Spieleboom

Mit Gesellschaftsspielen gegen den Corona-Blues

07:33 Minuten
Eine Hand hält eine Spielfigur über dem Spielfeld von "Mensch ärgere dich nicht!"
Das setzt Emotionen frei: "Da muss ich im Zweifel sogar mal die Mama oder den Freund rausschmeißen", sagt die Therapeutin Christina Valentiner-Branth über eines der ältesten deutschen Brettspiele. © imago images/Noah Wedel
Christina Valentiner-Branth im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 25.11.2020
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Der Absatz von Gesellschaftsspielen ist stark gestiegen. In Zeiten von Videokonferenzen seien Brettspiele eine willkommene analoge Abwechslung, sagt die Therapeutin Christina Valentiner-Branth. Außerdem helfen sie gegen das Gefühl der Machtlosigkeit.
Liane von Billerbeck: Es gibt vermutlich nur wenige, die in diesen Zeiten sagen können: "Corona? Bei mir läuft’s richtig gut!". Solche Nachrichten dürften eher selten geworden sein. Aber: Wenn es eine Branche gibt, die von der Krise wirklich zu profitieren scheint, dann ist es die Spielebranche. Gestern gab es die Zahlen dazu: Kinderspiele wurden in diesem Jahr bisher 13 Prozent mehr gekauft, sagt der Verband der Spieleverlage, aber noch viel besser läuft’s bei den Erwachsenenspielen, da waren es nämlich 30 Prozent mehr.
Also, öfter mal "Monopoly" oder "Kniffel" statt Kino oder Bar. Wie wichtig ist dieser spielerische Ausgleich zu Hause? Darüber rede ich jetzt mit Christina Valentiner-Branth. Sie ist systemische Familientherapeutin, Journalistin und Spieleexpertin und besitzt selbst über 500 Gesellschaftsspiele. Hilft das Spielen durch den Corona-Alltag?
Christina Valentiner-Branth: Das hilft grundsätzlich, aber in dieser Krise hilft es ganz besonders, und zwar ist der Vorteil bei Gesellschaftsspielen ja, dass man sehr analog unterwegs ist. Wir, die wir jetzt alle gelernt haben, wie man Videokonferenzen abhält, und die wir im Homeoffice sitzen, wir haben den ganzen Tag Bildschirm, Bildschirm, Bildschirm und wir wollen dann etwas Analoges tun und wir wollen etwas tun, wo wir mit unseren Mitmenschen in den Austausch gehen, und das gelingt wunderbar mit Gesellschaftsspielen.

Spielen zur Vorbeugung gegen depressive Stimmungen

von Billerbeck: Erdet uns das in dieser Zeit, wo manch einer ja meint, ins Bodenlose zu fallen?
Valentiner-Branth: Es bietet zumindest die Möglichkeit, in eine komplett andere Welt einmal abzutauchen, in der man sich mit Dingen beschäftigt, die mit Corona nun so gar nichts zu tun haben.
Und, das ist ein weiterer Vorteil, man ist beim Gesellschaftsspielen immer sehr selbstwirksam. Ich muss ja jedes Mal entscheiden, welche Karte ich ablege, welchen Zug ich mache, ich plane, und ich plane zu meinem eigenen Vorteil, oder wenn ich im Team spiele, als kooperatives Spiel, dann zum Vorteil meiner gesamten Gruppe.
Und diese Selbstwirksamkeit, dieses Erleben der eigenen Möglichkeiten ist ein wunderbares Mittel gegen jede Art von depressivem Gefühl, weil ein depressives Gefühl ist ja das Gefühl der Machtlosigkeit, und wir fühlen uns in dieser Corona-Pandemie ganz oft machtlos und ein bisschen verzweifelt. Wenn ich dann das Gesellschaftsspiel nehme, dann kann ich etwas tun, das ist ein guter Effekt, auf jeden Fall, und sehr gesund.
von Billerbeck: Was passiert eigentlich so mit uns, in uns, wenn wir spielen?
Valentiner-Branth: Wir fühlen, wir fühlen unglaublich viel. Wir fühlen Freude, wir fühlen Ärger, wir fühlen Ehrgeiz, wir werden plötzlich mutiger, wir trauen uns etwas, und das alles aufgrund dieser intrinsischen Motivation, gewinnen zu wollen, einen Vorteil zu haben.
Bei "Mensch ärgere dich nicht!" zum Beispiel, da geht es ja darum, dass ich als Erstes meine Spielfiguren in mein Häuschen bringe, und da muss ich im Zweifel sogar mal die Mama oder den Freund rausschmeißen. Es gibt dafür sogar eine Extraregel, dass ich das tun muss, sonst habe ich einen eigenen Nachteil. Diese Emotionalität im Spiel ist das, was die Leute zu Spielern macht.
Detailaufnahme einer Person, die eine schwarze Spielfigur auf das Spielbrett von "Siedler von Catan" positioniert.
Beim Klassiker "Die Siedler von Catan" konkurrieren die Spieler um Rohstoffe wie Erz, Wolle und Holz.© picture alliance / dpa / Britta Pedersen
von Billerbeck: Machen wir mal so ein bisschen Sterndeuterei: Sagen wir, ich spiele gern Mikado, was sagt das über mich?
Valentiner-Branth: Sie mögen gerne Geschicklichkeitsspiele, sagt das auf jeden Fall, und wahrscheinlich sind Sie sehr geschickt mit Ihren Händen, im Bereich Feinmotorik bräuchten Sie wahrscheinlich keine Nachhilfe mehr. Das ist ja nicht so kompetitiv, da geht es nicht so sehr darum, sich mit anderen zu messen, sondern mehr, Ihre eigenen Fähigkeiten auszuloten, wie geschickt kann ich sein.

