Spökenkieker und Gedöns

Ursula Caberta im Gespräch mit Ralf Bei der Kellen |
Viele Menschen sind auf der Suche nach Entspannung, Wohlbefinden und Glückseligkeit, doch die wenigsten Angebote sind wirklich seriös. In ihrem "Schwarzbuch Esoterik" rät Ursula Caberta dazu, esoterische Angebote nur in Anspruch zu nehmen, wenn man sie vorher genau geprüft hat.
Ralf Bei der Kellen: Der Geigenvirtuose Yehudi Menuhin – dessen Musik uns heute durch die Sendung begleitet – beschäftigte sich bereits mit Yoga, als die meisten Menschen hierzulande diesen Begriff noch nie gehört hatten. Heute gehören die körperlichen und geistigen Entspannungsübungen für viele Menschen ganz selbstverständlich zu ihrem Alltag. Aufgrund seines religiösen Ursprungs wird Yoga oft als esoterisch bezeichnet.

Bei dem Begriff Esoterik werden viele Menschen an zunächst harmlos erscheinende Praktiken wie Pendeln, Heilsteine oder Auraanalyse denken. Und nicht wenige werden dabei lächeln und diese Praktiken als versponnen abtun. Vor wenigen Wochen ist ein Buch mit dem Titel "Schwarzbuch Esoterik" erschienen. Der Titel signalisiert, dass von diesem Phänomen durchaus eine gewisse Gefahr ausgehen kann.

Vorgelegt hat das Buch die Diplom-Volkswirtin Ursula Caberta. Sie leitete von 1992 bis 2010 die Arbeitsgruppe Scientology bei der Behörde für Inneres in Hamburg. Seit dem 1. Januar 2011 ist sie bei derselben Behörde Ministerialreferentin für neureligiöse, ideologische Gemeinschaften und Psychogruppen. Seit seiner Veröffentlichung hat das Buch einiges an medialem Interesse auf sich gezogen und dabei aufgrund von recht provokanten Aussagen auch einiges an Staub aufgewirbelt. Ich habe vor der Sendung mit Frau Caberta gesprochen. Frau Caberta, in einem Artikel der "Zeit" von 2010 wurde eine Studie der Universität Hohenheim zitiert, …

Ursula Caberta: … ja …

Bei der Kellen: … die 10 bis 15 Prozent der Deutschen zur Gruppe der spirituellen Sinnsucher rechnet, die also esoterischen Praktiken durchaus offen gegenüberstehen. Sind das die Menschen, die Sie mit Ihrem Buch warnen wollen?

Caberta: Also, ich denke, es sind sogar mehr. Die 10 bis 15 Prozent, ich denke, das würde ich aus meiner Erfahrung – wobei, wissenschaftliche Studien dazu gibt es ja wenig, und weiß man auch immer nicht, wen sie da denn schon mit einbeziehen –, also, ich glaube, dass inzwischen wesentlich mehr okkulte Praktiken, egal welcher Art auch welcher, schon praktizieren, sind mehr, und die offen sind dafür. Das ist inzwischen Mainstream, das ist Zeitgeist, das ist nicht mehr eine Minderheit.

Bei der Kellen: Woher kommt denn eigentlich dieser Trend zur Esoterik?

Caberta: Also, wenn man das so rückwirkend betrachtet, muss man eine Menge zusammennehmen. Also, die Urokkultisten, Blavatsky, Steiner, dann kommt dazu in den 60er-, 70er-Jahren dieses ganze Wasserzeitalter, da gibt es einen Fritjof Capra, eine der Hauptlehren aus den 70er-Jahren mit dem Buch "Die Wendezeit", wo dann wirklich gesagt wird, Probleme gibt es eigentlich nicht, es liegt nur an dem nichtbewussten Menschen, das Bewusstsein des Menschen ist noch nicht so richtig gerade gerückt. Und in den 80er-Jahren fängt das an zu boomen, diese ganze Esoterikwelle, wobei es da noch nicht so genannt wird. Einher geht damit der ganze Boom der sogenannten alternativen Mediziner, wo ja auch sämtliche Scharlatane unterwegs sind, und in den 90er-Jahren wird es dann so richtig, ja wird es Zeitgeist. Weil in den 90er-Jahren die Menschen, glaube ich, sehr viel, die ganzen Umbrüche, die stattgefunden haben. Das hat natürlich noch mehr Hintergründe, aber kurz angerissen, sind die Leute von der Unsicherheit her einfach eher bereit, sich an irgendwelche Hilfsmittel zu hängen, die ihnen kurzfristig oder schnelle Lösung für ihr persönliches Problem, aber auch für die Probleme der Welt an die Hand geben. Und da sind die Okkultisten und Esoteriker schon immer diejenigen gewesen, die dann angesprochen wurden.

