Special Olympics

Auf dem Pferd zu Gold

23:40 Minuten
Ein Junge sitzt im Sattel und lehnt sich nach vorn, um sein Pferd zu umarmen.
Mehr als 130 Reiterinnen und Reiter sind bei den Special Olympics in Berlin dabei. (Symbolbild) © picture alliance / BSIP / AMELIE-BENOIST / IMAGE POINT FR
Von Anja Schrum · 11.06.2023
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Springreiten, Dressur, Geschicklichkeitsparcour: Bei den Special Olympics World Games in Berlin treten auch Reiter miteinander an, zwölf sind für Deutschland nominiert. Darunter sind erfahrene Olympioniken wie Marcus Benter, aber auch Newcomer.
An einem grauen, kalten Tag Anfang März wird gleich im Inklusiven Pferdesport- und Reittherapiezentrum in Berlin-Karlshorst das Training beginnen. Die Vorbereitungen auf den Frühsommer. Auf die Special Olympics World Games in Berlin. Die Weltspiele für Sportler mit geistiger und mehrfacher Behinderung.
Auch Marcus Benter ist nominiert. Als einer von zwölf Reiterinnen und Reitern des deutschen Teams.

"Da mache ich auch wieder Level B, also B-Dressur - und da ist auch wieder Geschicklichkeitsparcours dabei."

Benter war schon mehrmals bei Special Olympics

Mehrfach schon hat Marcus Benter an den nationalen Special-Wettbewerben teilgenommen. Und das mit Erfolg:

"Im Juni letztes Jahr bei der Special Olympiade: zweial Gold, einmal Silber und einmal Bronze."

Der kleine, drahtige 55-Jährige lächelt breit. Vier Medaillen - mit dieser Leistung hat er sich auch für die Weltspiele in Berlin empfohlen.
In der Reithalle führt Benter das Pferd zu einem kniehohen Klappbrett an der Seitenwand. Er tritt darauf und schwingt sich von hier aus in den Sattel.

Über 130 Reiter sind in Berlin dabei

Training für den sogenannten Geschicklichkeitsparcour - einer der vier Reitwettbewerbe bei den Special Olympics. Neben Springen, Dressurreiten und dem sogenannten Reiterwettbewerb. Mehr als 130 Reiterinnen und Reiter werden in Berlin an den Start gehen.
Je nach Können wird in drei unterschiedlichen Kategorien geritten: In Level C nur Schritt, in Level B Schritt und Trab und Level A umfasst alle drei Gangarten.
Marcus Benter wird in Level B starten.

Der 55-Jährige dirigiert Rosa scheinbar mühelos durch die Halle. Reiter und Pferd bewegen sich im Einklang. Benters graue Locken wippen im Takt unter der Reitkappe.

Das Training ist gut gelaufen, findet Benter. Genauso wie der erste Olympia-Vorbereitungslehrgang im westfälischen Datteln Ende Februar. Ein Wochenende lang haben alle zwölf nominierten Reiterinnen und Reiter gemeinsam trainiert.
"Da waren auch vier Trainer dabei, die uns da geholfen haben, die Aufgaben vorgelesen haben und so, dass es auch reibungslos läuft. Das haben wir auch mit fremden Pferden dort gemacht."

Fremdpferde als Herausforderung

Denn genau da liegt eine Herausforderung der Special-Olympics-Reitwettbewerbe: Die Teilnehmenden satteln nicht die ihnen vertrauten Pferde, sondern reiten auf sogenannten Fremdpferden. Ein ganz besonderes Wettbewerbsformat, das es so im Reitsport kaum gibt, sagt Trainerin Stephanie Timmer.

"Soll, glaube ich, bei den Special Olympics die Fairness einfach erhöhen, dass das Pferdematerial eben für jeden eigentlich gleich ist.“
Für die Special-Olympics-Reiterinnen und Reiter bedeutet das: Sie müssen sich innerhalb kürzester Zeit auf ein fremdes Pferd einstellen.
Umgekehrt gilt das natürlich auch. Und genau dieses Einfühlungsvermögen findet Marcus Benter an Pferden so faszinierend:

Pferde tun sich so in dich reinversetzen. Die können sich auf Schwerbehinderte besser einstellen. Deswegen sind Pferde einfach etwas Besonderes für mich.

