Seelsorge bezahlt vom Gegner

Von Michael Hollenbach · 03.12.2011
Für den Strom müssen Dörfer weichen: In der Oberlausitz werden für Braunkohletagebau Menschen umgesiedelt. Die evangelische Kirche will mit einer Seelsorgerin das Leid lindern. Finanziert wird die Stelle vom Energiekonzern, der die Kohle abbaut.
"Fürbittengebet: Wir denken auch an die, die gerade schon umgezogen sind, und die die Kraft brauchen für die Menschen, mit denen sie leben, und die manchmal so gar keine Kraft mehr haben, die Häuser auszuräumen."

Jeden Dienstagmittag hält Pfarrerin Antje Schröcke eine Andacht. Doch nur wenige Christen sind in die Kirchenscheune im Ort Schleife gekommen. Die Seelsorgerin, die für jene Menschen zuständig ist, die ihre Häuser, ihre Dörfer wegen des Bergbaus verlassen müssen, hat keine leichte Aufgabe. Die Dorfgemeinschaften lösen sich auf. Einige der Betroffenen nehmen die Entschädigungen von Vattenfall gern an, um einige Kilometer weiter ein neues Haus zu bauen. Andere wollen ihr Dorf auf keinen Fall verlassen, wie Edith Peng aus Rohne:

"Ich würde erst einmal den Bagger anhalten."

Die 73-Jährige wirft ihren Nachbarn vor, sich vom Energieriesen kaufen zu lassen:

"Unsere Menschen sind so manipuliert, dass für die nur Geld zählt. Umwelt, das ist eine Sache, naja, da können sich die anderen drum kümmern."

Auch mit der Haltung der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz ist Edith Peng unzufrieden. Denn Pröpstin Friederike von Kirchbach spricht nur von einem Einstieg in den Ausstieg aus der Braunkohleförderung:

"Ich glaube, dass wir die Arbeitsplätze nicht übersehen können und die Bedeutung einfach des großen Wirtschaftsträgers vor Ort. Aber dennoch würde ich sagen, dass wir nun mal als Kirche den Auftrag zur Bewahrung der Schöpfung als Schwerpunkt haben, dass wir auch diejenigen sind, die klar die Stimme erheben müssen und sagen, was tut ihr unserer Umwelt eigentlich an. Das ist unsere Aufgabe, wir sollten dabei aber auch realistisch sein. Ich denke, Illusionen zu nähren, bringt niemanden etwas."

Keine Illusionen zu nähren, das bedeutet für Werner Karg, dass er sich mit der Umsiedlung abfinden soll. Karg ist Mitglied des Kirchenrates in Schleife und wohnt wie Edith Peng in Rohne, einem der Dörfer, die demnächst verschwinden werden.

"Das ist auch ein Problem, was durch die Familien geht, was durch die Generationen und durch das Dorf geht, es ist so, dass das Schicksale von Familien sind, wo viele Meinungen aufeinanderprallen."

Der 53-Jährige musste bereits als Jugendlicher seinen Heimatort Mühlrose verlassen. Er weiß, was eine Umsiedlung bedeutet:

"Von daher kann ich eigentlich auch ermessen, was auf dieses Dorf Rohne jetzt zukommt. Wenn jetzt ein ganzes Dorf dieses Schicksal erleidet und erkennen muss, mit Entschädigung und Geld ist es nicht geregelt. Es schreit noch vieles in der Seele nach dem, was da verloren gegangen ist. In den Jahren später hatte ich immer die Sehnsucht, zurück nach Mühlrose zu wollen. Und wenn ich dann durch mein Dorf gehe und die alten Straßen gehe, und es gibt noch den Weg nach meinem Zuhause, und wenn ich dann den Weg gehe, komme ich an eine Grenze und dann ist schlagartig Schluss. Dann plötzlich steht man an der Tagebaukante und da ist dann ein großes gähnendes Loch. Es geht nicht weiter."

Pfarrerin Antje Schröcke, die seit eineinhalb Jahren ihren Dienst versieht, will den Menschen in ihrer Trauer um den Verlust der Heimat beistehen:

"Das habe ich von Anfang gesagt, das ist klar: So eine Stelle, das ist eine an der Seite der Menschen."
Doch oft sitzt die Seelsorgerin nicht an der Seite der Menschen, sondern zwischen den Stühlen. Sie räumt ein, dass sie eher selten von Menschen aufgesucht wird, die ihren Kummer mit der Seelsorgerin teilen wollen.

