Semra Ertan: Mein Name ist Ausländer
Edition Assemblage, 2020
240 Seiten, 18 Euro
Politische Poesie und Selbstverbrennung
10:59 Minuten
Im Mai 1982 verbrannte sich die Lyrikerin Semra Ertan selbst. Zu Lebzeiten hatte sie politische Gedichte geschrieben, gegen Rassismus und Kapitalismus. Erst jetzt ist ihre Poesie erschienen. Sie sei noch immer aktuell, sagt die Autorin Fatma Aydemir.
Kurz vor ihrer Selbstverbrennung hatte Semra Ertan noch beim NDR und beim ZDF angerufen, aus ihrem Gedicht "Mein Name ist Ausländer" gelesen und gefordert: "Ich möchte, dass Ausländer nicht nur das Recht haben, wie Menschen zu leben, sondern auch das Recht haben, wie Menschen behandelt zu werden. Das ist alles. Ich will, dass die Menschen sich lieben und akzeptieren. Und ich will, dass sie über meinen Tod nachdenken." Am 24. Mai 1982 verbrannte sich die 25-Jährige in Hamburg selbst.
"Generell ist die Dichterin einfach vergessen oder verdrängt worden", sagt die Autorin Fatma Aydemir, für deren eigenes literarisches Schaffen die Texte Semra Ertans wichtig sind. "Ihre Texte zu entdecken war für mich als Schriftstellerin ein richtiges Erweckungserlebnis." Die sehr politischen und antifaschistischen Gedichte von Ertan hätten sie sehr inspiriert, sagt Aydemir.
"Themen, die bis ins Heute greifen"
Sie sieht in Ertans Werk Anschlusspunkte im Heute, deswegen gebe es auch die Wiederentdeckung ihrer Texte. "Zu ihren Lebzeiten, also vor knapp 40 Jahren, war natürlich die politische Teilhabe von Migranten und Migrantinnen sehr viel begrenzter", so Aydemir.
Ertans Gedichte handelten viel von Freiheit und Unabhängigkeit. "Das sind große Themen, die natürlich zeitlos sind und bis ins Heute greifen", sagt Aydemir. Es gehe auch viel um die Auflehnung gegen Faschismus und Kapitalismus. "Das sind Kämpfe, die wir heute immer noch austragen", sagt Aydemir. Für sie sei ein wichtiger Punkt in Ertans Werk, "zu sehen, dass Poesie, dass Literatur wunderschön und gleichzeitig politisch sein kann."
Fast 40 Jahre nach ihrem Tod haben Ertans Angehörige ihre Poesie nun herausgegeben. "Die Texte waren scheinbar einfach 40 Jahre in einem Koffer verschlossen. Und jetzt erst ist die Zeit da, das veröffentlichen zu können und auch einen Verlag zu finden, der das veröffentlichen möchte. Ich glaube, dass das auch nicht so einfach ist, wie man denkt", so Aydemir.
Kein akademischer Background
Sie glaubt, dass Ertans Stimme in der heutigen Zeit "wahnsinnig wichtig" gewesen wäre. Ertan sei nicht die erste und einzige Migrantin aus der Türkei, die geschrieben habe, der Unterschied aber sei, dass sie nicht aus einem akademisch-künstlerischen Background kam. Ertan kam aus einer Arbeiterfamilie und habe unter sehr prekären Bedingungen gelebt, was sich "sehr ehrlich und sehr wahr in ihren Gedichten und Texten widerspiegelt", so Aydemir.
Bis heute spiele es nicht nur eine Rolle, aus welchem Land die Eltern kommen, sondern auch, aus welchem sozialen Kontext man komme, da " bestimmte Kulturschaffende aufgrund ihrer Herkunft immer noch abgewertet werden", sagt Aydemir.
(nho)