferenzdolmetscher gaben einen spannenden Einblick in ihren anspruchsvollen Beruf. Und der Sprachwissenschaftler Ernst Kausen überraschte viele im Publikum mit seiner Aussage, dass ein Kuss ein bilabialer Klicklaut ist.
"Ich stehe ein wenig auf Kriegsfuß mit dem klassischen Interview oder was ich darunter verstehe. Vielleicht könnte man auf Fragen verzichten."
Gestand in einer Veranstaltung zum Interview und zum Erzählen der Verleger Klaus Sander und umriss damit die Idee seines Hör-CD-Verlags: Schriftsteller und Wissenschaftler erzählen monologisch über ihre Arbeit und über sich selbst. Wie der Vogelkundler Peter Berthold:
"Also wir sagen jedenfalls das Auerhuhn und meinen damit beide. Es ist sicherlich eine der faszinierendsten Vogelarten, die es weltweit gibt. Es ist ein großer kräftiger Vogel, der unter Umständen sogar Leute angreift und ordentlich verletzt. Geheimnisumwittert. Früher sozusagen als Bolzen, der Testosteron mit sich herumgetragen hatte, dass jeder Jäger und Fürst neidisch wurde und so weiter."
Auf der Bühne verzauberte schließlich der Ornithologe Frank D. Steinmeier das Publikum und erklärte einleuchtend, wieso die Benennung von Vögeln in den USA und Europa oft uneinheitlich ist:
"Man muss sich das so vorstellen: Als die ersten Siedler nach Nordamerika gekommen sind, waren das nicht immer Ornithologen."
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