"Beziehung zwischen Heilung und Heil"

Matthias Kleiminger im Gespräch mit Ita Niehaus |
Hinter dem vordergründigen Wunsch nach Gesundheit verberge sich bei vielen Menschen mehr, meint Landessuperintendent Matthias Kleiminger. Der beste Schutz vor Scharlatanerie sei, dass Heilungssuchende "einfach ihren Menschenverstand benutzen".
Ita Niehaus: Früher gehörte zu einem religiös sinnerfüllten Leben vor allem, das ewige Heil zu erlangen. Heute denken immer mehr Menschen ganz irdisch – Hauptsache gesund – und lassen sich doch auf so manche obskure Heilsversprechungen ein, angefangen mit Fernheilung beim brasilianischen Geistheiler über Gesundbeter und Wunderheiler bis hin zu indianischen Schwitzhüttenritualen. Die Angebote sind vielfältig und zahlreiche, eines haben sie oft gemeinsam: Der Glaube soll es richten.

Auch die Kirchen stellen fest, dass es eine große Sehnsucht nach religiösen Lebensformen gibt, die verbunden ist mit der Suche nach alternativen Heilungsformen. "Heil und Heilung" ist der Titel einer Broschüre über alternative Heilverfahren, die gerade vom Arbeitskreis Religiöse Gemeinschaften der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche (VELKD) herausgegeben wurde. Mitglied in diesem Arbeitskreis sind Sekten- und Weltanschauungsbeauftragte verschiedener Landeskirchen.

Vor dieser Sendung sprach ich mit Dr. Matthias Kleiminger. Er war viele Jahre Vorsitzender des Arbeitskreises Religiöse Gemeinschaften der VELKD und ist Landessuperintendent der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs. Ich fragte ihn, ob diese Schrift zum großen Bereich der Mahn- und Wahnliteratur gehört?

Matthias Kleiminger: Sie haben zumindest einen schönen Namen dafür gefunden: Mahnliteratur, ja gut, das kann sie sein. Aber es ist auch eine Schrift, die der Selbstvergewisserung gilt, denn wir haben uns immer wieder zu fragen, was ist es eigentlich, was Menschen so nach dem Heil suchen lässt? Vielleicht häufig genug nur nach Heilung, aber eben diese Beziehung zwischen Heilung und Heil herauszufinden und für sich selber immer wieder zu klären, ist für sehr viele Menschen wichtig. Und sie sind es auch, die dann zu uns in die Beratungsstellen kommen, um diesen Zusammenhang für sich klären zu können. Und dabei wollen wir ihnen helfen.

Niehaus: Was suchen denn diese Menschen vor allem?

Kleiminger: Ich glaube, sie suchen Heil. Sie würden es nur so nicht nennen. Sie sagen zunächst, Gesundheit, meinen aber Aufgehobensein in einem Sozialgefüge, in einer Sinnträchtigkeit, sie suchen Beheimatung, sie suchen den überschaubaren Raum, sie suchen den Raum, in dem sie etwas gelten, sie suchen Anerkennung. All das verbirgt sich aber in ihrem vordergründigen Satz, in ihrem Wunsch nach Gesundheit.

Niehaus: Und es ist die Frage, ob sie das dann auch finden bei diesen sogenannten alternativen Heilverfahren. Sie haben einen kritischen Blick darauf geworfen, auf wichtige dieser Heilverfahren und sie auch aus christlicher Sicht beurteilt. Ist das denn alles nur Scharlatanerie?