Für jeden Typ das richtige Spiel

von Billerbeck: Ist Spielen auch prinzipiell eine Typfrage, oder hat der Typ, der noch nicht spielt, einfach noch nicht das richtige Spiel gefunden?
Valentiner-Branth: Das würde ich natürlich immer sagen, und bei meinen 500 oder vielleicht noch mehr Spielen hab ich eigentlich für so ziemlich jeden Typ was dabei.
Es gibt tatsächlich Menschen, die sehr, sehr ehrgeizig sind, und das sind häufig auch die Menschen, die mit Gesellschaftsspielen so ein bisschen schlechte Erfahrungen früher gemacht haben, gerade Frauen, weil von Frauen oder auch von jungen Mädchen erwartet wird, dass sie eben sehr nett sind und nicht so kompetitiv.
Wenn sie dann dafür gehänselt wurden, dass sie so sind, dann hat das einen beschämenden Effekt, und beschämt werden möchte keiner, weder in der Schule noch beim Spielen. Die brauchen dann vielleicht Spiele, wo sie im Team gegen das Spiel spielen, und dann dürfen sie all ihre Kompetenzen ausleben und dürfen so richtig schön ehrgeizig sein, und das ist dann auch eine Freude.

Spielen trainiert soziale Fähigkeiten

von Billerbeck: Wird uns diese Praxis zu spielen, die manche vielleicht jetzt in Corona-Zeiten auch aus Verzweiflung sammeln, auch helfen, wenn Corona Geschichte sein wird – hoffentlich bald irgendwann?
Valentiner-Branth: Das ist ja das, womit ich antrete. Ich hab jetzt im Herbst die Brettspielakademie gegründet, um Erzieherinnen, Lehrkräften, Psychotherapeuten und Bibliothekarinnen beizubringen, wie sie das Spiel in die Familien, an die Spieler, an die Interessierten, auch vielleicht an die heranbringen, die das bisher noch nicht so betrachtet haben, weil ich absolut davon überzeugt bin, dass es nicht nur in Krisenzeiten, sondern ganz grundsätzlich eine absolut gesunde und gute Tätigkeit ist.
Gerade für Kinder ist es so wichtig, diese Fähigkeiten Impulskontrolle, Arbeitsgedächtnis, flexibles Denken zu üben und zu erlernen, weil nur mit diesen Fähigkeiten bin ich überhaupt schul- und lernfähig und auch gesellschaftsfähig, wenn wir mal ganz ehrlich sind. Das geht mit Spielen, mit Gesellschaftsspielen besonders gut, weil sie einfach viel Spaß machen.
von Billerbeck: Können Sie eigentlich leben, ohne zu spielen?
Valentiner-Branth: Ich? Nein! Völlig ausgeschlossen.
von Billerbeck: Was ist Ihre ultimative Spielempfehlung für Weihnachten, wenn Sie eins empfehlen müssten?
Valentiner-Branth: Eins, oh, das ist schwer, wirklich. Es kommt ja immer darauf an, wer da unterm Weihnachtsbaum sitzt und miteinander …
von Billerbeck: Ihr liebstes Spiel gerade.
Valentiner-Branth: Im Moment finde ich das Spiel "Piff Paff and Friends" super, weil das ein Spiel ist, was sehr einfach ist, sehr lustig ist, da kann die Oma mitspielen, da kann der kleine Bruder mitspielen. Das ist ein Spiel, das wirklich generationenübergreifend funktioniert. Das hat keine besonders große Spieltiefe, aber es ist witzig und wir lachen, und das ist ja das, was wir gerade im Moment brauchen. Ansonsten empfehle ich die Empfehlungsliste und die nominierten und die Spiele des Jahres vom Verein "Spiel des Jahres", da macht man nichts verkehrt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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