Dividende des Grauens

Otto und seine Frau Lisl arbeiten in einer Ungeziefervertilgungsmittelfabrik. Dort testen sie Schadstoffe. Otto ist stolz auf seine Aktien der Firma, vergisst dabei aber, dass er Teil einer Vernichtungsindustrie ist, die ihre Erkenntnisse in der NS-Zeit gewann. Gisela Elsner - bekannt aus die "Unbekannte" - wirft einen sarkastischen Blick auf die Wirtschaftswunderzeit.
Den Romanen Gisela Elsners (1937-1992) mangelt es nicht an skurrilen Figuren mit einem enormen grotesken Potential. Bereits in ihrem Debüt "Die Riesenzwerge" (1964) wird der geliebte deutsche Mittagstisch zum Schlachtfeld, auf dem seelenlose Kleinbürger skrupellos ihre Messer wetzen. Als 2007 aus dem Nachlass ihre Groteske "Heilig Blut" als deutsche Erstveröffentlichung erschien - der Text lag bislang nur in russischer Übersetzung vor -, nahm man an, dass es das letzte Werk der 1992 freiwillig aus dem Leben geschiedenen Autorin sei.

Doch die literarischen Entdeckungen gehen weiter. Bei dem vorliegenden Roman "Otto, der Großaktionär" handelt es sich um die Erstausgabe eines Typoskripts letzter Hand, das in den 1980er Jahren entstanden ist.

Während Elsner in "Heilig Blut" die moralischen Perversitäten einer im Krieg gestählten Kameradschaft aufs Korn nimmt, begibt sie sich mit diesem Roman erstmals in das Proletariermilieu. Im Zentrum der Handlung stehen Otto Rölz und seine Frau Lisl Rölz sowie sein Arbeitskollege Herbert Erpenbeck, die in einer Ungeziefervertilgungsmittelfabrik des FATA-Konzerns arbeiten.

Während Lisl im A-Trakt für die Produktion und den Vertrieb der Ware verantwortlich ist, testen Otto und Herbert als sogenannte Tierbetreuer (eigentlich "Tiervertilger") im B-Trakt die Schadstoffe. Was im C-Trakt des Fabrikgeländes vor sich geht, - "der mittlerweile den Spitznamen AUSCHWITZEL" trägt -, ist nur wenigen Personen bekannt.

Elsner entwirft ein Szenarium des Grauens, das durch die scheinbar naiven Kommentare Ottos konterkariert wird. Zwischen der im bayrischen Dialekt gehaltenen Figurenrede Ottos und dem Erzählertext bildet sich ein Gemisch von sarkastischen Durchhalteparolen und Glaubensbekenntnissen, die ihn als devotes Produkt der "Wirtschaftswunder"-Zeit erscheinen lassen. Sein nach Dividenden schielender Blick ist durch den Tatbestand getrübt, dass er stolzer Besitzer von fünf Aktien ist. Denn dass er damit Teilhaber an einer zynischen Vernichtungsmaschinerie ist, die ihren hohen Entwicklungsstand den NS-Schandtaten während des Holocaust verdankt, begreift er nicht.

In seiner Figur gehen der Aktionär und die Laborratte schließlich eine unheilvolle Symbiose ein. Die "Nylonschlinge", die er einst zur Strangulierung der besonders resistenten Versuchstiere erfunden hat, scheint sich bald auch um seinen Hals zu legen.

"Otto, der Großaktionär" ist gleichzeitig mit dem Roman "Das Windei" von 1987 entstanden und muss wie dieser als kluge Wirtschaftssatire gelesen werden. Es scheint kein Zufall zu sein, dass der Bauunternehmer Heiner Wurbs im "Windei" von seinem trostlosen, heillos verschuldeten Eigenheim auf eine Ungezieferbekämpfungsmittelfabrik blickt.

Rezensiert von Carola Wiemers

Gisela Elsner: Otto, der Großaktionär
Roman, Typoskriptfassung letzter Hand
Verbrecher Verlag 2008
176 Seiten, 14 Euro