Reiter Marcus Benter startet bei den Special Olympics

Anfang April im Estrel-Kongresszentrum Berlin: Der Verband Special Olympics Deutschland hat zur Einkleidung für die Weltspiele geladen. Aus ganz Deutschland sind die 415 nominierten Athletinnen und Athleten angereist. Begleitet von rund 130 Trainern. Und einem Großaufgebot an Medien.
Amadeus Colsman reckt sich noch ein wenig höher Richtung Kamera. Der 18-Jährige gehört - wie Marcus Benter - zum Reitteam von SOD, also Special Olympics Deutschland.

Marcus Benter schlüpft in die rote Trainingsjacke mit dem Bundesadler auf dem Ärmel. Zieht den Reißverschluss zu und freut sich. Danach gibt es T-Shirts, Kapuzenjacken, Sweatshirts und Hosen.
Ein Stück weiter steht Daniela Colsman, die Mutter des 18-jährigen Amadeus und verschnauft kurz.

Amadeus Colsmann startet mit Down-Syndrom

Daniela Colsman schüttelt den Kopf und lächelt tapfer. So ganz kann sie es noch nicht fassen: Ihr Sohn startet bei den Weltspielen. Und sie selbst ist eine der vier offiziellen Coaches der deutschen Reit-Equipe.
Colsman ist selbst passionierte Reiterin:

Eigentlich in dem Moment, wo er sitzen konnte, habe ich ihn schon aufs Pferd gesetzt. Ich hatte eine ganz tolle Therapeutin im Kindergarten, weil ich eigentlich auch mit ihm so Turnübungen gemacht habe, weil er das Down-Syndrom hat. Die hat mir geraten: Wenn es dir nicht so Spaß macht mit den Turnübungen: Das Beste ist, wenn du das Kind aufs Pferd setzt.

Daniela Colsmann, passionierte Reiterin und Mutter von Amadeus

Zunächst ist es ein Pony, das seine Mutter führt.

"Aber das ist eben, was sie lernen: Das Gleichgewicht. Körperspannung und das geht durchs Pferd, weil es diese Dreifach-Bewegung hat. Rechts und links und vor und zurück und seitwärts."

Als einziger Deutscher beim Springwettbewerb

Je älter Amadeus wird, desto besser klappt es mit dem Reiten. Heute springt er, reitet Dressur, hat ein eigenes Pferd. Bei den Weltspielen wird er als Einziger der deutschen Equipe am Springwettbewerb teilnehmen.
In Deutschland gibt es rund 110 Reiterinnen und Reiter, die dem Verband Special Olympics Deutschland, kurz SOD, angeschlossen sind und an den Wettbewerben teilnehmen. Eine der Herausforderungen für viele von ihnen: die Orientierung im Raum. Sie ist nötig, um in der Dressur die einzelnen Hufschlagfiguren richtig zu reiten - beim Zirkel etwa.

Die Weltspiele sind auch für das vierköpfige Trainerteam eine Herausforderung. Fast zwei Wochen lang werden sie die zwölf Reiterinnen und Reiter in Berlin rund um die Uhr betreuen. Sicherstellen, dass alle gut ausgeruht sind, genug getrunken haben, pünktlich am Start stehen.

Fehlende finanzielle Unterstützung

Dabei gelassen bleiben, keine Hektik aufkommen lassen. Joachim Bock macht das ehrenamtlich, seine Tätigkeit als freiberuflicher Reitlehrer ruht, während er mit dem Team unterwegs ist. So wichtig ihm Special Olympics und die Inklusion geistig behinderter Menschen sind, finanziell hadert er mit der Umsetzung:

"Zumindest, finde ich, sollte das so sein, dass es eine Aufwandsentschädigung gibt. Weil die Verantwortung ist nicht nur fürs Reiten groß, sondern auch für den ganzen Umgang. Gerade in Berlin S-Bahn fahren, dann haben wir die, dass die abends in Ruhe dort schlafen. Wir müssen da auch gucken, dass das passt, ihre Medikamente bekommen. Das ist alles nicht so einfach."

