Sicherheitsdebatte nach dem Anschlag

Es müssen erstmal Fakten her

Fahndungsfotos des im Zusammenhang mit dem Terroranschlag von Berlin gesuchten Tunesiers Anis Amri hängen an der Tür der Weihnachtsmarktwache in Frankfurt am Main (Hessen).
Fahndungsfotos des im Zusammenhang mit dem Terroranschlag von Berlin gesuchten Tunesiers Anis Amri hängen an der Tür der Weihnachtsmarktwache in Frankfurt am Main (Hessen). © pa/dpa/Dedert
Von Gudula Geuther · 22.12.2016
Einfache Antworten auf die Frage nach den Konsequenzen aus dem Anschlag in Berlin gebe es nicht, kommentiert Gudula Geuther. Nicht alle 550 Gefährder könnten rund um die Uhr überwacht werden. Und Fußfesseln oder eine flächendeckende Inhaftierung berührten den Kern der Grundrechte. Die jetzige Debatte samt Schuldzuweisungen und Blockadevorwürfen sei unwürdig und in der Sache zu früh.
Es war Bundesinnenminister Thomas de Maizière, der darauf hinwies: Die ersten Forderungen nach Gesetzesverschärfungen wurden erhoben als noch nicht alle Opfer identifiziert waren. Inzwischen ist das immer noch nicht gelungen, und die Debatte ist in vollem Gang – samt Schuldzuweisungen und Blockadevorwürfen. Das ist unwürdig, und es ist auch in der Sache zu früh. Und gleichzeitig ist klar: Eine Debatte, wo möglicherweise nachzusteuern ist in der deutschen Sicherheitsarchitektur, wird es geben müssen.

Sicherheitspolitisch wurde aufgerüstet

Nur nicht so. Vieles von dem, was derzeit kursiert, sind allgemeine Rufe nach Verschärfungen oder alte Forderungen. Dabei wurde in dieser Legislaturperiode – ohne viel Parteienstreit und deshalb leiser als oft sonst – sicherheitspolitisch aufgerüstet wie selten. Wer nun weitere Forderungen erhebt, muss Lücken belegen. Wenn es echte Lücken gibt, dann müssen sie geschlossen werden.
Aber derzeit werden Versäumnisvorwürfe gerade mit Bezug zum Fall Amri erhoben, die nicht richtig sind. Beispiel sicheres Herkunftsland: Eine solche Erklärung hilft möglicherweise, um das Asylverfahren zu beschleunigen. Das war hier schnell und längst vorbei, die Abschiebung war längst versucht worden. Beispiel längere Abschiebehaft: Daran scheiterte die Rückführung nicht, sie scheiterte offenbar an der mangelnden Kooperation Tunesiens. Diese Haft kann im Extremfall 18 Monate dauern – nur sah im konkreten Fall die Ausländerbehörde die Voraussetzungen nicht als gegeben an.
Es sollte jetzt nicht darum gehen, alte Wunschzettel zu präsentieren. Das ist auch gar nicht nötig, schließlich zeigt sich am Fall Amri deutlich genug das Dilemma, an dem zu arbeiten sein dürfte – und zwar unabhängig davon, ob er die Tat begangen hat oder nicht. Zum einen wirft er ein Schlaglicht auf das altbekannte Problem: Wohin sollen die Behörden abschieben, wenn der Herkunftsstaat die Person nicht aufnehmen will? Hier arbeiten Bundesregierung und EU schon länger an neuen Vereinbarungen.
Zum anderen wirft der Fall ein Schlaglicht auf den Umgang mit Gefährdern in Deutschland. Auch das Problem ist altbekannt. Möglicherweise aber zeigt es sich in neuem Licht. Klar ist: Nicht alle 550, die das Bundeskriminalamt in seiner Datei hat, können rund um die Uhr überwacht werden, und einfache Antworten gibt es nicht. Wer Fußfesseln für alle oder flächendeckende Inhaftierung für diesen Personenkreis fordert, dem ja gerade keine Straftaten vorgeworfen werden, berührt den Kern der Grundrechte. So geht es nicht.

Wie konnte Amri vom Radar verschwinden?

Aber damit kann es hier nicht getan sein. Wenn es stimmt, dass sich Amri nach Wertung der Behörden als Selbstmordattentäter angeboten hat, können es Sicherheitsbehörden nicht hinnehmen, dass er vom Radar verschwindet. Auch hier müssen erstmal Fakten her. Wie konkret war diese Sorge? Wussten die deutschen Behörden von möglichen Gewalttaten im Ausland?
Der Fall Amri war mehrfach Thema im Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum. Trotzdem wird zu fragen sein, ob im konkreten Fall der Informationsaustausch klappte, oder ob es hier doch noch Probleme gibt. Vor allem wird wieder einmal zu fragen sein: Was kann die Polizei in den Ländern mit ihrem Personal leisten? Auf dieser Basis wird es dann Antworten geben müssen.

Gudula Geuther, Jahrgang 1970, studierte Rechtswissenschaften in München und Madrid. Nach Abschluss des Referendariats berichtete sie vom Rechtsstandort Karlsruhe erst unter anderem für Reuters und die taz, dann für das Deutschlandradio. Nach kurzer Zeit als Deutschlandradio-Landeskorrespondentin in Hessen arbeitet sie heute als Korrespondentin für Rechts- und Innenpolitik im Deutschlandradio-Hauptstadtstudio.

© Deutschlandradio / Bettina Straub
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