Sexarbeit und #MeToo

Grenzen setzen und Nein sagen können

07:25 Minuten
Eine Frau vor einer Holzwand hat ihre Hand zu einer Stopp-Geste ausgestreckt, und verdeckt so ihr Gesicht.
Ein Nein muss gelten: Überraschungsmomente, wie sie in anderen Branchen vorkommen, gibt es bei der Sexarbeit eher weniger. © imago images / Panthermedia / YesPhotographers
Von Esther Schelander · 07.07.2020
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MeToo hat es gezeigt: Sexualisierte Übergriffe am Arbeitsplatz sind weit verbreitet. Aber sind diese bei der Sexarbeit häufiger als in anderen Berufen? Nicht unbedingt, weil hier in der Regel ausdrücklich über Wünsche und Grenzen verhandelt wird.
"MeToo ist eine interessante Parallele, dass gerade eben die Frauen, die keine Hure sein wollten, ebenso behandelt werden, wie man denkt, dass Huren behandelt werden", sagt Salome Balthus. Sie arbeitet als Escort in Berlin.
"Ich glaube, dass viele Vorurteile gegenüber der Prostitution eben genau darin beruhen, dass Menschen glauben, als Hure müsste ich mit allen schlafen, die dafür bezahlen, und ich müsste alles mit mir machen lassen, was die dann wollen", erklärt sie.

"Ich war noch nie in so einer Situation"

Am Telefon sprechen wir über die MeToo-Bewegung. Darüber, dass sexualisierte Übergriffe in allen möglichen Branchen vorkommen. Dass es dabei häufig ums Überrumpelt-Werden geht und immer um Macht.
"Ich war noch nie in so einer Situation", sagt sie, "in der ich dachte: Also gut, jetzt muss ich mal hier diese Grenzüberschreitung zulassen und erdulden, und hinterher fühle mich schlecht, aber das muss jetzt sein, weil ansonsten bekomme ich den Job halt nicht oder ich stehe meiner Karriere im Weg."
Einen MeToo-Moment hatte Salome Balthus bei der Arbeit also noch nicht. Das ist nicht verwunderlich, meint Anna Hoffmann. Sie ist Sexarbeiterin und im Vorstand von Hydra, einem selbstorganisierten Verein von Prostituierten.
"Und diese Überraschungsmomente, wie sie der Filmbranche passieren, das gibt es bei uns sehr viel weniger. Und meiner Meinung nach sind viele Sexarbeiterinnen ein ganz großer Teil davon, MeToo-Debatten irgendwann einfach nicht mehr führen zu müssen. Weil wir uns selber und unseren Kunden beibringen, wie man einvernehmlich Sex hat und wie man einvernehmlich klärt, was denn passieren soll und was nicht."
Wie das geht, lernen angehende Sexarbeiter*innen von erfahrenen Kolleg*innen. Bei Hydra gibt es dafür eine eigene Peer Group.

Explizite Verhandlungen beim bezahlten Sex

"Wir lernen von Anfang an, wenn wir arbeiten, ganz explizit zu verhandeln", erklärt sie. "Was wird passieren? Wie lange wird es dauern? Und wie viel kostet das? Und das ist ja was ganz Wichtiges und Kostbares. Dieses ganz explizite Aussprechen: Was geht? Was geht nicht? Was sind die Grenzen?"
Die Fähigkeit, über sexuelle Wünsche zu sprechen, Grenzen zu setzten und zu halten, tragen Sexarbeiter*innen in die Bordelle und Laufhäuser, in die BDSM-Studios und auf den Straßenstrich. Sie tragen sie zu den Kundinnen und Kunden. Und manchmal auch noch ein Stück weiter.
"Es passiert ja auch glücklicherweise immer mehr", erzählt Anna Hoffmann, "dass an Seminaren und Workshops, die Sexarbeiter*innen anbieten, Leute teilnehmen, obwohl sie gar nicht in der Branche arbeiten. Das passiert glücklicherweise immer mehr, dass unsere charmanten und humorvollen, aber auch sehr taffen Strategien, mit Grenzüberschreitung umzugehen, das ist etwas, was wir gerne mit allen anderen Menschen teilen und das ist etwas, wovon wirklich alle profitieren könnten."
Solche Workshops veranstalten in Berlin die Sexarbeiterin Emilian Walter und der Sexshop Other Nature. Aber lassen sich dadurch sexualisierte Übergriffe verhindern? Nein. Denn diese finden statt, wenn Menschen Grenzen missachten und überschreiten. Dabei spielt das Umfeld eine maßgebliche Rolle.
Darüber spreche ich mit Christian Schmacht. Er ist Sexarbeiter, trans und Autor des Buches "Fleisch mit weißer Soße".
"Ich kenne das in der Sexarbeit eben durch den Betrieb, das Bordell, das Laufhaus auch teilweise. Ich glaube, im Stripclub kann es auch so sein, dass man sich gegenseitig stärkt", sagt er.

