Sowohl als auch

Von Kathrin Hondl |
Degas, Renoir, Monet - so heißen die Helden des Impressionismus. Dass es da aber auch impressionistische Heldinnen gab, ist ein weniger bekanntes Kapitel der Kunstgeschichte. Jetzt zeigt das Pariser Musée Marmottan Monet eine Retrospektive auf das Werk von Berthe Morisot - seit einem halben Jahrhundert die erste große Ausstellung, die der Impressionistin in Paris gewidmet ist.
Für ihre Zeitgenossen war Berthe Morisot die "impressionistischste unter den Impressionisten". "Niemand", so schrieb ein Kritiker 1881, "niemand repräsentiert den Impressionismus mit einem raffinierteren Talent und mit mehr Autorität als Madame Morisot." Die Nachwelt aber interessierte sich dann bekanntlich mehr für die männlichen Vertreter des Impressionismus.

"Es ist offensichtlich, dass man sich lange Zeit weniger um die Malerinnen als um die Maler gekümmert hat. Erst seit einigen Jahren wird die weibliche Malerei neu erforscht. Bei den Impressionisten darf man aber auch nicht vergessen, dass Renoir, Degas und Monet im hohen Alter von über 80 gestorben sind. Sie erlebten den immensen Erfolg des Impressionismus noch selbst, wenn auch spät - im Gegensatz zu Berthe Morisot, die 1895 im Alter von nur 54 Jahren starb,"

sagt die Kuratorin Marianne Mathieu. "Ohne Beruf" stand da übrigens in der Sterbeurkunde, nicht "Malerin" oder "Künstlerin". Schließlich durften Frauen sich damals noch nicht einmal offiziell ausbilden lassen. Die Kunstakademie war Männern vorbehalten. Für Mädchen gab es wenn überhaupt Privatunterricht.

Berthe Morisot und ihre Schwester Edma lernten das Malen unter anderem im Atelier von Camille Corot und im Louvre, wo sie die Bilder alter Meister kopierten. Aus dieser Zeit stammt ein Porträt, das Edma Morisot von ihrer Schwester malte. Es zeigt Berthe malend an der Staffelei und unterscheidet sich schon deshalb von den anderen Porträts und Selbstporträts, mit denen die Ausstellung beginnt.

Da sehen wir Berthe Morisot als bourgeoise Mutter auf dem Sofa sitzend, Tochter Julie im Hintergrund - oder als schwarz gekleidete Femme fatale auf einem Bild von Edouard Manet, mit dem Berthe Morisot eng befreundet war und dessen Bruder sie heiratete. Künstlerisch aber wollte sich Berthe Morisot von Manet ebenso wenig beeinflussen lassen wie von ihren früheren Lehrern.

"Als sie 1864 zum ersten Mal beim Salon ausstellt, feiert man sie als Corot- Schülerin - das behagt ihr aber überhaupt nicht. Als Manet einmal eines ihrer Bilder überarbeitet, findet sie das unerträglich. Deshalb hat sie vermutlich auch alle ihre Jugendwerke vernichtet. Solange sie sich noch als Schülerin dieser Lehrer sah, als eine Malerin unter Einfluss - so lange zerstörte sie ihre Bilder. Berthe Morisot wollte vor allem eine eigenständige, originelle Malerin sein und ihre eigenen Bilder schaffen."

Berthe Morisots Themen und Motive sind typisch für die impressionistische Malerei: Porträts mondäner Damen, Hafen- und Flusslandschaften mit vielfältigen Spiegelungen des Lichts auf den Wasseroberflächen und - immer wieder - die Familie: Tochter Julie, mit dem Vater im Garten oder beim Spielen mit Kindermädchen und Freundinnen. Die Farben, die Berthe Morisot verwendet, erinnern an die französische Malerei des 18. Jahrhunderts: Silbrige Farbtöne, viel weiß, blau und rosa wie auf den Bildern von Watteau oder Fragonard.

"Ihre Farbpalette ist absolut einzigartig. Berthe Morisot zeigt, dass es eine Verbindung gibt zwischen der französischen Malerei des 18. und des 19. Jahrhunderts."

Berthe Morisot war eine Künstlerin des "Sowohl als auch", und zwar in jeder Hinsicht. Im Gegensatz zu ihrer Schwester Edma gab sie das Malen nicht auf, nachdem sie geheiratet und ein Kind bekommen hatte. Sie schaffte, was im 19. Jahrhundert selten war: Sowohl ein bürgerliches als auch ein Leben als Künstlerin zu führen. Und auch als Künstlerin ging sie mehrere Wege gleichzeitig.

"Unter den Impressionisten ist sie eine der undogmatischsten und innovativsten. Sie erforschte einerseits die Möglichkeiten der Zeichnung - also der Linien und Konturen - da ist sie Renoir verwandt. Aber sie interessierte sich auch für die Auflösung der Formen, die Befreiung der Malerei. In ihren weniger bekannten Landschaftsgemälden deutet sich bereits an, was Monet 20 Jahre später tun wird."

Da ist zum Beispiel ein kleinformatiges Bild des Waldes von Compiègne, wo sich Bäume und Blätter in einem Meer von Grüntönen aufzulösen scheinen. Zahlreiche Leihgaben wie dieses Bild aus dem Kunstinstitut von Chicago ergänzen in der Ausstellung den ohnehin schon umfangreichen Berthe Morisot-Bestand des Musée Marmottan. Unverständlich aber ist, dass diese Pariser Retrospektive auf Bilder aus dem Musée d'Orsay verzichtet.

"Ich wünschte es wäre anders, aber man hat mich gebeten, keine Leihgaben aus dem Musée d'Orsay zu erfragen,"

sagt die Kuratorin. Hintergrund ist ein Kleinkrieg zwischen den beiden Pariser Impressionismus-Museen. Er begann 2010, als das Musée Marmottan dem Musée d'Orsay Leihgaben für eine große Monet-Retrospektive verweigerte. Die Morisot-Retrospektive im Musée Marmottan muss nun ohne "Die Wiege" auskommen, das wohl berühmteste Bild der Künstlerin aus der ersten Impressionisten-Ausstellung von 1874. Das hängt ein paar Kilometer entfernt im Musée d'Orsay.
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