Mord und Lügen im Immobilienporno
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Die Miniserie "The Undoing" erzählt von einem brutalen Verbrechen in einer Wohlstandsblase. Nicole Kidman und Hugh Grant spielen routiniert bekannte Rollen mit kleinen Abgründen. Neue Perspektiven liefert die Serie aber nicht.
Elena Alves gehört im Umfeld einer noblen New Yorker Schule zu den wenigen nicht wohlhabenden Eltern. Eines Morgens wird sie erschlagen aufgefunden.
Die anderen Eltern bzw. Mütter (denn Väter werden im Schulleben ihrer Kinder als abwesend dargestellt), die Elena sowohl aufgrund ihrer Klassenzugehörigkeit als auch aufgrund ihrer Jugend und Schönheit als Eindringling und als Bedrohung behandelt haben, sind schockiert. Und sie werden noch schockierter, als sich abzeichnet, dass das brutale Verbrechen von einer Person aus ihrer Mitte begangen worden sein könnte.
Unangenehme Wahrheiten
Nicole Kidman spielt Grace Fraser, eine Psychotherapeutin und Mutter des zwölfjährigen Henry. Als sich herausstellt, dass Graces Mann Jonathan (Hugh Grant) eine Affäre mit Elena hatte, beginnen die Fundamente ihres Lebensentwurfes und ihres Selbstverständnisses zu wanken. Ist Jonathan, wie die Polizei glaubt, nicht nur ein untreuer Ehemann, sondern der Mörder von Elena Alves?
In "The Undoing" geht es um Lügen, die man anderen erzählt, aber vor allem auch Lügen, die man sich selbst erzählt, um sein Leben und sein Ego zu schützen. Die HBO-Miniserie zeigt Auflösungserscheinungen, zu den es kommen kann, wenn eine unangenehme Wahrheit sich nicht mehr verdrängen lässt: "Undoing" heißt Verderben, "to come undone" heißt auseinanderfallen.
Melodramatische Seifenoper
Die Serie ist eine Seifenoper mit hohem Produktionswert. Es geht um überraschende Wendungen, Doppelleben und Geheimnisse. Der emotionale Ton ist melodramatisch.
Fast alle Protagonistinnen und Protagonisten sind märchenhaft reich. Es geht also um existenzielle und extravagante Probleme in luxuriösen Appartements und Garderoben – "real estate porn", wie man im Englischen so schön sagt, also Immobilienpornografie.
Liebevoll fährt die Kamera die samtigen Oberflächen von edlen Möbeln in weitläufigen Grundrissen ab. Alles ist sehr geschmackvoll und kultiviert; die Figuren spielen in ihrer Freizeit gemeinsam Barockmusik und sammeln Kunst.
Wohlstand wird romantisiert
Graces Job als Therapeutin muss nicht einmal ihre Rechnungen zahlen. Ihr Vater (Donald Sutherland) ist so reich, dass er unantastbar ist.
Diese zum Teil offene Romantisierung dynastischen Wohlstandes unterscheidet die Serie von "Big Little Lies", die wie "The Undoing" von David E. Kelly produziert wurde und viele ästhetische und narrative Parallelen aufweist. Dazu gehört, dass Nicole Kidman mitspielt, als Frau, am Rande ihrer Kräfte, die versucht, sich selbst zusammenzuhalten.
Grant und Kidman kommentieren sich selbst
Hugh Grant spielt zwar die gleiche Figur wie immer, findet darin aber interessante Abgründe: Der Gentleman ist eine Masche. Was darunter liegt, blitzt in Momenten durch, in denen die Beherrschung verloren geht.
Auch Kidman spielt in "The Undoing" eine Rolle, in der man sie kennt. Auch sie scheint, zugleich einen subtilen Kommentar auf diese Rolle zu liefern: Ätherisch und alterslos schwebt sie in langen Seidenkleidern und elfenhaften Kaputzenmänteln durch die Geschichte. Sie reagiert feinfühlig und dünnhäutig auf die Gewalt, die in ihr Leben einbricht.
Mit allen juristischen Mitteln
Grace ist ein bisschen das, was man im US-amerikanischen Diskurs eine "Karen" nennt, ein viel diskutiertes Meme, das für weiße wohlhabende Frauen steht, die ihre eigenen Bedürfnisse zum Teil skrupellos gegen weniger privilegierte Personen durchsetzen.
Grace nimmt in Kauf, dass ihr Selbstbetrug und ihr Festhalten daran anderen schadet, vor allem der Familie der ermordeten Elena, die in den Fokus der Ermittlungen gerückt wird, weil Grace und Jonathan sich mit allen juristischen Mitteln zur Wehr setzen.
Aus der Perspektive der Reichen
Eine Kritik an dem geschlossenen Millieu der Reichen ist die Serie deswegen noch nicht. Keine Frage: Die Reichen kommen nicht gut weg. Zugleich sehen wir die Geschichte nur aus ihrer Perspektive. Elena, ihr Mann Fernando und ihr Sohn Miguel haben wenig Raum, wir lernen sie im Grunde gar nicht kennen – und das obwohl sie direkter von der Tragödie betroffen sind.
Ihr Leid, ja ihre Existenz wird nur im Bezug auf die Welt von Grace und Jonathan gezeigt – und hier vor allem als Bedrohung. Damit reproduziert die Serie Teile der Ordnung, die sie möglicherweise zu kritisieren beabsichtigt.
"Guilty pleasure" im Pandemiewinter
Der Umgang mit race ist ebenfalls schwierig. Elena, die als Latina gecoded zu sein scheint, wird von der weißen italienischen Schauspielerin Matilda de Angelis gespielt. Außerdem ist man als Zuschauerin eingeladen, den dekadenten Lifestyle zu genießen, von den Wohnungen zu träumen, von der Kleidung, dem Schmuck, den Gemälden und Möbeln sowie von der Macht, juristisch unantastbar zu sein.
Trotzdem: Es ist Winter in einem Pandemiejahr, ein bisschen guilty pleasure sollte erlaubt sein. Allzu ernst sollte man die Serie jedoch nicht nehmen, wenn man sie schaut.