Eine stärkende Gruppe im Hintergrund hilft

Ein ausgesprochenes Nein muss von der Gemeinschaft, innerhalb der es gegeben wird, getragen werden.
"Das Nein ist nur möglich, weil ich weiß, ich bin hier zwar alleine im Zimmer mit einem Kunden, aber ich habe in meinem Hintergrund eine Riesengruppe an Sexarbeiter*innen, die hinter mir steht", erklärt Christian Schmacht. "Die da vielleicht warten, dass ich da wieder rauskomme, und die wissen wollen, wie es war mit dem Kunden und ob alles in Ordnung war oder eben auch nicht.
Wenn ich aber in einem Betrieb bin, wo ich weiß, wenn es Probleme gibt, krieg ich Ärger, vielleicht flieg ich sogar raus, dann habe ich eben viel weniger Möglichkeiten, Nein zu sagen und es auch durchzusetzen."
Manchmal gibt es zwar ein bestimmtes Verbot, doch in der Praxis wird das Verhalten toleriert, vielleicht sogar gefeiert. Das passiert, wenn zum Beispiel nach einer Vergewaltigung auf dem Unicampus von einem begabten Studenten und einem dummen Fehler gesprochen wird.
Die Haltung transportiert sich.
"Und in der Praxis ist es so, dass die Kunden das auch wissen", sagt Christian Schmacht. "Also es geht rasend schnell, dass die erzogen werden, sag ich mal, dass die wissen, hier in diesem Laden, in diesem Bordell kann ich mir das erlauben und in einem anderen Bordell vielleicht zwei Straßen weiter, da geht es nicht, weil da die Leute auf Zack sind und zusammenhalten und mir die Hölle heiß machen, wenn ich mir was erlaube."
Der Rückhalt ist in manchen Bordellen also gegeben. Er macht es möglich, sich gegen Übergriffe zu wehren. In der Öffentlichkeit finden Sexarbeitende diesen Rückhalt oft nicht. Das liegt daran, dass sie häufig als Opfer gesehen werden.
"Wir stehen unter einem riesigen Druck, weil wir von allen Seiten beäugt werden, kritisiert werden, kriminalisiert werden, dass wir, wo wir nur können, sagen müssen: Hey, wir sind Mega empowert, diese Arbeit ist die sexuelle Befreiung, und wir sind auch total reich und glamourös. Und das ist natürlich nicht der Fall."

Wenig Hoffnung auf die Politik

Das macht es schwer, Probleme zu thematisieren, sagt die Sexarbeiterin und Aktivistin Ruby Rebelde:
"Wenn ich mit Politiker*innen spreche, dann merke ich ganz häufig, wie weltfremd sie den Bereich Sexarbeit betrachten. Jetzt frage ich ganz ehrlich, wenn ich in einem Gespräch mit eine*r Politiker*in, die mir schon im ersten Satz den Eindruck vermittelt, dass die nichts weiß, wenn ich dann anfange über eine Situation zu sprechen, wo ein Gast ein Nein nicht beachtet hat. Dann muss ich doch total befürchten, dass bei dieser Person ein Bild im Kopf entsteht, was mir überhaupt nicht weiterhilft."
Die Stigmatisierung der Branche führt dazu, dass Sexarbeitende wichtige Themen gar nicht erst ansprechen. Themen zu Sicherheit und Schutz. Gleichzeitig sind Sexarbeitende schon lange Expert*innen im Umgang mit sexualisierten Übergriffen. Sie haben Tools und Strategien.
Diese kann man lernen, um sexuelle Wünsche und Grenzen zu benennen. Wenn viele Menschen das können, dann entsteht vielleicht eines Tages ein Umfeld, dass zusammenhält und Gewalt verurteilt.
Dazu noch einmal Christian Schmacht: "Was würde das bedeuten, eine so kollektive Macht aufzubauen - wie ich das jetzt vom Bordell schildere - was würde das heißen? Was würde das bedeuten für die private Sexualität, die nicht bezahlte Sexualität von Leuten, wenn sie wüssten, wenn hier was schiefgeht, dann habe ich aber ein Team was mir den Rücken stärkt und sich für mich einsetzt und wenn das auch das Gegenüber weiß."
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