Anfang Mai im Inklusiven Pferdesport- und Reittherapiezentrum, kurz IPRZ, in Berlin-Karlshorst. Auch bei Christina Krämer steigt die Anspannung. Krämer leitet am IPRZ das therapeutische Reiten.
Und unterstützt Marcus Benter bei den Vorbereitungen auf die Weltspiele. Unterlagen müssen ausgefüllt, Termine mit dem Verband SOD abgestimmt werden.

Benter lebte auf einem Pferdehof

Pferde begleiten Marcus Benter fast sein ganzes Leben lang. Mit elf hat er angefangen zu reiten.

Benters Mutter ist alkoholkrank. Der kleine Junge wächst im Kinderheim auf. Dort gibt es Ponys und Reitunterricht. Man kann nur ahnen, was die Tiere für ihn bedeutet haben. Später dann lebt und arbeitet er viele Jahre auf einem Pferdehof im Schwarzwald.
Reiter Marcus Benter
Reiter Marcus Benter startet für das deutsche Team bei den Special Olympics.© Anja Schrum
Marcus Benter zieht nach Berlin. Arbeitet bei der Lebenshilfe, auch wieder mit Tieren, reitet in inklusiven Sportvereinen und nimmt mehrfach an den nationalen Special Olympics teil.
Im Frühjahr 2020 wechselt er ins neu eröffnete Inklusive Pferdesport- und Reittherapiezentrum. Hier betreut er die Pferde und kann auch selbst reiten.

"Das ist einfach, mit dem Pferd zu harmonieren. Dass es eine Einheit gibt, das beruhigt auch den Menschen. Sie geben ihm die Wärme und all das zurück. Das merken auch die Pferde, wie du dich oben gibst, ob du da Angst hast, entspannt oder total gelassen bist. Dementsprechend verhalten die sich dann auch - und das finde ich sehr, sehr gut."

Vorbereitungslehrgang des deutschen Teams

Einige Tage später beim Reit- und Fahrverein im westfälischen Datteln: Marion Acar hievt ein paar Taschen aus dem Kofferraum ihres Autos. Verpflegung für den zweiten und letzten Vorbereitungslehrgang des deutschen Reitteams. Organisiert von den Ehrenamtlichen des Vereins für Reittherapie Kreis Unna. Doch es läuft nicht alles wie geplant.

"Wir selbst haben zwei erkrankte Pferde. Wir hatten hier vom Verein noch eins leihen können, das ist aber auch erkrankt. Es ist alles nicht so, wie wir es gerne hätten."

Zu wenig Pferde für das zwölfköpfige Reitteam, das samt Trainern am Vortag aus den unterschiedlichsten Ecken Deutschlands angereist ist. Deshalb übt die Gruppe an diesem Vormittag getrennt.
Die eine Hälfte in Datteln, die andere auf einem Pferdehof eine gute Autostunde entfernt. Aber nicht nur die Pferde sind erkrankt.
Auch den 18-jährigen Reiter Amadeus Colsman hat es erwischt. Seine Mutter und Trainerin, Daniela Colsman, hat ihn vorsichtshalber zu Hause gelassen.

"Meine anderen Kinder die wären heulend, und er ist ganz vergnügt. Er lebt so im hier und jetzt, gar nicht so, ach, was ich verpasst habe vielleicht. Mir fällt es schwer, ehrlich gesagt. Ich bin traurig, dass er die Einkleidung hier mit den tollen Helmen und Jackets nicht mit allen machen kann."

