Sexarbeit in der Pandemie

Die Anrufe der Freier bleiben aus

05:02 Minuten
Sexspielzeug steht in einem Studio in einem Schrank.
Auch das Geschäft mit dem Sex leidet in Coronazeiten. © picture-alliance/dpa/Sebastian Gollnow
Von Axel Schröder  · 28.12.2020
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Wer von Sexarbeit lebt, muss im harten Lockdown andere Wege suchen, Geld zu verdienen. Josefa Nereus hat einen YouTube-Kanal mit 30.000 Abonnenten, der ihr durch die Coronakrise hilft und ist damit eher privilegiert.
Josefa Nereus muss aussetzen. Auch wenn in ihrem Hamburger Arbeitszimmer alles an seinem Platz ist. Alle Utensilien, die in ihrem Arbeitsalltag zum Einsatz kommen können, hängen feinsäuberlich über ihrem Bett. "Das ist einmal so eine weiche Wolle", sagt sie "Total schön fühlt sich das auf der Haut an, Felle und da hinten hängt auch so ein Lederflogger, das sind einzelne Wildlederriemen. Oder hier eine Bürste. Damit spiele ich dann und verwöhne die Menschen. Wie in jedem guten Handwerk braucht man auch hier natürlich gutes Werkzeug!"
Den Einblick in ihre Arbeitsstätte gewährt Josefa nur per Videochat. Als Independent Escort durfte sie wie alle anderen Sexarbeiterinnen schon im ersten Corona-Lockdown kein Geld verdienen.
Aber sie hatte noch Glück: Weil sie nicht allein mit dem Sexverkauf ihr Geld verdient, sondern auch einen YouTube-Kanal mit immerhin 30.000 Abonnenten betreibt, konnte Josefa Anfang des Jahres die Corona-Soforthilfe beantragen. "Darüber hinaus konnte ich noch Grundsicherung für ein halbes Jahr beantragen und habe die auch bekommen, was einen Teil der Kosten tatsächlich gedeckt hat", so Josefa. "Dann hieß es, kreativ zu sein und sich Wege zu überlegen, wie ich da langfristig etwas Anderes, etwas Neues draus machen kann."

Ausweichen auf Videos

Bei unserem letzten Interview im ersten Lockdown stand für Josefa fest: Live-Sex vor der Kamera kommt für sie nicht infrage. Und eigentlich ist das auch so geblieben. Auch wenn sie nun Filme von sich zum Kauf anbietet. "Das ist natürlich auch eine Möglichkeit, einen Strom von Menschen auf meine Homepage zu bringen, wo ich mich jetzt doch dazu entschieden habe, Videos von mir zu verkaufen, in denen ich Teile meiner Sexualität präsentiere." Am Anfang sei ihr das nicht ganz geheuer gewesen. "Wenn ich mir allerdings angeguckt habe, welche Alternativen ich dazu habe, war das tatsächlich das, was für mich am tragbarsten war."
Die Drehbücher für die rund zehn Minuten langen Filme schreibt Josefa selbst. Zu sehen ist, gegen eine Gebühr von 35 Euro, nur sie selbst: beim Ausziehen, beim Dirty Talk, beim Masturbieren. Wichtig war ihr, das Angebot ohne die Hilfe großer Plattformen an den Mann und die Frau zu bringen, so gut es geht die Kontrolle zu behalten. "Es ist auch ein sehr kreativer Prozess. Ich kann mir jetzt die Frage stellen: Was für Pornografie würde ich eigentlich gerne sehen? Wie gestaltet die sich? Und das ist auch eine kreative Aufgabe!"

Viele Freier sind verunsichert

Mit den Filmen verdient sie zwar nicht so viel wie mit der Sexarbeit in Vor-Corona-Zeiten. Aber es ist eine Einnahmequelle, die besser als gedacht sprudelt. Die Anrufe von Freiern, die sich mit ihr trotz des gerade geltenden Prostitutionsverbots treffen wollen, bleiben dagegen aus. "Den meisten Menschen ist tatsächlich gerade nicht danach, die sind sehr verunsichert." Wer sich jetzt melde, gehöre eher zu einer Kundschaft, die sie sonst abweise. "Das sind dann keine lieben netten Menschen, die dir Angebote machen."
Gegenüber vielen anderen Sexarbeiterinnen und -arbeitern hat Josefa dabei einen Riesenvorteil: Sie geht schon seit Jahren offen mit ihrem Beruf um, ist im "Bundesverband erotischer und sexueller Dienstleistungen" organisiert, hält Vorträge auf Tagungen, gibt Radio- und Fernsehinterviews.
Dieses Privileg des selbstbestimmten Arbeitens haben viele andere Sexworker nicht. Im Gegenteil: Dort, wo die Arbeitsverhältnisse schon vor der Coronakrise prekär waren, beispielsweise rund um den Hansaplatz am Hamburger Hauptbahnhof, dort sind die oft drogenabhängigen Sexarbeiterinnen nun mehr Gewalt ausgesetzt als früher - durch Männer, die die Not der Frauen in der Krise ausnutzen wollen.
"Das habe ich auch bei mir schon bemerkt", sagt Josefa. "Es melden sich Leute so nach dem Motto: 'Du brauchst doch jetzt Geld! Jetzt können wir mal über das reden, was du mir vor zwei Jahren noch ausgeschlagen hast!' Das ist keine Verhandlung auf Augenhöhe. Das ist eine Katastrophe!"

Dieser Beitrag ist Teil einer Reihe in der Sendung Kompressor zum Thema "Kultur im Abseits".

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