Kühe statt Kaiserbilder

Von Volkhard App |
Die Bilder von Max Liebermann, Lovis Corinth und Max Slevogt gelten Kaiser Wilhelm II. als „Rinnsteinkunst“. Doch die Künstler lassen sich nicht beirren und finden ihre Motive überall, weit entfernt von den Akademien. Die Kunsthalle Bielefeld zeigt in einer Übersichtsschau die Entwicklung des Impressionismus in Deutschland.
Der Weg führt ins Freie in dieser nach Motivgruppen geordneten opulenten Schau – von leuchtenden Interieurs in die bei Tag und Nacht eingefangene, funkelnde Großstadt, aber auch in blühende Gärten und an die holländische Nordseeküste, wo nicht nur Max Liebermann die bürgerlichen Freizeitmenschen in hellen Tönen bei ihrem Vergnügen festhielt. Max Slevogt malte 1908 die „Dame am Meer”, die sich ein ganzes Stück nach vorne beugt, um die auf den Strand treffenden Wellen zu beobachten.

Ins Freie führte der Weg der Künstler auch programmatisch – raus aus einer akademisch engen Malerei inmitten einer konservativ erstarrten wilhelminischen Gesellschaft. Thomas Kellein, Leiter der Bielefelder Kunsthalle:

„Für die Künstler war es eine existenzielle Wendung, wegzugehen von der Akademie und der vermeintlichen Sicherheit, sich in tradierten Bahnen zu bewegen. Und dann gehen sie aufs Land und halten Malkurse ab auf dem freien Feld. Und die Schüler sollen Kühe malen – das können wir uns heute kaum vorstellen, was das bedeutet hat. Etwas Unkonventionelles, ungeheuer Erfrischendes. Die Eleven stehen mit der Staffelei neben den kackenden und wiederkäuenden Kühen. Und überall in Deutschland greift das: Der Künstler sagt, ich suche mir meinen Ort und dann male ich, was ich will – gegenstandsgebunden zwar, nicht ganz frei, aber ich habe einen ganz anderen Umgang mit der Farbe, ich setze den Pinsel, wie ich will. Und das ist das Fundament, das die Moderne im 20. Jahrhundert in Deutschland ermöglicht.“

Eine ausgedehnte Galerie der Kühe bildet zusammen mit Steinbruch-Gemälden von Robert Sterl den fast schon ironischen Schlusspunkt in einer Ausstellung, die den deutschen Impressionismus eben nicht auf die „großen Drei” Liebermann, Slevogt und Corinth beschränkt, sondern seine Vielfalt aufzeigen will und manchen Künstler aus dem bloß regionalen in ein breites öffentliches Bewusstsein rücken möchte: von Gotthardt Kuehl , der in Dresden zu studieren begann, bis zu Christian Landenberger in München – jener Stadt, in der sich die neue Richtung kristallisierte.

Thomas Kellein: „Und dann beginnt der deutsche Impressionismus seinen Weg durch die Provinz nach Berlin, wo er in den 1890er-Jahren ankommt und zu Beginn des neuen Jahrhunderts seinen Höhepunkt erlebt.“

Eine Reise durch das ganze Land mit seinen Individuen, Gruppen und Sezessionen, durch ein Land, in dem der Kaiser verordnet hatte, die Kunst solle das Volk erheben und dürfe deshalb nicht in den Rinnstein hinabsteigen – die Freilichtmaler hätten bei ihm ein hartes Leben zu erwarten, er werde sie unter seiner Rute halten.

Diese deutschen Künstler zeigten sich bei ihren Bildungsreisen nach Paris vielfältig interessiert, orientierten sich an Gustave Courbet und an der Freilichtmalerei von Barbizon. Als Fanclub von Claude Monet gerierten sie sich nicht – der deutsche Impressionismus war kein simpler Reflex auf die jüngsten stilistischen Umbrüche im Nachbarland.

Auch auf diese Korrektur legt man in Bielefeld Wert, wo man generell der Ansicht ist, dass die Geschichte des deutschen Impressionismus in allen Facetten erst noch geschrieben werden müsse. Was also zeichnete ihn aus -im Vergleich mit dem französischen? Kuratorin Jutta Hülsewig-Johnen:

„Der französische Impressionismus ist ja eine betont hellfarbige Malerei. Es geht den Franzosen um die Zerlegung der Form, die Kleinteiligkeit der Farbe, um atmosphärische Phänomene, es geht um Licht und Schatten, um Farbveränderungen im Tageslicht. Den deutschen Impressionisten geht es nach wie vor immer auch um die Bildform, die Malerei richtet sich nach formalen Vorgaben, ist zugleich individueller, flächiger und tendenziell sehr viel dunkler.“

Dort das artifizielle Experiment mit der Darstellung des Lichts, bei uns die Empathie mit den konkreten Motiven, den dargestellten Figuren – so wird es auch im Katalog beschrieben. Es ist die schwierige Suche nach der Gemeinsamkeit all jener deutschen Maler zwischen Nord und Süd, Ost und West.

Der Impressionismus fand nach einer Anlaufzeit gegen Ende des 19. Jahrhunderts Resonanz beim hiesigen Publikum, wurde aber in seinem Stellenwert bald überlagert von den schreienden Farben der Expressionisten. Allerdings: ohne den deutschen Impressionismus hätte es den Expressionismus vielleicht gar nicht gegeben, sagt Jutta Hülsewig-Johnen:

„Ich denke, wenn man sich den deutschen Impressionismus genauer anschaut, sieht man seine Mittlerfunktion. Er bildet eine genaue Scharnierstelle zwischen dem 19. Jahrhundert mit den naturalistischen und realistischen Tendenzen, aus denen er kommt – im Übergang zum 20. Jahrhundert. Er greift die prägenden Parameter des neuen Jahrhunderts mit Individualität und Subjektivität bereits auf. Das ist ja auch für die Impressionisten ein vorrangiges Anliegen, ihr eigenes Ausdrucksverlangen in die Bilder einfließen zu lassen, sich ihre Motive zu suchen und sich in der persönlichen Handschrift zu verwirklichen. Und das sind Parameter, die dann für den Expressionismus prägend sind. Also hier bereitet der Impressionismus den Weg.“

Der deutsche Impressionismus auf zwei Etagen: liebliche Akte von Christian Landenberger, vitale Stillleben und Porträts von Lovis Corinth, dampfende Lokomotiven von Hermann Pleuer und Berliner Boulevards von Lesser Ury – am Ende des Rundgangs hat sich bei soviel lichter Schönheit fast schon eine gewisse Übersättigung eingestellt. Aber eine solche Dichte muss wohl sein in einer Ausstellung, die Entdeckungen möglich machen will und publikumswirksame Präsentation mit kunsthistorischem Ehrgeiz verbindet.

Die Abgründe des Lebens, großstädtische Schattenseiten, die Begrenztheit der Provinz – all dies findet sich auf den ausgestellten Bildern nicht. Nur gelegentlich rücken Arbeiter ins Blickfeld: Brauer und Männer im Steinbruch. Sozial und politisch relevant waren vor allem die Künstlerpersönlichkeiten selber: in ihrer eigensinnigen Haltung – der Art, sich gegen obrigkeitsstaatliche ästhetische Doktrin zu stellen.

Service:
Die Ausstellung „Der deutsche Impressionismus“ ist vom 22.11.09 bis zum 28.02.10 in der Kunsthalle Bielefeld zu sehen.