Noch ist unklar, wer auf welchem Pferd reiten wird

Daniela Colsman wird jetzt allein mit Amadeus weiter trainieren, besonders das Springen. Denn ihr Sohn ist als Einziger des Teams für den Springwettbewerb nominiert.
"Ich werde jetzt auch noch mal ein normales Turnier nehmen, dass er auch noch mal Turniererfahrung kriegt."
Ein Stück weiter, auf einem sandigen Reitplatz unter großen Bäumen reiten Marcus Benter, Luzi Tun, Luisa Fußy und Marco Sohr auf ihnen fremden Pferden. So wie es auch bei den Weltspielen in Berlin sein wird.
Daneben sitzt Uta Deutschländer dick eingemummelt auf einem Campingstuhl und schaut kritisch. Deutschländer korrigiert und ermuntert. Sie ist die nationale Koordinatorin für SOD Reiten.

Zusammenstellung mit "Steckbriefen"

Noch weiß keiner, wer welches Pferd reiten wird. Erst kurz vor Wettbewerbsbeginn wird mit Hilfe sogenannter „Steckbriefe“ versucht, möglichst passende Paare zusammenzustellen. Ein Tausch ist nur einmal möglich.
"Dann gilt es natürlich zu gucken, wo sind vielleicht die größten Schwächen, die die Reiter haben, damit man nachher gleich sehen kann, überlegen kann, was das vielleicht mit dem Leihpferd für ein Problem machen könnte."
Bei den Weltspielen wird vor allem auf das korrekte Ausführen der Lektionen geachtet, den Sitz, das Zusammenspiel von Reiter und Pferd.

In Datteln ist an diesem Tag auch ein Fernsehteam anwesend. Filmt, macht Aufnahmen mit einer Drohne.

Marcus Benter hat auf Frieda sichtlich Mühe. Plötzlich geht die Stute rückwärts, droht über die hölzerne Umrandung des Reitplatzes zu stolpern. Benter kriegt Frieda jedoch wieder in den Griff.
Uta Deutschländer bleibt trotz der kleinen Unterbrechung entspannt.

Es sind jetzt meine fünften Weltspiele. Erfahrungsgemäß muss ich mal sagen, die Pferde waren das geringste Problem. Special Olympics ist eine Veranstaltung, wo trotz aller Aufregung immer noch eine gewisse Ruhe ist. Also die Pferde merken das, die sind da auch nicht so angespannt. In der Regel laufen die da ganz friedlich daher.

Uta Deutschländer, Koordinatorin für Reiten bei Special Olympics Deutschland

Auch weil die Special-Olympics-Reiterinnen und -Reiter sich sehr gut auf die Pferde einlassen können. Davon könnte so mancher nicht-behinderte Reiter lernen, findet Beate Bengelmann, Head-Coach des Teams.

"Dann haben die wirklich teilweise diesen sechsten oder siebenten Sinn und erspüren dieses Pferd und lassen sich da viel mehr drauf ein als andere Reiter. Gerade auch die Lisa, die kann sich sehr gut auf ein neues Pferd und noch mal auf ein neues Pferd einstellen und auch umstellen, was man den Reitern oft gar nicht zutraut, weil sie das einfach vorsichtig angehen lässt und spürt, was jetzt richtig und falsch ist."

Wettbewerbe beginnen mit Klassifizierung

Für die Reiterinnen und Reiter werden die Wettbewerbe in Berlin mit der sogenannten Klassifizierung beginnen. Das ist ein kurzer Wettbewerb, den alle reiten müssen. Und für den jeder und jede eine Note zwischen eins und zehn erhält. Mit Hilfe dieser Noten werden dann möglichst homogene Startgruppen zusammengestellt, die später die Medaillen unter sich ausmachen.

Der zweite Vorbereitungslehrgang habe das Team weiter zusammengeschweißt, meint Trainer Joachim Bock. Alle freuen sich auf Berlin.

"Da geht schon ein Ruck durch alle, da sind auch stolz, das muss ich schon sagen, das ist eine tolle Sache. Und das ist ja erstmalig in Deutschland so ein Wettbewerb. Und vielleicht sollte das eine Strahlkraft haben für später und dass sich das später mal ein bisschen weiterentwickelt."

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