Bei der Kellen: Sie kritisieren in Ihrem Buch ja die Verwendung des Begriffes Sekte, da dieser eine Organisation als eine gesellschaftliche Minderheit kategorisiert, sagen Sie. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, sind Sie aber der Ansicht, dass die Gefahren ja eben schon viel früher beginnen, nämlich eben bei Kontakten mit esoterischem Gedankengut ohne zunächst erkennbare Gruppenstruktur.

Caberta: Richtig.

Bei der Kellen: Und Sie fordern jetzt, sich von dem Begriff Sekte zu lösen, das dieser eben die Diskussion einenge, weil man damit eine bestimmte Vorstellung verbinde. Welchen Begriff schlagen Sie denn jetzt alternativ vor?

Caberta: Da sind wir bei dem größten Problem, es gibt für den gesamten Bereich nicht einen Begriff. Das hat schon die Sektendiskussion immer sehr belastet. Es gibt dann bestimmte, die sortieren ein, woran erkenne ich eine Sekte? Und wenn das und das nicht zutrifft, dann ist es keine, oh wie schön, dann ist es nicht gefährlich. Sondern der Ansatz muss sein: Wer kommt uns da entgegen unter welchem Ansatz? Wir müssen die ganze Szene breiter aufstellen. Man kann das aufteilen, zum Beispiel die meisten Opfer entstehen – oder was heißt, die meisten, das ist auch schon wieder … – aber in dieser sogenannten Heilerszene. Krankheit ist für Menschen immer schon ein Problem gewesen, in der Zeit jetzt in den letzten Jahren, jetzt geht es ja langsam wieder aufwärts angeblich mit der Arbeitslosigkeit, aber wenn man Angst haben muss, durch Krankheit seinen Arbeitsplatz, seine Existenz und Ähnliches zu verlieren, dann ist man auch eher bereit, auf irgendwelche dubiosen Heilungsangebote einzugehen und eben nicht zum Arzt zu gehen. Bei einigen reicht ja schon, dass sie erst mal zehn Euro hinlegen müssen, Praxisgebühr, und der Heiler vielleicht auch erst mal anbietet, etwas umsonst zu machen und so. Also, warum man da hingeht, ist vielfältig, da darf das nicht ablösen von einer gesellschaftspolitischen Analyse, und dann muss man sehen, wen haben wir da alles. Wir müssen uns grundsätzlich lösen von einem Sammelbegriff und uns jede einzelne Entwicklung genau angucken und dann sehen, wo sind die Möglichkeiten des Staates, da einzugreifen, um die Menschen zu schützen?

Bei der Kellen: Eins der Kapitel in Ihrem Buch trägt den Titel: "Die Vorlage liefern die Religionen." Darin heißt es, und ich zitiere noch mal: "Es wird höchste Zeit für die Christen, Klarheit zu schaffen und sich nicht auf die in der Vergangenheit bequeme Position zurückzuziehen, alles, was im breiten Esoterik- und Psychomarkt passiert, habe mit ihnen nichts zu tun." Wie könnte denn dieses Schaffen von Klarheit aussehen?

Caberta: Das fängt damit an, dass sie in ihrem eigenen Laden anfangen aufzuräumen. Also, vor allen Dingen Schwerpunkt evangelische Kirche. Da hat man ja den Eindruck – und nicht nur jetzt, sondern schon ein bisschen länger –, dass da hinter den charismatischen Heilsbringern, die da in dem Umfeld der ökumenischen Evangelen da rumlaufen, dass denen regelrecht hinterhergerannt wird, weil die die Säle füllen und in den Kirchen findet nichts mehr statt. Gerade die evangelische Kirche muss sich darüber im Klaren sein, dass zum Beispiel, wenn sie in ihren Reihen den nicht nur duldet, sondern ja mehr oder weniger auftreten lässt auf Kirchentagen, zum Beispiel einen Bert Hellinger, der mit seinem Familienstellen ja auch schon lange in der Gesellschaft angekommen ist, eine ganz hoch problematische Therapiegeschichte mal abgesehen davon, dass Herr Hellinger noch nicht mal ein Therapeut ist und auch schon viele, viele Probleme hervorgebracht hat, so einer redet auf dem Evangelischen Kirchentag von seiner persönlichen Vergangenheit. Oder ein Herr Bonnke, der aus dem charismatisch-christlichen Lager kommt, der rumrennt und sagt, er heilt seine Menschen, Jesus Christus gibt ihm die Kraft zu heilen … Da unterscheiden sich diese ganzen Sachen nicht mehr aus diesem Bereich von anderen, die eben nicht sagen, Jesus Christus hat mir die Heilungskräfte gegeben, sondern Erzengel Gabriel, irgendwelche Elfen oder irgendein Geist aus dem Universum. Und da müssen Grenzen gezogen werden, da erwarte ich, dass die evangelische Kirche Grenzen zieht.

