Schriftsteller Paolo Giordano

"Unsere Zeit treibt einen zur Radikalität"

Der Schriftsteller Paolo Giordano im Juni 2018 in Rom
Der Schriftsteller Paolo Giordano im Juni 2018 in Rom © dpa / picture alliance / Photoshot
Moderation: Frank Meyer · 09.10.2018
Vor zehn Jahren hatte der studierte Physiker Paolo Giordano einen riesigen Erfolg mit dem Debüt "Die Einsamkeit der Primzahlen", das ein Bestseller wurde. In seinem neuen Roman "Den Himmel stürmen" geht es um Liebe, Veränderung, Bücher und Radikalismus.
"Mich interessiert es sehr, die Radikalität zu erforschen. Wir leben ja in einer Zeit, die einen förmlich zur Radikalität treibt", sagt der italienische Autor Paolo Giordano. Er glaubt, "dass sich diese Radikalität in verschiedenster Art und Weise manifestieren kann, sei es in der Religion, in der Familie oder in der Wissenschaft sogar." Gemeinsam sei jeder Radikalisierung so etwas wie ein Keim: "Die Art und Weise, in der eine Person radikalisiert wird, radikal wird, hängt ganz stark davon ab, in welcher Lebenssituation sich dieser Mensch befindet. Und darum geht es auch bei den Protagonisten meines Romans."
Nach seinem international sehr erfolgreichen Roman "Die Einsamkeit der Primzahlen" veröffentlichte der 1982 in Turin geborene Autor einen Roman über den Afghanistan-Krieg und eine Novelle über eine Ehe, die ins Ungleichgewicht und in die Krise gerät.

Die Angst, Menschen verändert vorzufinden

Auch in "Den Himmel stürmen" geht es um eine große Liebe, die schon in der Kindheit beginnt, die immer weiter geht, in der es aber immer hin und her geht – zwischen ganz großer Nähe und ganz großer Distanz. Giordano interessiert dabei, wie sich solche Veränderungen vollziehen, Er beschreibt dies am Beispiel seiner Protagonistin Teresa, die es immer wieder an den Ort ihrer Kindheitssommer zurückzieht: "Das Besondere an diesem Ort, wohin sie jedes Jahr aufs Neue zurückkehrt, ist die Angst, die Leute, die sie dann wiedersieht, verändert vorzufinden, oder sich vorzustellen, was fehlen könnte, welche Situation verändert sein könnte."
Darum gehe es auch in dem Buch: "Was passiert mit Leuten, die wir lange Zeit nicht sehen, die wir aus den Augen verlieren, die aber trotzdem weiterleben? Was entwickelt sich in ihrem Leben, was bleibt, was ändert sich? Das bezieht sich eben auch auf die Liebe."

Die größten Veränderungen entstehen durch Bücher

Eine besondere Rolle für Bern, den zweiten Protagonisten, spielt ein Buch von Italo Calvino, "Der Baron auf den Bäumen". Über die Bedeutung der Literatur sagt Paolo Giordano:
"Mich hat auch interessiert zu erzählen, wie relevant Bücher sein können, um das Leben zu verändern, um das Leben eines Menschen zu beeinflussen. Denn wenn ich an mein eigenes Leben zurückdenke, sind die größten Veränderungen, die größten Entwicklungen, die ich durchgemacht habe, oft durch Bücher entstanden. Man hört ja, dass Bücher vielleicht eines Tages verschwinden werden, und da fragt man sich, welche weiteren Formen es geben kann, die im Leben so radikale Veränderungen hervorrufen können."
David Foster Wallace sei einer jener Schriftsteller, die seinem Leben eine Wendung gegeben hätten, sagt Giordano.
"Wallace hat es nicht nur verstanden, unterhaltsam zu schreiben, sondern auch Orte des Geistes und auch reale Orte zu erforschen, die man sonst so niemals entdeckt hätte."

Eine Pause vom Schreiben

Nachdem sein vierter Roman "Den Himmel stürmen" erschienen ist, nun auch auf Deutsch, will Paolo Giordano erst einmal eine lange Pause vom Schreiben einlegen und diese Zeit vor allem dem Lesen widmen:
"Momentan lese ich eigentlich nur Essays, zum Beispiel über den Klimawandel." Jetzt sei die Zeit, um auch die dicken Klassiker zu lesen: zum Beispiel den "Zauberberg" von Thomas Mann. (cre)

Paolo Giordano: "Den Himmel stürmen"
Aus dem Italienischen von Barbara Kleiner
Rowohlt Verlag, 2018, 528 Seiten, 22 Euro

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