"Ich bin für alle hier Betroffenen zuständig. Ich sage dann immer Allparteilichkeit, aber in dem Sinne, wo es die Menschen, die hier wohnen, betrifft."

Allerdings: Bezahlt von Vattenfall, aber im Auftrag ihrer Kirche ist die Pfarrerin zuständig für jene, die trauern, und für jene, die sich auf ihr neues Haus freuen; für jene, die mit der ganzen Dorfgemeinschaft umziehen wollen und für jene, die allein vor Gericht ziehen, um möglichst hohe Entschädigungen herauszuholen.

Für alle ein großes Thema sei das Abschied-Nehmen, sagt Antje Schröcke. Und für diesen Abschied müsse man neue Rituale entwickeln. Manfred Hernasch, Sprecher der Sorben in der Region, beschreibt so ein Ritual:

"Wir haben im vergangenen Jahr im Ort Mühlrose Abschied von der "Protestantin" genommen, das ist eine Tanne, die damals gepflanzt wurde aus Anlass der Reformation, die ist jetzt zwar schon umgefallen durch den Zahn der Zeit, aber sie hat eben Abkömmlinge und einer dieser Abkömmlinge wurden den zukünftigen Umsiedlern übergeben, damit die Protestantin mit den Menschen mitzieht."

Dass diese Arbeit der Kirchenfrau von dem Energieunternehmen Vattenfall bezahlt wird, von dem Unternehmen, das für die Umsiedlungen verantwortlich ist, darüber ist Kirchenrat Werner Karg nicht so glücklich, aber er drückt sich vorsichtig aus:

"Es könnte zu Unmut führen und zu Vermutungen, aber es ist einfach so, ich kann damit leben."

Ein Sprecher des Energiekonzerns, der die Stelle für sechs Jahre finanziert, hebt hervor, keinen Einfluss auf die Arbeit der Seelsorgerin zu nehmen. Und Pfarrerin Antje Schröcke betont, sich nicht von Vattenfall kaufen zu lassen. Die Berliner Pröpstin Friederike von Kirchbach bestreitet, dass die Glaubwürdigkeit einer Seelsorgerin darunter leidet, wenn sie von einem Energiekonzern bezahlt wird:

"Ich finde das angemessen. Das ist eine Wahrnehmung einer gemeinnützigen Verantwortung, die auch so ein Großunternehmen vor Ort hat und ich glaube, dass es eine extrem wichtige Funktion ist, mit den Menschen zu reden."

Dass diese Funktion nicht etwa von einer Sozialarbeiterin oder einer Psychologin ausgefüllt wird, sondern von einer Seelsorgerin, macht für Friederike von Kirchbach durchaus Sinn:

"Im gesamtgesellschaftlichen Kontext merken wir, dass Seelsorge, zum Beispiel Notfallseelsorge, eine enorme Rolle spielt, völlig jenseits von Kirchenzugehörigkeit. Seelsorge ist ein hochangesehenes Engagement der Kirchen, das auch von Nicht-Christen gebraucht und beansprucht wird."

Pfarrerinnen und Pfarrer nicht direkt von der Kirche, sondern von externen Unternehmen bezahlen zu lassen, ist kein Einzelfall. Die Freizeitunternehmen Heidepark- Soltau und Europapark Rust beteiligen sich an der Finanzierung von Seelsorgern für ihren Spaßbetrieb. Die kirchlich-private oder kirchlich-staatliche Mischfinanzierung sei ein Modell mit Perspektive, meint die Berliner Pröpstin:

"Ich glaube, dass Gefängnisseelsorge für Justizvollzugsanstalten eine große Rolle spielen, da dort eine Mitfinanzierung stattfinden müsste (…) dass in Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen Seelsorge mit durch den Träger finanziert wird, und das es auf jeden Fall etwas bringt."

In der Braunkohlenregion Schleife hat auch die Vattenfall-Gegnerin Edith Peng nichts gegen die Arbeit der Seelsorgerin vor Ort einzuwenden, allerdings:

"Die ist ein bisschen spät, denn wir haben ja schon Leute, die schon umgesiedelt sind (…) das hätte vor zehn Jahren passieren müssen. Ich kenne welche, die haben sich immer gewünscht, dass mal jemand kommt, der sich ihre Sorgen anhört, aber es kam nie jemand."
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