Späte verlegerische Heimat gefunden

Der Berliner Verbrecher-Verlag hat sich Gisela Elsners Erbe angenommen und veröffentlicht jetzt die gesammelten Erzählungen der bekennenden Kommunistin. Schon länger bemühte sich Christine Künzel um die Herausgabe ihres Werkes, jetzt ist es gelungen.
Nach dem Erscheinen des Romans "Das Windei" im Jahr 1987 trennte sich der Rowohlt Verlag von seiner Haus-Autorin Gisela Elsner (1937-1992) und gab alle Rechte an sie zurück. Elsner bezeichnete den Vorgang als "Elsnerräumungsschlussverkauf" und erklärte in einem Brief, wenige Wochen vor ihrem Freitod am 13. Mai 1992, man hätte die "Lagergebühren" für ihren "feuchten ‚Kehricht’ geschäftlich für untragbar" empfunden.

Im Berliner Verbrecher Verlag, der sich seit einiger Zeit in kompetenter Weise um ihr Werk kümmert, sind nun sämtliche Erzählungen in zwei Bänden erschienen.

Sie enthalten alle "Kürzestgeschichten" (Elsner) und Erzähltexte, die in den zu ihren Lebzeiten veröffentlichten Erzählbänden enthalten sind ("Triboll. Lebenslauf eines erstaunlichen Mannes", 1956; "Herr Leiselheimer und weitere Versuche, die Wirklichkeit zu bewältigen", 1973; "Die Zerreißprobe", 1980) sowie Erstveröffentlichungen aus dem Nachlass. Aufgenommen wurden auch Elsners Radio-Erzählungen bzw. Feature und die verstreut in Zeitungen, Zeitschriften und Prosa-Bänden publizierten Texte.

Ein ästhetischer Genuss ist vor allem Elsners Sprache, die fesselt und zugleich abschreckt. Mit analytischer Schärfe wird die Wohlstandsgesellschaft und das Gebaren des westdeutschen Kleinbürgers aufs Korn genommen. Elsner setzt den literarischen Figuren ein waches Observationsauge ins Genick. So entgeht ihr keine Bewegung, die diese allesamt unsympathischen Kreaturen vollführen.

In "Daniel in der Sardinenbüchse" (1961) steht die radikale Schrumpfung eines Mannes auf ein Nichts - "ein Komma nur im Plädoyer des Verteidigers" -, das nicht mehr "aufmucken" kann, für die Ohnmacht in einer kalten Welt voller Missverständnisse und Sprechverbote. Der Text ist aber auch eine Kritik am Umgang mit der NS-Vergangenheit - ein zentrales Thema in Elsners literarischem und essayistischem Schaffen. Überzeugend ist die stilistische wie narrative Radikalität, mit der die – an Franz Kafka geschulte – totale Entmenschlichung vollzogen wird.

"Die Auferstehung der Gisela Elsner" ist hingegen eine grandiose Groteske mit Kassandra-Effekt. Denn das Begräbnis der berühmten Autorin, so beginnt die Erzählung, sei "allerorts" totgeschwiegen worden, da die Tote "selbst aus ihrer Verwesung" noch ein Geschäft gemacht hat. So blieb auch die Enthüllung eines "Elsner-Denkmals" unerwähnt.

Das erzählerische Werk Gisela Elsners, zwischen 1955 und 1992 entstanden, weist ein raffiniert-verzweigtes Geflecht von Erzählmustern auf, das hinsichtlich der Figuren, Themen und der Motive interessante Bezüge zu ihren Romanen schafft. Der Leser steht vor einem Tableau Vivant, das zwar voller Leben ist, doch unter den sezierenden Blicken der großen Autorin entzaubert wird.

Besprochen von Carola Wiemers

Gisela Elsner: Gesammelte Erzählungen in zwei Bänden
Hrsg. v. Christine Künzel
Verbrecher Verlag, Berlin 2013.

Band 1: Versuche, die Wirklichkeit zu bewältigen
272 Seiten, 15 Euro

Band 2: Zerreißproben
224 Seiten, 15 Euro.
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