Bei der Kellen: Mir hat in Ihrem Buch so ein bisschen eine Orientierung für den Leser gefehlt, wie er die von Ihnen beschriebene Gefahr oder die von Ihnen beschriebenen Gefahren denn jetzt erkennen und ihnen begegnen kann? Soll man Ihrer Meinung nach Spiritualität gänzlich ausschließen, soll man hinter jedem Yoga-Kurs einen Gefahr vermuten und sich vor jeglichen Heilmethoden jenseits der Schulmedizin und anerkannten Therapieverfahren verhüten, oder …

Caberta: Also, ich fänd erst mal schön, wenn man mal wieder einigermaßen zurückkommt auf den Boden der Realität und nicht immer alles gleich glaubt, was da erzählt wird, dann sind wir ja schon ein Stück weiter. Und dann müssen wir, glaube ich, endlich aufräumen damit: Schulmedizin ist ja in gewissen Bereichen schon so ein Kampfbegriff geworden. Also, wer noch zu einem normalen Arzt geht – oder auch bei den Ärzten: Also, ich komme irgendwann zu einer Ärztin, da war ich lange, da hat die da diese Bachblüten und sonstiges Gedöns rumstehen. Da habe ich gesagt, das war’s, vielen Dank, ich suche mir einen anderen Arzt. Wenn ich zu einer Medizinerin gehe, dann will ich nicht mit Bachblüten beglückt werden. Daran sieht man aber auch, wie das alles schon ineinander übergeht, was da auch an Käuflichkeit läuft. Und das Wort Spiritualität ist ja derartig verkommen. Früher guckte man sich eine schöne Oper an oder ging ins Theater oder hat ein Rockkonzert genossen und freute sich und war glücklich, dass man so ein schönes Erlebnis mit Freunden hatte, heute kommen da die Leute raus und, oh, das war aber eine hohe, spirituelle Erfahrung! Also, kann man sich nicht einfach mehr freuen, warum muss das alles spirituell gleich überhöht werden? Und man kann nur den Rat geben: Vermeiden Sie Methoden, die in irgendeiner Form Ihnen nicht geläufig sind, informieren Sie sich, wenn Sie Hilfe brauchen, und rennen Sie nicht jedem Spökenkieker – Entschuldigung, sehr hamburgisch – hinterher!

Bei der Kellen: Bieten Kirchen und andere organisierte Religionen eigentlich die einzig legitime Form von Spiritualität in Ihren Augen?

Caberta: Nein. Es gibt keine legiti… Wenn mir die Kirchen erklären würden, was sie unter Spiritualität verstehen, weiß ich auch nicht … Nein, darum geht es gar nicht, ich habe auch nichts dagegen, wenn jemand mit irgendwelchen Leuten da zusammen und die bekommen einen vernünftig ausgebildeten Yoga- oder Meditationslehrer und gehen da in sich und freuen sich, dass sie zur Ruhe kommen und ihren Alltag besser in den Griff kriegen. Als Hilfsmittel wunderbar, ich habe auch nichts dagegen, wenn jemand zur Kartenlegerin geht und irgendwie sagt, hier, sag mir mal, wann ich denn meinen nächsten Kerl erwische, und dann, irgendwann nach dem fünften Mann ist es dann der richtige und dann erinnert sie sich und sagt, ah, das hat dir die Kartenlegerin schon vor 20 Jahren gesagt, dass irgendwann der richtige Mann kommt. Das hat es schon immer gegeben. Es darf nur nicht zum Lebensinhalt werden, es darf nicht mein Leben und Denken bestimmen, dann wird es kritisch. Und das gilt in den Kirchen genau so wie in anderen Gruppen.

Bei der Kellen: Der Hamburger Innensenator Michael Neumann hat über Ihr Buch gesagt, es sei eine Provokation, aber eine Provokation, die aus meiner Sicht dringend notwendig ist, um dieses Thema anzuschieben. – Frau Caberta, wollten Sie mit dem Buch auch ganz bewusst provozieren und auch Leuten auf die Füße treten?

Caberta: Ach, ich weiß jetzt gar nicht, ich habe vor Kurzem gehört von einem Religionswissenschaftler, der das Buch gelesen hat, der hat gesagt, also ich weiß gar nicht, warum die sich alle aufregen, dein Buch ist im besten Sinne protestantisch. – Da war ich dann etwas überrascht. Nein, ich wollte schon sehr bewusst reinschreiben, was ich finde, worüber diskutiert werden muss, und ich neige vielleicht auch ein bisschen dazu, gerne zu provozieren.


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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