Kleiminger: Also manches ist sicher Scharlatanerie und es gilt auch immer, diese Scharlatane aufzuspüren. Aber es ist durchaus nicht alles Scharlatanerie. Nur, wie man die Phänomene, die durchaus zu beobachten sind, bewertet, das ist das Entscheidende. Und an der Bewertung hängt viel. Wenn also ein Anbieter seine Heilungsangebote koppelt an die Übernahme eines bestimmten Weltbildes durch den Patienten, wenn er also die Gründe für eine Krankheit auf etwas Spezielles zurückführt und meint, du selber bist schuld, weil du gesündigt hast etwa, oder weil du verflucht worden bist, und wenn dann dieses Angebot kommt, nun komm mal zu uns, wir machen aus dir einen ganz anderen Menschen und dabei wirst du auch gesund, dann wird es kritisch.

Nämlich dann kann der Schaden, der dadurch entsteht, dass diesen Menschen geholfen wird, größer sein, als dass er von einer von einer konkreten Krankheit befreit wird. Man könnte auch sagen, unsere Gesellschaft leidet eigentlich darunter, dass sie nicht leiden kann, dass sie das Leid aus dem Blick nimmt und eigentlich nicht mehr als eine Möglichkeit versteht, mit Leiden umzugehen, mit Leiden zu leben und das Leiden als auch eine Möglichkeit zu begreifen, zu reifen, die Tiefen des Lebens auszuloten.

Niehaus: Lassen Sie uns ruhig noch mal etwas konkreter werden. Wir müssen ja nicht gleich über Geistheiler oder Schamanen sprechen, seit einigen Jahren spielt das Thema Heilung auch in christlichen Gemeinschaften fundamentalistischer und pfingstlerischer Prägung eine Rolle, die Lobpreisgottesdienste in der Pfingstbewegung mit der Bitte um Heilung etwa. Ist das schon grenzwertig aus Ihrer Sicht?

Kleiminger: Also das Heilen gehört seit den Anfängen der jüdisch-christlichen Religionen immer zum Glauben dazu. Also es ist nicht abwegig darüber zu reden, dass Heilung und Heilsuche eben in den Kirchen zu Hause sind. Aber es gibt nun in diesen charismatisch-pfingstlichen Kreisen einzelne Prediger, die versuchen, durch bestimmte Gebete, durch bestimmte Lenkungen des Heiligen Geistes zu bewirken, dass Gesundung passiert. Dabei überschreiten sie häufig die Grenze, dass sie dem Geist sozusagen vorschreiben, wie er wann an wem zu wirken hat. Außerdem ist es dann auch so, dass der Heilungserfolg sehr häufig an den Glauben des Patienten oder Ratsuchenden, Heilungssuchenden gebunden wird, sodass er eigentlich immer der Schuldige ist. Wenn er nicht gesundet, dann heißt es, du hast nicht genug geglaubt. Oder wenn er gesundet, dann war es der Heilige Geist unter der Hilfe des jeweiligen Predigers.

Wenn Menschen mit diesem Schuldgefühl dort entlassen werden, ist ihr Glaube grundlegend gefährdet. Und das werfe ich diesen Heilungsevangelisten vor, die glauben, die Kraft Gottes sozusagen in eigene Zuständigkeit übernehmen zu können. Sie lassen Gott nicht die Freiheit des Schöpfers.

Niehaus: Sie schreiben ja auch in Ihrer Broschüre, Gesundheit habe durchaus die Tendenz zur Ersatzreligion. Das scheint ja ein gutes Beispiel dafür zu sein, wo das deutlich wird?

Kleiminger: Ja. Der Ersatz besteht ja einfach darin, dass man jetzt plötzlich meint: Wenn ich denn nur gesund bin, dann wird sich alles andere in meinem Leben schon ergeben. Dann bin ich tüchtig für die Auseinandersetzungen im Leben. Das aber genau ist ja eben so nicht. Auch ein kranker Mensch kann sehr wohl mit seinem Leben zufrieden sein, er kann sinnvoll leben, er kann mit seiner Umwelt eins sein, er kann Freude erleben. Also Gesundheit ist an und für sich noch kein Wert, sondern die muss eingebettet sein in das Gesamtleben eines Christen, wenn er sich denn so versteht. Und da gehört eben dann viel mehr dazu, als nur, dass die Beine noch laufen.

