Slavoj Zizek: "The Pervert's Guide to Cinema"

Faszinierende Analyse unterdrückter Sehnsüchte

Die Schauspieler Nicole Kidman und Tom Cruise in einer Liebesszene des Films "Eyes Wide Shut" von Stanley Kubrick
Die Schauspieler Nicole Kidman und Tom Cruise in einer Liebesszene des Films "Eyes Wide Shut" von Stanley Kubrick © picture alliance / dpa / Ipol
Von Bernd Sobolla · 05.03.2016
Der Philosoph Slavoj Zizek hat zwei große Leidenschaften: die Psychoanalyse und das Kino. In "The pervert's guide to cinema" liefert er eine faszinierende Analyse über unterdrückte Sehnsüchte und subtile Fantasien anhand wichtiger Szenen aus 40 Filmklassikern.
Ausschnitt: "Was mache ich hier? Allein in einem Boot, umgeben von erfrorenen Toten?"
Egal über welchen Film Slavoj Žižek jetzt auf DVD erschienenen "The Pervert's Guide to Cinema" spricht, der Philosoph und Kulturkritiker taucht immer im jeweiligen Filmset auf: ob in einem Rettungsboot der Titanic, am Fuße der Golden Gate Bridge, wo Kim Novak einst in "Vertigo" stand oder im Raumschiff von Andrej Tarkowskis "Solaris". Die Idee der Regisseurin Sophie Fiennes ist effektvoll und unterhaltsam und gefiel Slavoj Žižek ebenso wie der transzendente Ansatz der Filmemacherin.
Sophie Fiennes: "Mein transzendenter Ansatz ist es zu zeigen, dass wir im Kino nicht in erster Linie von der Handlung fasziniert sind, sondern dass es um etwas Subtileres geht. Dass es in bestimmten Filmen Momente gibt, die dich wirklich bewegen, verstören oder erregen – fast in einem abartigem Sinne. Das war mein Ansatz."
Slavoj Žižek fasziniert, was sich hinter den Bildern verbirgt. Seine Interpretationen sind beeinflusst von den Lehren Sigmund Freuds bzw. Jaques Lacans. Wobei er nicht das einzelne Objekt analysiert, sondern den Gesamtzusammenhang aller Dinge. So auch bei Francis Ford Coppolas Film "Der Dialog". In dem Psycho-Thriller glaubt ein Abhörspezialist, dass sich in einem Hotelzimmer ein Mord ereignet hat. Als er aber das Zimmer durchsucht, kann er keine Indizien dafür finden – bis er die Toilettenspülung drückt.
Slawoj Žižek: "Unsere Erfahrung sagt uns, dass, wenn wir die Toilettenspülung benutzen, Exkremente aus unserer Realität verschwinden, in eine andere Welt, die chaotisch und ursprünglich ist. Und es ist extrem erschreckend, wenn die Spülung nicht funktioniert und die weggedrückten Exkremente aus dieser anderen Welt plötzlich wieder auftauchen."
Der slowenische Philosoph Slavoj Zizek bei einem Vortrag in der russischen Hauptstadt Moskau, aufgenommen am 20.08.2012.
Der slowenische Philosoph Slavoj Zizek bei einem Vortrag in Moskau© imago/ITAR-TASS
Von einer Unterdrückung ganz anderer Art handelt Hitchcocks Film "Vertigo". Der Film zeigt einen Ex-Polizisten, der sich einst in eine selbstmordgefährdete Frau verliebte, ihren Tod aber nicht verhindern konnte. Als er nun eine ähnlich aussehende Frau kennenlernt, beginnt er sie zu einem Abbild der anderen zu machen. Nach Žižek sehen wir immer nur einen kleinen Teil des Menschen und versuchen, den anderen, uns unbekannten Teil, mit unserer Fantasie zu füllen.
Slawoj Žižek: "Wenn Judy gekleidet wie Madlen durch die Tür kommt, dann ist das wie eine Fantasie, die Wirklichkeit wird. Und die perfekte Bezeichnung für realisierte Fantasie ist Alptraum. Denn damit verbunden ist immer andauernde Gewalt. Genau genommen ist es ein Prozess der Demütigung."
Es ist faszinierend Slavoj Žižek bei seinen Ausführungen zuzuhören, und es gibt selten Momente, wo man ihm widersprechen möchte. Aber ob die Filmemacher, wirklich ähnliche Gedankenspiele hatten, bevor sie ihre Filme drehten? Regisseurin Sophie Fiennes glaubt, dass sich auch bei ihnen vieles unbewusst abspielt.
Sophie Fiennes: "Als Filmemacher arbeitest du intuitiv. Für mich ist Intuition eine Art Logik, die allerdings viel schneller funktioniert als die rationale Logik. Und bei jeder kreativen Arbeit läuft dieser Prozess ab. Darüber hinaus haben die Filmemacher, um die es bei uns geht, eine sehr persönlichen Stil, wie David Lynch oder Alfred Hitchcock."

Žižek über männliche Fantasien

Und dazu zählt auch Stanley Kubrick. Sein Film "Eyes Wide Shut” gehört zu den Werken, die, so Žižek, bei den Zuschauern einen Sturm der Fantasie entfachen. In dem Film gerät der New Yorker Arzt Bill in eine Krise, als sein Frau Alice ihm davon erzählt, dass sie die Idee hatte, ihn zu betrügen – ohne es jedoch zu tun. Fortan versucht Bill, Alices Fantasie nachzuempfinden. Dabei landet er auf einem Schloss, wo ein Maskenball zu einer inszenierten Orgie mutiert. Viele Kritiker mochten diese wenig erotische Orgie nicht.
Slavoj Žižek: "Aber genau darum geht es, um das Entscheidende an der männlichen Fantasie: Der Film handelt davon, dass die männliche Fantasie nicht in Einklang mit der weiblichen Fantasie zu bringen ist. Es geht um die Impotenz männlicher Fantasie und in wieweit dieses Manko die männliche Identität bedroht."
"The pervert's guide to cinema", das sind die wichtigsten Szenen aus 40 Filmklassikern, eine Analyse über unterdrückte Sehnsüchte und subtile Fantasien. Ein faszinierender cineastisch-psychologischer Crashkurs, der die Zuschauer das Sehen hinter den Bildern lehrt – nicht nur Cineasten.

DVD "The Pervert's Guide to Cinema" presented by Slavoj Zizek, GB, 2006
Regie: Sophie Fiennes, Musik: Brian Eno, Darsteller: Slavoj Zizek, 150 Min.

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