Kunst und Wirkung der Entschuldigung

Es geht viel besser als „Äh, sorry!“

Auf einer rosafarbenen Wand steht in schwarzer Schrift "Sorry".
Wie sich richtig entschuldigen? In der psychologischen Forschung gibt es dazu nur wenige Hinweise, meint Christian Thiele. © Unsplash / Nick Fewings
Ein Standpunkt von Christian Thiele · 31.05.2022
„Äh, sorry“: Ob Politiker oder Privatperson, wer einen Fehler gemacht hat, tut sich oft schwer damit, sich zu entschuldigen. Warum das so ist und wie wir beim Wunsch nach Vergebung den richtigen Ton treffen, erklärt Autor und Coach Christian Thiele.
Entschuldigung, wenn ich Ihnen damit jetzt zu nahetrete, aber: Wann haben Sie sich das letzte Mal so richtig entschuldigt? Mit „so richtig“ meine ich: ehrlich gemeint, aufrichtig zerknirscht, vielleicht sogar ein Stück entsetzt von sich selbst, mit einem wirklichen Wunsch nach Vergebung und Wiedergutmachung beim Gegenüber.
Schon länger her? Kann ich gut verstehen.
Denn Entschuldigen fällt uns schwer. Aus verständlichen, aber eigentlich falschen Gründen. Die sogenannte Negativititätsverzerrung in unserem Gehirn lässt uns das Schlechte größer, alarmierender und nachhaltiger erscheinen als das Positive. Wir unterschätzen, wie wohltuend unsere – aufrichtige! – Bitte um Verzeihung bei anderen ankommt.

Eine Entschuldigung kann Klagen verhindern

Eine britische Studie zu medizinischen Kunstfehlern hat ergeben: Fast 40 Prozent der Patienten, die vor Gericht zogen, hätten dies erst gar nicht getan, wenn man sich bei ihnen für das Malheur nur ordentlich entschuldigt hätte – statt zu vertuschen, zu verharmlosen, die Schuld auf wen anders zu schieben et cetera.
Falls Ihnen also Ihre Anwältin rät, sich auf gar keinen Fall zu entschuldigen für einen möglichen Fehltritt, schaut sie oder er dabei möglicherweise eher auf den eigenen Geldbeutel als auf Ihren! Falls Sie Anwältin oder Anwalt sind und ich Sie gerade beleidigt habe: Sorry!
Es wäre gut, wenn wir alle schneller, aufrichtiger, wirksamer um Verzeihung bitten würden, wenn wir die Kulturtechnik des gepflegten Pardons stärker pflegen würden, wenn wir wirklich das täten, das der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn kurz nach Ausbruch der Pandemie im Frühjahr 2022 sagte: „Wir werden einander in ein paar Monaten wahrscheinlich viel verzeihen müssen.“

Die Schmalspurvariante lieber lassen

Eine gute Portion Selbstreflexion schadet nicht für wirksame Vergebung. Doch nur, wenn Sie wirklich Verantwortung übernehmen für Ihr Handeln, wird Ihnen geglaubt – die moderne, unter Politiker*innen gern benutzte Schmalspur-Variante („Es tut mir leid, falls mein Handeln den Eindruck erweckt haben sollte, dass…“) können Sie sich sparen.
Wie also richtig entschuldigen? In der psychologischen Forschung gibt es dazu nur wenig Hinweise. Aber ein paar Anregungen lassen sich aus der Studienlage ableiten: Schnelle Akte der Entschuldigung sind besser als späte. Ehrlich wahrgenommene sind besser als verkrampfte. Und wer wirklich Verantwortung für ein Fehlverhalten übernimmt, hat größere Chancen auf Verzeihung als diejenigen, die das Wetter, die Umstände oder die Kindheit für den Faux Pas verantwortlich machen.
Das sind für Sie Banalitäten, Selbstverständlichkeiten? Pardon, ich wollte sie nur genannt haben.

„Over Apologizing“ vermindert Vertrauen

Und sorry, wenn ich mich hier zu viel entschuldige. Eine schlechte Angewohnheit – meist machen das eher Frauen. Mit diesem „Over Apologizing“ macht man sich nur selbst klein und mindert sowohl das Vertrauen, das wir selbst in uns haben als auch das anderer in uns. Also: Lassen!

„Wir sind nicht bei der Freiwilligen Feuerwehr Süd-Giesing, sondern beim FC Bayern München“: Nach dem Ärger, den Bayern-Trainer Nagelsmann für diesen Spruch bekam, fuhr er zur Feuerwehr, im Gepäck ein FC Bayern-Trikot mit der Rückennummer 112, und entschuldigte sich auf für seine Wortwahl.
Er hat damit etwas Schlaues und Wirksames getan: die aktive Wiedergutmachung. Eine Tat, die den Willen zur Entschädigung bekundet, eine aktive Form der Bußehandlung. Das ist der tiefere Sinn hinter all den Pralinenschachteln, Blumensträußen oder Schnapsrunden, die vielleicht auch Sie schon für Missetaten aufgebracht haben. Nur wäre gut, wenn Sie sich damit nicht freikaufen wollen.

Christian Thiele ist Coach und Autor, sein Podcast „Positiv Führen“ ist auf allen großen Plattformen zu hören. Er gehört zum Trainerteam der Deutschen Gesellschaft für Positive Psychologie, ist (meist) zuversichtlicher Patchwork-Vater und lebt in Garmisch-Partenkirchen.

Porträt des Coachs und Autors Christian Thiele
© privat
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