Niehaus: Immer mehr Menschen suchen außerhalb der Kirchen Rat und Hilfe. Wie können Sie denn auf diese Wünsche und Bedürfnisse als Kirche eingehen?

Kleiminger: Ja, indem ich versuche, mit den Menschen, also sie ernst zu nehmen in ihrem Leiden. Das heißt, in der Bibel gibt es da ja auch Ratschläge, wie damit umzugehen ist, also etwas im Jakobusbrief wird das beschrieben im fünften Kapitel: Fürbitte ist das angemessene Heilungsverfahren, wenn Sie es denn so nennen wollen, was der Kirche ansteht. Fürbitte von anderen und das Sich-Klären des eigenen Verhältnisses zu mir selber, zu anderen. Als Christen vermitteln wir natürlich immer auch ein Weltbild, wenn wir von Heil und Heilung sprechen.

Früher war es so, dass Judentum und auch Christentum auf die Frage hin, was sei denn wichtiger, die Heilung oder das Heil, selbstverständlich gesagt haben, das Heil. Heilung war eine schöne Zugabe, aber wesentlich war das Heil. Und daher kommt es ja auch noch, dass wir bis heute die Nottaufe kennen oder auch die Salbung als Sterbesakrament. Also immer ging es darum, dass ich mein Leben geordnet und verantwortlich vor Gott leben kann, und jede Krankheit, die mich davon abhält, möge überwunden werden durch Fürbitte, aber auch dadurch, dass ich Gott die Freiheit zugestehe, mich nicht zu heilen.

Niehaus: Was raten Sie denn Menschen, die sich überlegen, sich auf alternative Heilverfahren einzulassen? Worauf sollten sie vor allem achten?

Kleiminger: Sie sollten sehr darauf achten, dass sie keinen Scharlatanen aufsitzen. Wichtig ist auch zu klären, welche Bedeutung hat der Heiler als Person in diesem Prozess. Und dann zu sehen, wird hier Macht ausgeübt über mich, soll ich abhängig gemacht werden, auch finanziell abhängig gemacht werden, oder in welcher Rolle empfindet sich der Heiler? Sollte immer genötigt werden, darüber zu sprechen, wes Geistes Kind er eigentlich ist und welches sein Hintergrund für seine Heilung ist. Man sollte, denke ich, immer darauf achten, dass das Gruppenerlebnis in solch einer Gemeinschaft nicht stärker wird, als das, was ich ja eigentlich nur wollte, als ich da hinkam, nämlich Gesundung von einem bestimmten Leiden.

Niehaus: Wenn Sie es noch mal versuchen auf den Punkt zu bringen: Was würden Sie vor allem raten Menschen, die sich überlegen, sich auf so ein Heilverfahren einzulassen? Worauf kommt es vor allem an, worauf sollten sie achten, bevor sie das tun?

Kleiminger: Ja sie sollten nicht auf schnelle Versprechen sich einlassen, sie sollten nicht dem vertrauen, dass Heiler meinen, es sei schnell getan mit irgendeiner Praxis, also mit einem technizistischen Verständnis von Heilung. Sie sollten vor allen Dingen aufpassen, dass sie nicht in Techniken verwickelt werden, die sie eigentlich nicht durchschauen, wo ihnen eigentlich nicht erklärt wird, was da mit ihnen passiert. Sie sollten einfach ihren Menschenverstand benutzen, um da kritisch zu bleiben.

Niehaus: Das war Dr. Matthias Kleiminger, langjähriger Vorsitzender des Arbeitskreises Religiöse Gemeinschaften der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands. Vielen Dank für das Gespräch! Und noch ein Tipp: Die Texte aus der VELKD erscheinen auch im Internet. Die Nummer 156, Heil und Heilung, finden Sie auf der Homepage unter www.velkd.de.