Elif Shafak: "Das Flüstern der Feigenbäume"

Eine Liebe im Zypernkonflikt

06:09 Minuten
Buchcover des Romans "Das Flüstern der Feigenbäume" von Elif Shafak
© Kein & Aber

Elif Shafak

Übersetzt von Michaela Grabinger

Das Flüstern der FeigenbäumeKein & Aber, Zürich 2021

521 Seiten

25,00 Euro

Von Ingo Arend · 01.12.2021
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In "Das Flüstern der Feigenbäume" erzählt die für den Booker Prize nominierte Autorin Elif Shafak von einer Liebe zwischen einer Türkin und einem Griechen auf der geteilten Insel Zypern. Eine bittersüße Liebesgeschichte, bisweilen am Rande zum Kitsch.
Können Bäume reden? Noch vor ein paar Jahren klang eine solche Frage esoterisch. Heute entdecken alle die geheime Sprache der Pflanzen. Vielleicht es also kein Zufall, dass in Elif Shafaks jüngstem Roman ein Feigenbaum der Beredtste der Protagonisten und Protagonistinnen ist.
Einerseits fungiert der über hundert Jahre alte Baum als Symbol für das Verbindende. Unter seinen Fittichen trifft sich heimlich das zentrale Paar des Werks: Bei Shafak heißen Romeo und Julia Kostas und Defne, Grieche der eine, Türkin die andere.
In ihrer Heimat Zypern dürfen sie kein Liebespaar sein. Im Schatten des Baumes trifft sich auch das bunte, kosmopolitische Völkchen der Taverne „Die glückliche Feige“, das dem schwulen Paar Yiorgos und Yusuf gehört.  
Zugleich fungiert der Feigenbaum als Symbol von Heimat und Entwurzelung. Dem blutigen Bürgerkrieg auf Zypern in den 70er-Jahren fallen nicht nur die Wirte zum Opfer, er entzweit auch die Liebenden.

Im Schatten der Feige

Viele Jahre später sehen sie sich auf der Insel wieder. Kostas ist Pflanzenforscher, Defne arbeitet bei einem Komitee, das den verschwundenen Toten des Krieges nachspürt. Sie heiraten, ein Ast der Feige wandert als Steckling mit in ihre neue Heimat London.
Unter ihren Blättern wächst ihre Tochter Ada auf. Die nie offen besprochene Geschichte ihrer Eltern bricht sich eines Tages in einem irren Schrei des verschlossenen Mädchens in der Schule Bahn.
Erst als ihre Tante Meryem nach Defnes Tod Kostas und Ada in London besucht, dringt langsam Licht in das Dunkel des Familiengeheimnisses.
Halb Märchen, halb Thriller: Elif Shafak hat einen überaus komplexen Roman geschrieben. Mit einer bittersüßen Liebesgeschichte transportiert sie nicht nur die Geschichte der Teilung Zyperns, sondern auch Diskurse wie Flucht und Emigration, Erinnerung und Vergessen, Nationalismus und Krieg, Normalität und Abweichung.

In der Nähe des Kitsches

Das Erfolgsrezept der streitbaren Autorin, die in vielen Essays unablässig gegen Unrecht und Diktatur ficht, macht aus, dass sie diese brisanten Themen mit einem lindernden Balsam aus Melodramatik, Naturromantik und moralischer Erbauung umgibt.
So blumig wie sie Landschaften, Gerüche und Speisen der mediterranen Kultur beschreibt, scheint das einem Touristenprospekt entlehnt. Wenn sie Defne Kostas bei ihrem ersten Liebestreffen als einen Jungen erleben lässt, "der so sanft wie der Tau des neuen Morgens" war, gerät sie auch schon mal in die Nähe des Kitsches.

Nichtmenschliche Perspektive

Im Kern ist "Das Flüstern der Feigenbäume" neben dem Plädoyer für Gemeinsamkeit und Dialog aber auch ein Roman im Bann des Anthropozän. Denn der menschlichen Perspektive in Gestalt der wechselnden Ich-Erzähler stellt Shafak mit der redseligen Feige die nichthumane gegenüber.
Ihr Wissen aus Botanik und Mythos klingt etwas angelesen – oder sie kommt reichlich altklug daher. "Wer seine Heimat verlässt und ins Unbekannte zieht, macht dort nicht nahtlos weiter wie zuvor. Ein Teil von einem stirbt innerlich ab, damit ein anderer Teil neu beginnen kann", sinniert das leidgeprüfte Gewächs einmal melancholisch.
Aber die Message ist klar: Bäume sprechen nicht nur. Sie sind die Zeugen der Geschichte, sind solidarisch in der Not. Sie respektieren die Gesetze der Ökosphäre, sind die Schirmherrinnen der Artenvielfalt. Kurzum: Sie sind die besseren Menschen.

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